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5 Festigkeitslehre 5.1.1 Die Aufgabe der Festigkeitslehre Wir betrachten die technische Zeichnung einer Getriebewelle. Sie enthält sämtliche zur Herstellung nötigen Maße. Beispielsweise sehen wir sofort, dass der linke Lagerzapfen 30 mm Durchmesser und 16 mm Länge haben soll. Wie ist der Konstrukteur, der die Welle entworfen hat, gerade auf diese Maße gekommen? Wir wollen seinen Überlegungen bei der Gestaltung der Welle einmal nachgehen. Der Konstrukteur kennt das Drehmoment M, das von der Welle übertragen werden soll. Mit Hilfe der statischen Gleichgewichts- bedingungen werden sämtliche an der Welle angreifenden Kräfte ermittelt. Das sind die am Zahn angreifenden Umfangskräfte F u und Radialkräfte F r , sowie die an den Lager- zapfen angreifenden Stützkräfte F A und F B mit den Komponenten F Ay , F Az und F By , F Bz . Damit ist die Belastung der Welle bekannt. Nach einer Reihe gegebener Bedingungen werden die Abstände 1, 1 1 , 1 2 festgelegt. Der Werkstoff wird gewählt. Von diesem sind die wichtigsten Festigkeitswerte aus Tafeln oder Diagrammen greifbar. Jetzt beginnen die Überlegungen der Festigkeitslehre. F u1 , F u2 Umfangskräfte, F r1 , F r2 Radialkräfte, F Ay , F Az , F By , F Bz Komponenten der Stützkräfte F A , F B , M Drehmoment Die Welle darf nicht brechen. Sie darf sich aber auch nicht derart stark verformen (durchbiegen, verdrehen), dass das Getriebe klemmt oder durch starken Verschleiß vorzeitig unbrauchbar wird, z.B. durch eine unzulässig hohe Kantenpressung in den Lagern.

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  • 5 Festigkeitslehre

    5.1.1 Die Aufgabe der Festigkeitslehre Wir betrachten die technische Zeichnung einer Getriebewelle. Sie enthält sämtliche zur Herstellung nötigen Maße. Beispielsweise sehen wir sofort, dass der linke Lagerzapfen 30 mm Durchmesser und 16 mm Länge haben soll. Wie ist der Konstrukteur, der die Welle entworfen hat, gerade auf diese Maße gekommen? Wir wollen seinen Überlegungen bei der Gestaltung der Welle einmal nachgehen. Der Konstrukteur kennt das Drehmoment M, das von der Welle übertragen werden soll. Mit Hilfe der statischen Gleichgewichts-bedingungen werden sämtliche an der Welle angreifenden Kräfte ermittelt. Das sind die am Zahn angreifenden Umfangskräfte Fu und Radialkräfte Fr, sowie die an den Lager-zapfen angreifenden Stützkräfte FA und FB mit den Komponenten FAy, FAz und FBy, FBz. Damit ist die Belastung der Welle bekannt. Nach einer Reihe gegebener Bedingungen werden die Abstände 1, 11, 12 festgelegt. Der Werkstoff wird gewählt. Von diesem sind die wichtigsten Festigkeitswerte aus Tafeln oder Diagrammen greifbar. Jetzt beginnen die Überlegungen der Festigkeitslehre.

    Fu1, Fu2 Umfangskräfte, Fr1, Fr2 Radialkräfte, FAy, FAz, FBy, FBz Komponenten der Stützkräfte FA, FB, M Drehmoment

    Die Welle darf nicht brechen. Sie darf sich aber auch nicht derart stark verformen (durchbiegen, verdrehen), dass das Getriebe klemmt oder durch starken Verschleiß vorzeitig unbrauchbar wird, z.B. durch eine unzulässig hohe Kantenpressung in den Lagern.

  • Die "von außen" auf ein Bauteil einwirkenden Kräfte wie beispielsweise die Umfangskräfte am Zahnrad, die Stützkräfte in den Lagern und die Gewichtskräfte nennt man äußere Kräfte. Sie rufen im Werkstoffgefüge die inneren Kräfte hervor, die dem Bruch und der Verformung des Bauteils entgegenwirken. Bevor die Maße für ein Bauteil festgelegt werden können, müssen Betrag, Richtung und Richtungssinn der inneren Kräfte bekannt sein, z. B. die inneren Kräfte im Querschnitt x-x eines Zahnrades oder eines Hebezeugträgers . 5.1.2 Das Schnittverfahren zur Bestimmung des inneren Kräftesystems Die erste und wichtigste Arbeit beim Lösen einer Aufgabe aus dem Bereich der Festigkeits-lehre ist die Beantwortung der Frage, welche inneren Kräfte die Bauteile zu übertragen haben. Denn von der Art des "inneren Kräftesystems" hängt es ab, mit welchen Festigkeits-gleichungen gearbeitet werden muss. Aus der Statik ist bekannt, dass eine Kraft nur dann eindeutig bestimmt ist, wenn ihr Betrag (z.B. 150 N), ihre Richtung (z.B. waagerecht, senkrecht, in Richtung der x-Achse) und ihr Richtungssinn (z.B. Druckkraft, Zugkraft) festgelegt worden sind. Das gilt auch für innere Kräfte. Das Verfahren, mit dem die drei Bestimmungsstücke für jede innere Kraft ermittelt werden, heißt Schnittverfahren. Es wird an einem einfachen Beispiel Schritt für Schritt vorgeführt. Das stabförmige Bauteil mit der Querschnitts-fläche S wird durch die Federkräfte F= 50 N belastet (äußere Kräfte). Der Stab befindet sich im Gleichgewicht, das heißt, die beiden Zugkräfte sind gleich groß (von gleichem Betrag). Sie wirken auf einer gemeinsamen Wirklinie und sind entgegengesetzt gerichtet.

  • Man denkt sich den Stab an der (beliebigen) Stelle x-x quer zur Stabachse durch-geschnitten. So entstehen die beiden Teilstücke 1 und II. Der Werkstoff-zusammenhang ist damit aufgehoben und eine Kraftübertragung vom Schnittufer 1 zum Schnittufer II nicht mehr möglich: Die beiden Teilstücke werden durch die äußeren Kräfte nach links und rechts gerissen. Im Schnittflächenschwerpunkt SP wird nun eine Normalkraft FN angebracht, die den Restkörper wieder ins Gleichgewicht zurückversetzt. Damit ist diejenige innere Kraft gefunden, die von der Querschnitts-fläche (kurz: Schnittfläche) im unbeschädigten Zustand übertragen wurde.

    Den Betrag der von einem Schnittufer zu übertragenden inneren Kraft liefern die rechnerischen Gleichgewichtsbedingungen aus der Statik: Für jedes Stabteil muss die Summe aller Kräfte gleich null sein (Kraftmomente wirken hier nicht).

    Ergebnis des Schnittverfahrens im Beispiel: Die untersuchte Querschnittsfläche hat eine in Normalenrichtung auf die Schnittfläche wirkende innere Kraft FN = 50 N zu übertragen.

    Schnittverfahren: Im Schnittflächenschwerpunkt SP werden diejenigen Kräfte und Kraftmomente angebracht, die den, „abgeschnittenen" Teilkörper in das Gleichgewicht zurückversetzen. Diese inneren Kräfte und Kraftmomente hat der Querschnitt zu übertragen.

    Beachte: Normalkräfte FN stehen rechtwinklig auf der Schnittfläche, Querkräfte Fq dagegen liegen in der Schnittfläche. Nach dem Wechselwirkungsgesetz (Aktion = Reaktion) von Newton müssen die inneren Kräfte und Kraftmomente beider Schnittufer gleich groß sein (von gleichem Betrag), jedoch entgegengesetzten Richtungssinn haben.

    5.1.3 Spannung und Beanspruchung Wird angenommen, mit dem Schnittverfahren wurde die innere Kraft, die ein Zugstab aufzunehmen hat, mit FN = 300 N gefunden. Damit ist noch unklar, ob diese innere Kraft den Werkstoff stark oder weniger stark "beansprucht". Das hängt offenbar davon ab, wie viele Flächenteilchen an der Kraftübertragung beteiligt sind, z.B. 60 mm2 oder nur 6 mm2. Als Maß für die Höhe der Beanspruchung des Werkstoffes bietet sich diejenige innere Kraft an, die von der Flächeneinheit übertragen werden muss, z. B. von 1 mm2 oder von 1 cm2.

    Spannung als innere Kraft je Flächeneinheit; wegen der einfacheren Rechnung wurde ein Rechteckquerschnitt gewählt. Beachte: Der Werkstoff wird durch innere Kräfte beansprucht, der Körper wird durch äußere Kräfte belastet.

  • Wird vorausgesetzt, dass jedes Flächen-teilchen eines Querschnittes gleichmäßig an der Kraftübertragung beteiligt ist, dann ist der Quotient aus der inneren Kraft (z.B. FN = 300 N) und der Querschnittsfläche (z.B. S = 6 mm2) ein Maß für die Beanspruchung des Werkstoffs. Der Quotient aus innerer Kraft und der an der Kraftübertragung beteiligten Fläche heißt Spannung. Die Einheit der Spannung muss ebenfalls der Quotient aus einer Krafteinheit (z.B. Newton) und einer Flächeneinheit (z.B. mm2) sein:

    Beispiel: Mit FN = 300 N und S = 6 mm2 beträgt das Maß für die Beanspruchung des Werkstoffes 50 N/mm2. Mit anderen Worten: Jeder Quadratmillimeter des Querschnittes überträgt eine Kraft von 50 N Wir sagen: "Die Spannung beträgt 50 Newton je Quadratmillimeter".

    Die Spannung ist vorstellbar als die je Flächeneinheit vom Werkstoff aufzunehmende Kraft. Einheit der Spannung ist der Quotient aus einer gesetzlichen Krafteinheit und einer gesetzlichen Flächeneinheit. Statt Spannung sagt man auch "mechanische" Spannung.

    Spannung = innere Kraft / Querschnittsfläche Einheit der Spannung = N / mm2 Hinweis: In der Festigkeitslehre wird als Einheit der mechanischen Spannung das "Newton je Quadratmillimeter" verwendet.

    Übung: Der Kreisquerschnitt eines Stahlstabes von 3 mm Durchmesser hat eine innere Kraft FN = 50 N zu übertragen. Es soll die Beanspruchung des Werkstoffs bestimmt werden. Die Rechnung zeigt, dass jeder Quadratmillimeter eine innere Kraft von 7,07 N zu übertragen hat. Die Querschnittsfläche wird nach DIN 1304 von 1989 mit dem Buchstaben S bezeichnet.

    Lösung: Bei d=3 mm Durchmesser beträgt die Querschnittsfläche S = π d2 /4 = π (3 mm)2 /4 = 7,069 mm2. Damit ergibt sich die zu übertragende Spannung = FN /S = 50N /7,069 mm2 = 7,07 N/mm2

    5.1.4 Die beiden Spannungsarten (Normalspannung σ und Schubspannung τ) Nicht immer liegt die Wirklinie der äußeren Kraft in der Stabachse, sie kann auch rechtwinklig (quer) zur Stabachse liegen. Die entsprechenden inneren Kräfte erhalten daher unterschiedliche Bezeichnungen: Steht eine innere Kraft in Normalenrichtung auf dem Querschnitt S, dann heißt sie Normalkraft FN, liegt die, innere Kraft dagegen im Querschnitt S, dann nennt man sie Querkraft Fq.

  • Die beiden inneren Kräfte, die Normalkraft FN und die Querkraft Fq, stehen rechtwinklig aufeinander, also auch die aus ihnen zu berechnenden Spannungen. Es sind daher zwei Spannungsarten zu unterscheiden. Wird die Spannung aus einer inneren Normalkraft FN berechnet, dann heißt sie Normalspannung und wird mit dem griechischen Buchstaben σ (Sigma) bezeichnet. Wie die Normalkraft FN muss auch die von ihr herrührende Normalspannung rechtwinklig auf dem Querschnitt stehen. Spannungen dieser Art treten als Zugspannung z.B. in Kettengliedern, als Druckspannung z.B. in Pleuelstangen auf. Die Normalspannung σ hervorgerufen durch die Normalkraft FN, steht rechtwinklig auf der Querschnittsfläche. Wird die Spannung aus einer inneren Querkraft Fq berechnet, dann heißt sie Schubspannung und wird mit dem griechischen Buchstaben τ (Tau) bezeichnet. Wie die Querkraft Fq muss auch die von ihr herrührende Schubspannung in der Querschnittsfläche liegen. Spannungen dieser Art treten als Abscherspannung z.B. in Scherstiften auf. Die Schubspannung τ hervorgerufen durch die Querkraft Fq liegt in der Querschnittsfläche.

    5.1.5 Die fünf Grundbeanspruchungsarten Am stabförmigen Bauteil lassen sich die Beanspruchungsarten am einfachsten erkennen. Dazu wird das Schnittverfahren (siehe 5.1.2) eingesetzt. Die Berechnungsgleichungen dafür werden später hergeleitet. 5.1.5.1 Zugbeanspruchung (Zug) Die äußeren Kräfte ziehen in Richtung der Stabachse. Sie versuchen, die beiden Schnittufer I und II voneinander zu entfernen: Der Stab wird verlängert (gedehnt). Die innere Kraft FN steht rechtwinklig auf der Schnittfläche, es entsteht die Normalspannung σz (Zugspannung).

  • 5.1.5.2 Druckbeanspruchung (Druck) Die äußeren Kräfte drücken in Richtung der Stabachse. Sie versuchen, die beiden Schnittufer einander näher zu bringen: Der Stab wird verkürzt. Die innere Kraft FN steht normal (rechtwinklig) zur Schnittfläche, es entsteht wieder eine Normalspannung σd (Druckspannung). Bei schlanken Stäben besteht die Gefahr des "Ausknickens". Diese Beanspruchungsart wird als Sonderfall Knickung behandelt. Die Beanspruchung der Berührungsflächen von zwei aufeinander gepressten Bauteilen heißt Flächenpressung.

    5.1.5.3 Abscherbeanspruchung (Abscheren) Beim Scherschneiden wirken zwei gleich große gegensinnige Kräfte F auf leicht versetzten parallelen Wirklinien quer zur Stabachse. Sie versuchen, die beiden Schnittufer parallel zueinander zu verschieben. Das entstehende Kräftepaar wird erst später in die Untersuchung einbezogen. Im Schnittufer bewirkt die innere Querkraft Fq = F die Schubspannung τ. Zur Kennzeichnung der Beanspruchungsart heißt sie Abscherspannung τa.

    5.1.5.4 Biegebeanspruchung (Biegen) Die äußeren Kräfte ergeben zwei Kräftepaare, die im Gleichgewicht stehen. Die beiden Kräftepaare wirken in einer durch die Stab-achse verlaufenden Ebene und versuchen die Schnittufer gegeneinander schräg zu stellen: Der Stab wird gebogen. Da das innere Kraftmoment, das Biegemoment Mb, in einer Ebene rechtwinklig zur Schnitt-fläche wirkt, entsteht die Normalspannung σ (Biegespannung σb = Zug- und Druck-spannung). In den Gleichungen σb = Mb/W und τt = MT/Wp erscheinen die Größen W und Wp. Sie heißen Widerstandsmomente und werden in einem besonderen Abschnitt behandelt.

  • 5.1.5.5 Torsionsbeanspruchung (Torsion, Verdrehung) Die äußeren Kräfte ergeben zwei Kräftepaare, die im Gleichgewicht stehen. Die beiden Kräftepaare wirken in zwei rechtwinklig (quer) zur Stabachse stehenden Ebenen und versuchen, die Schnittufer gegeneinander zu verdrehen: Der Stab wird verdreht (tordiert). Da das innere Kraftmoment, das Torsionsmoment MT, in der Schnittfläche wirkt, entsteht die Schubspannung τ (Torsionsspannung τt).

    5.1.5.6 Kurzzeichen für Spannung und Beanspruchung Aus dem Kurzzeichen für die Spannung (σ oder τ) erkennen wir, ob es sich um eine rechtwinklig (in Normalenrichtung) auf dem Querschnitt stehende Normalspannung (Kurzzeichen σ) oder um eine im Querschnitt liegende Schubspannung (Kurzzeichen τ) handelt. Die Beanspruchungsart, also Zugbeanspruch-ung, Druckbeanspruchung, Abscherbeanspruch-ung, Biegebeanspruchung und Torsionsbean-spruchung kennzeichnen wir mit einem Index, also einem halbzeilig tiefer gesetzten Buch-staben. Vorläufig wird die zulässige Spannung für alle Festigkeitsaufgaben gegeben (siehe "Aufgaben-sammlung Technische Mechanik").

    5.1.6 Die zusammengesetzte Beanspruchung Die meisten Bauteile werden durch die äußeren Kräfte so beansprucht, dass mehrere der vorstehenden Grund-beanspruchungsarten gleichzeitig auftreten. Kraft-richtungen mit beliebigem Winkel zur Stabachse ergeben immer zusammengesetzte Beanspruchung. Auch hierbei gibt das Schnittverfahren Aufschluss. Im beliebigen Schnitt x-x müssen zur Herstellung des Gleichgewichts am abgetrennten Stabteil die inneren Kräfte FN und Fq sowie das Biegemoment Mb angebracht werden. Der Vergleich mit den fünf Grund-beanspruchungsarten ergibt Zug-, Abscher- und Biegebeanspruchung.

  • 5.1.7 Bestimmen des inneren Kräftesystems (Schnittverfahren) und der Beanspruchungsarten Für die fünf Grundbeanspruchungsarten Zug, Druck, Abscheren, Biegung und Torsion gelten einfache Gleichungen, die später gründlich entwickelt werden. Jetzt geht es darum, Sicherheit im Erkennen der Beanspruchungsarten zu gewinnen, die bei den verschiedenartigen Belastungen in den Bauteilen entstehen. Den Schlüssel zum Verständnis liefert stets das Schnittverfahren. Zur Einführung in das Schnittverfahren wird das allgemeine innere Kräftesystem untersucht. 5.1.7.1 Das allgemeine innere Kräftesystem Im allgemeinen Fall kann der Querschnitt eines Bauteils das folgende innere Kräftesystem zu übertragen haben: eine normal auf der Schnittfläche stehende innere Kraft FN, sie erzeugt die Normalspannung σ; eine in der Schnittfläche liegende innere Kraft Fq sie erzeugt die Schubspannung τ ; ein normal auf der Schnittfläche wirkendes Biege-moment Mb, es erzeugt die Normalspannung σ (Biegespannung σb), weil das zugehörige Kräfte-paar in Normalenrichtung auf der Schnittfläche steht; ein in der Schnittfläche liegendes Torsionsmoment MT, es erzeugt die Schubspannung τ (Torsions-spannung τt, weil das zugehörige Kräftepaar in der Schnittfläche wirkt.

    In nicht leicht durchschaubaren Fällen (z. B. Kurbelwelle) ist es zweckmäßig, diese vier statischen Größen in der Schnittfläche anzubringen und mit den Gleichgewichtsbedingungen am "abgeschnittenen" Bauteil die inneren Kräfte und Momente zu bestimmen. Meist wird es genügen, wenn wir durch Hinzufügen von inneren Kräften und Kraftmomenten das abgeschnittene Bauteil Schritt für Schritt ins Gleichgewicht setzen. So verfahren wir in den folgenden Übungen. Da diese Übungen eine der wichtigsten Grundaufgaben der Festigkeitslehre erfassen, geht man nach einem Arbeitsplan vor. In jedem Fall müssen zuerst die äußeren Kräfte und Kraftmomente mit den Gesetzen der Statik bestimmt werden.

  • 5.1.7.2 Arbeitsplan zur Bestimmung des inneren Kräftesystems und der Beanspruchungsarten:

    Äußere Kräfte und Kraftmomente mit Hilfe der statischen 1. Schritt Gleichgewichtsbedingungen bestimmen (zeichnerisch oder rechnerisch). Bauteil durch einen Schnitt quer zur Stabachse an der Stelle 2. Schritt schneiden, deren Beanspruchung untersucht werden soll. In den Schnitt Normalkraft FN, Querkraft Fq, und 3. Schritt Momente Mb und MT so einzeichnen, dass der Restkörper wieder im Gleichgewicht steht. Beträge der inneren Kräfte und Kraftmomente mit Hilfe der 4. Schritt rechnerischen Gleichgewichtsbedingungen bestimmen. Beanspruchungsarten durch Vergleich des inneren Kräfte- 5. Schritt systems mit den Angaben im Abschnitt 5.1.5 festlegen. Spannungen nach Abschnitt 5.1.7 berechnen. 6. Schritt

    5.1.7.3 Übungen zum Schnittverfahren 1. Übung: Durch die Last F wird ein Seil (Kette, Draht) belastet. Wir machen das Seil frei und zerlegen es durch den Schnitt x-x in Teil I und II. Der betrachtete Restkörper ist wieder im Gleich-gewicht, wenn wir im Schnitt die normal (rechtwinklig) zur Schnittfläche wirkende innere Kraft FN = F = 4000 N anbringen (∑Fy = 0). Der Vergleich mit den Angaben im Abschnitt Grund-beanspruchungsarten ergibt, dass Zugbean-spruchung vorliegt. Es tritt die Normalspannung σz (Zugspannung) auf. Ihr Betrag wird bestimmt durch die Gleichung σz = FN/S . 2. Übung: Das innere Kräftesystem im Querschnitt x-x eines Stützträgers soll bestimmt werden. Zunächst müssen mit Hilfe der Gleichgewichtsbedingungen am Gesamtkörper die Stützkräfte FA und FB berechnet werden. Die Rechnung ergibt für die Stützkraft FA = 20 kN = 20 000 N, für die Stützkraft FB = 40 kN = 40 000 N.

  • Sehen wir uns nun die Teilstücke an, zunächst Teil I. Soll sich der Restkörper I nicht mehr verschieben, müssen wir im Schnitt eine nach unten wirkende innere Kraft Fq = FA = 20000 N anbringen (∑Fy = 0). Nun bilden Fq und FA jedoch ein Kräftepaar, das den Restkörper rechtsdrehend belastet. Folglich bringen wir im Schnitt ein linksdrehendes, normal zur Fläche wirkendes Biegemoment Mb = FAl1 = 60 000 Nm an, das die Drehung verhindert (∑M(SP) = 0). Auf diese Weise können wir auch den Restkörper II untersuchen.

    Wir erkennen: Waagerecht wirkende Kräfte sind nicht vorhanden. Die im Schnitt wirkende innere Kraft Fq = 20000 N ergibt nach Abschnitt Grund-beanspruchungsarten Abscherbeanspruchung mit Schubspannung τa (Abscherspannung). Ihr Betrag wird bestimmt durch die Gleichung τa = Fq /S. Außer der inneren Querkraft Fq hat der Querschnitt noch ein Biegemoment Mb zu übertragen. Wie jedes Kraftmoment wird auch das Biegemoment Mb durch ein Kräftepaar erzeugt. Die Teilkräfte dieses Kräftepaares stehen hier normal zur Fläche und ergeben nach Abschnitt 5.1.5 Biegebeanspruchung mit der Normalspannung σb. Ihr Betrag wird bestimmt durch die Gleichung σb = Mb/W.

    3. Übung: Durch das Anziehen soll in der Schraubenspindel der skizzierten Schraub-zwinge eine Längskraft F=3000 N entstehen. Diese Kraft wird die Schraubzwinge etwas aufweiten. Wir wollen versuchen, für die willkürlich gelegten Schnitte x-x und y-y das innere Kräftesystem und die dort vor-handenen Beanspruchungsarten festzulegen.

  • a) Schnitt x-x

    Die Kraft F würde Schnitteil I nach rechts verschieben. Daher müssen wir im Schnitt die innere Kraft Fq = F = 3000 N anbringen (∑Fx = 0). Äußere Kraft F und innere Kraft Fq ergeben nun aber ein Kräftepaar, das den Körper mit dem rechtsdrehenden Kraft-moment M = - Fl1 = - 3000 N ⋅ 0,2 m = - 600 Nm rechtsherum drehen würde. Gleichgewicht bringt erst das eingezeichnete linksdrehende Biegemoment Mb = Fl1 = 600 Nm (∑M(SP) = 0). Damit liegen auch die Beanspruchungsarten fest.

    Beanspruchungsarten im Schnitt x-x: Abscherbeanspruchung durch die Querkraft Fq = F = 3000 N mit Abscherspannung τa = Fq /S und Biegebeanspruchung durch das Biegemoment Mb = F l1 = 600 Nm mit Biegespannung σb = Mb/ W.

    b) Schnitt y-y Zur Herstellung des Gleichgewichts am abgeschnittenen Bauteil II müssen wir im Schnitt die innere Normalkraft FN = F = 3000 N anbringen (∑ Fx = 0). Auch hier haben wir dann ein Kräftepaar mit dem Kraftmoment F12, dem wir mit dem eingezeichneten Biegemoment Mb = - F12 rechtsdrehend entgegenwirken müssen (∑M(SP) = 0). Damit liegen auch für diesen Schnitt die Beanspruchungsarten fest.

    Beanspruchungsarten im Schnitt y-y: Zugbeanspruchung durch die Normalkraft FN = F = 3000 N mit Zugspannung σz = FN /S und Biegebeanspruchung durch das Biege-moment Mb = F12 = 900 Nm mit Biege-spannung σb= Mb/ W.

    4. Übung: Wir kommen jetzt zu einer recht schwierigen Aufgabe: Für die drei eingezeichneten Schnittstellen I, II, III einer Handkurbel sollen das innere Kräftesystem und die Beanspruchungsarten bestimmt werden. Gleiche oder ähnliche Probleme begegnen uns in der Praxis häufig, z.B. bei Kurbelwellen, bei Getriebewellen, überall dort, wo eine äußere Kraft drehend auf einen Körper wirkt.

  • a) Schnittstelle I (Bolzen) Um das Gleichgewicht am abgeschnittenen Bolzen wieder herzustellen, müssen wir zunächst die innere Querkraft Fq = F = 200 N anbringen (∑Fy = 0). Dadurch entsteht das aus Fq und F bestehende (rechtsdrehende) Kräfte-paar. In gleicher Ebene wirkt das linksdrehende Biegemoment Mb = 200 N ⋅0,120 m = 24 Nm. Es ergibt sich aus der Momentengleich-gewichtsbedingung um den Schnitt-flächenschwerpunkt SP (∑M(SP) = 0). Die Beanspruchungsarten mit der je-weiligen Spannung, hier Abscher-spannung τa und Biegespannung σb, erhalten wir durch Vergleich mit den Angaben im Abschnitt 5.1.5 .

    Beanspruchungsarten im Schnitt 1: Abscherbeanspruchung durch die Querkraft Fq = F= 200 N mit Abscherspannung τa = Fq /S und Biegebeanspruchung durch das Biegemoment Mb = Fl1 = 24 Nm mit Biegespannung σb = Mb/ W.

    b) Schnittstelle II (Kurbel) Bevor wir das innere Kräftesystem im Schnitt II des Kurbelarmes bestimmen können, müssen wir wissen, wie die Handkraft F in Bezug auf den Kurbelarm wirkt. Um das festzustellen, bringen wir nach dem Parallelverschiebungssatz (siehe Statik) im Kurbelarmpunkt A zwei gleich große gegensinnige Kräfte F an. Wir erkennen, dass die Handkraft im Punkt A zweierlei bewirkt: zum einen die nach unten gerichtete Kraft F, zum anderen aber noch das dem Kräftepaar (zweifach gestrichene Kräfte) entsprechende (rechtsdrehende) Drehmoment M = Fl1 = 26 Nm. Mit diesem in A wirkenden Kräftesystem können wir nun weiterarbeiten.

    Die in A angreifende Einzelkraft F = 200 N und das um A drehende Drehmoment M = 26 Nm sind dasjenige äußere Kräftesystem, dem wir in der Querschnittsstelle II ein entsprechendes inneres Kräftesystem entgegensetzen müssen. Der Kurbelarm soll sich weder verschieben noch soll er sich um seine Längsachse z-z verdrehen.

  • Die Verschiebung schließen wir aus, indem wir im Schnitt die Querkraft Fq = F = 200 N anbringen (∑Fy = 0). Dadurch entsteht ein Kräftepaar (aus F und Fq), dem wir im Schnitt ein entsprechendes Moment entgegensetzen müssen. Das kann nur das um die x-Achse drehende Biege-moment Mb = Fl2 = 40 Nm sein (∑M(SP) = 0). Nun würde aber das äußere Drehmoment M = 26 Nm den Kurbelarm um die z-Achse rechtsherum drehen. Folglich hat der Quer-schnitt noch das linksdrehende und in der Fläche liegende Torsionsmoment MT = 26Nm zu übertragen. Statt ∑M(SP) = 0 müssten wir hier exakter ∑M(z-Achse) = 0 sagen. Die Beanspruchungsarten mit der zugehörigen Spannung erhalten wir wie gewohnt nach Abschnitt 5.1.5 .

    Beanspruchungsarten im Schnitt I: Abscherbeanspruchung durch die Querkraft Fq = F = 200 N mit Abscherspannung τa = Fq /S und Biegebeanspruchung durch das Biegemoment Mb = F 12 = 40 Nm mit Biegespannung σb = Mb/W und Torsionsbeanspruchung durch das Torsionsmoment MT = 26 Nm mit der Torsionsspannung τt= MT/ Wp .

    c) Schnittstelle III (Kurbelwelle) Auch hier müssen wir erst einmal feststellen, welche Wirkung die Handkraft F auf den zu untersuchenden Körper ausübt. Dazu verlängern wir die Achse x-x der Welle bis zum Schnittpunkt B. Dort bringen wir die beiden gleich großen gegensinnigen Kräfte F an. Wir erhalten in Bezug auf die x-Achse die äußere Kraft F = 200 N und das dem gestrichenen Kräftepaar entsprechende (rechtsdrehende) Drehmoment M = Fr= 50 Nm. Mit diesem in Punkt B wirkenden Kräftesystem können wir weiterarbeiten. Schritt für Schritt wollen wir nun den abge-schnittenen Körper ins Gleichgewicht zurück-versetzen: Zuerst bringen wir eine nach oben gerichtete Querkraft Fq im Schnittflächenschwerpunkt an. Damit wird das Gleichgewicht in der x,y-Ebene wieder hergestellt (∑Fy = 0). Nun ist aber das Kräftepaar F, Fq entstanden, das die Welle in der x,y-Ebene rechtsdrehend

    belastet. Folglich müssen wir als nächstes ein in gleicher Ebene wirkendes Kraftmoment im Schnitt anbringen, das linksdrehende Biegemoment Mb = Fl4 = 52 Nm (∑M(SP) = 0). Bis hierher ist gesichert, dass sich die Welle in der x,y-Ebene weder verschiebt noch dreht. Sie würde sich aber unter der Wirkung des Drehmomentes M um die x-Achse drehen (gegenüber dem Restteil

  • der Welle). Das verhindert das in der Schnittebene liegende linksdrehende Torsionsmoment MT = 50 Nm.

    Wie üblich erhalten wir die Beanspruchung-sarten und die Spannungen nach Abschnitt 5.1.5 .

    Beanspruchungsarten im Schnitt III: Abscherbeanspruchung durch die Querkraft Fq = 200 N mit Abscherspannung τa = Fq /S, Biegebeanspruchung durch das Biegemoment Mb = 52 Nm mit Biegespannung σb = Mb/W und Torsionsbeanspruchung durch das Torsionsmoment MT = 50 Nm mit Torsionsspannung τt = MT/Wp .

    5 Festigkeitslehre