42
26 26.1 Klassifikationen und Terminologie – 584 26.2 Praktische Pharmakokinetik – 585 26.2.1 Resorption, Verteilung und Elimination – 585 26.2.2 Hepatischer Metabolismus – 589 26.2.3 Dosis, Dosierungsintervall und Eliminationshalbwertszeit – 591 26.2.4 Depotarzneiformen – 594 26.2.5 Pharmakokinetische Interaktionen – 595 26.2.6 Pharmakokinetik im Alter – 597 26.2.7 Dosis, Plasmaspiegel und Wirkung – 598 26.3 Die zentrale Neurotransmission als Angriffspunkt der Psychopharmaka – 598 26.3.1 Akute pharmakologische Beeinflussung durch Psychopharmaka – 599 26.3.2 Adaptionsphänomene und klinischer Wirkungseintritt – 600 26.3.3 Pharmakologische Selektivität und funktionelle Spezifität – 601 26.4 Psychopharmakologische Grundlagen der Antidepressiva – 601 26.4.1 Biochemische Wirkungsmechanismen – 601 26.4.2 Verhaltenspharmakologische Wirkungen der Antidepressiva – 609 26 Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen W.E. Müller, A. Eckert 26.5 Psychopharmakologische Grundlagen von Lithium und anderer Phasenprophylaktika bzw. Mood Stabilizer – 610 26.6 Psychopharmakologische Grundlagen der Neuroleptika – 611 26.6.1 Biochemische Wirkungsmechanismen – 611 26.6.2 Wirkungsmechanismus der atypischen Neuroleptika – 612 26.6.3 Wirkung im Tiermodell – 616 26.7 Psychopharmakologische Grundlagen der Tranquilizer – 616 26.8 Psychopharmakologische Grundlagen der Antidementiva – 618 26.9 Psychopharmakologische Grundlagen der Therapie von ADHS – 620 26.10 Weiterführende Lehrbücher und Nachschlagewerke – 621 Literatur – 621 > > Das Verständnis der pharmakologischen Grundlagen der Psycho- pharmakotherapie ermöglicht es zum einen, neue Forschungsansätze auf dem Gebiet der psychiatrischen Pharmakotherapie nachzuvoll- ziehen. Für den klinisch tätigen Arzt erleichtern diese Kenntnisse aber v. a. eine adäquate und rationale Auswahl der von ihm verwendeten Pharmaka unter Einbeziehung der pharmakologischen und pharmako- kinetischen Eigenschaften. Durch die Kenntnis des Wirkmechanismus und des Abbauweges des gewählten Pharmakons können darüber hinaus unerwünschte Arzneimittelwirkungen vorausgesehen und nach Möglichkeit vermieden werden.

26 Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen · rung in die Grundlagen der Pharmakokinetik intendiert. Es soll nur versucht werden, praxisrelevante pharmako-kinetische

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26

26.1 Klassifikationen und Terminologie – 584

26.2 Praktische Pharmakokinetik – 58526.2.1 Resorption, Verteilung und Elimination – 58526.2.2 Hepatischer Metabolismus – 58926.2.3 Dosis, Dosierungsintervall und

Eliminationshalbwertszeit – 59126.2.4 Depotarzneiformen – 59426.2.5 Pharmakokinetische Interaktionen – 59526.2.6 Pharmakokinetik im Alter – 59726.2.7 Dosis, Plasmaspiegel und Wirkung – 598

26.3 Die zentrale Neurotransmission als Angriffspunkt der Psychopharmaka – 598

26.3.1 Akute pharmakologische Beeinflussung durch Psychopharmaka – 599

26.3.2 Adaptionsphänomene und klinischer Wirkungseintritt – 600

26.3.3 Pharmakologische Selektivität und funktionelle Spezifität – 601

26.4 Psychopharmakologische Grundlagen der Antidepressiva – 601

26.4.1 Biochemische Wirkungsmechanismen – 60126.4.2 Verhaltenspharmakologische Wirkungen

der Antidepressiva – 609

26 Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

W.E. Müller, A. Eckert

26.5 Psychopharmakologische Grundlagen von Lithium und anderer Phasenprophylaktika bzw. Mood Stabilizer – 610

26.6 Psychopharmakologische Grundlagen der Neuroleptika – 611

26.6.1 Biochemische Wirkungsmechanismen – 61126.6.2 Wirkungsmechanismus

der atypischen Neuroleptika – 61226.6.3 Wirkung im Tiermodell – 616

26.7 Psychopharmakologische Grundlagen der Tranquilizer – 616

26.8 Psychopharmakologische Grundlagen der Antidementiva – 618

26.9 Psychopharmakologische Grundlagen der Therapie von ADHS – 620

26.10 Weiterführende Lehrbücher und Nachschlagewerke – 621

Literatur – 621

> > Das Verständnis der pharmakologischen Grundlagen der Psycho-pharmakotherapie ermöglicht es zum einen, neue Forschungsansätze auf dem Gebiet der psychiatrischen Pharmakotherapie nachzuvoll-ziehen. Für den klinisch tätigen Arzt erleichtern diese Kenntnisse aber v. a. eine adäquate und rationale Auswahl der von ihm verwendeten Pharmaka unter Einbeziehung der pharmakologischen und pharmako-kinetischen Eigenschaften. Durch die Kenntnis des Wirkmechanismus und des Abbauweges des gewählten Pharmakons können darüber hinaus unerwünschte Arzneimittelwirkungen vorausgesehen und nach Möglichkeit vermieden werden.

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584 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

26.1 Klassifikationen und Terminologie

Wie in vielen anderen Bereichen der Psychiatrie gibt es auch bei der Einteilung der Psychopharmaka kein ein-heitliches, allgemein anerkanntes Unterteilungsprinzip. Die Klassifikation der Psychopharmaka ist von Lehrbuch zu Lehrbuch unterschiedlich. Tendenziell setzt sich aber in den letzten Jahren mehr und mehr eine auf der kli-nischen Anwendung beruhende Klassifikation der Psy-chopharmakagruppen durch (⊡ Tab. 26.1). Diese hat den großen Vorteil eines direkten Bezugs zur klinischen Pra-xis, hat aber den Nachteil, dass eine Reihe von Substanzen nicht eindeutig zugeordnet werden können bzw. dass sie verschiedenen Psychopharmakagruppen zugeordnet werden müssen.

Antidepressiva und Psychostimulanzien. Affektiv aufhel-lende Wirkungen haben sowohl Antidepressiva wie auch

Psychostimulanzien, wobei Antidepressiva diesen Effekt weniger beim affektiv Gesunden als beim depressiven Pa-tienten zeigen, Psychostimulanzien dagegen ihre stim-mungsaufhellende Wirkung unabhängig von patholo-gischen Veränderungen der Affektivität zeigen können. Heute eher weniger verwendete Synonyma für Antide-pressiva sind die Begriffe Thymoleptika bzw. Thymereti-ka, wobei letzter Begriff primär Monoaminoxidase-(MAO-)Hemmstoffe meint. Bei den Stimulanzien hat sich neben dem Einsatz von Amphetamin bei Narkolepsie und in Ausnahmefällen bei ADHS v. a. das Methylphenidat als wirksames Therapeutikum bei ADHS etabliert, wobei neuere Erkenntnisse zum Wirkungsmechanismus die kli-nische Erfahrung eines sehr viel geringeren Abhängig-keitsrisikos im Vergleich zum Amphetamin erklären können (Fone u. Nutt 2005).

Antidementiva. Eine weitere indikationsbezogene Psy-chopharmakagruppe, die heute zunehmend an Bedeu-tung gewinnt, sind die Antidementiva (früher Nootropi-ka), im angelsächsischen Sprachgebrauch auch gerne als »cognition enhancer« bezeichnet. Diese Substanzen wer-den in der Behandlung von Hirnleistungsstörungen be-sonders im Alter eingesetzt. Hier steht heute die Behand-lung der Demenz im Vordergrund, so dass sich der Begriff Antidementiva mehr und mehr durchsetzt. Neben eini-gen älteren Substanzen stehen hier heute hauptsächlich Azetylcholinesterasehemmstoffe zur Verfügung.

Halluzinogene. Losgelöst von diesen 5 Psychopharmaka-gruppen müsste man die Gruppe der Halluzinogene bzw. Psychodysleptika betrachten. Diese Substanzen werden z. Z. nicht als Psychopharmaka eingesetzt. Sie bewirken im Gegensatz zu den Psychostimulanzien weniger eine unspezifische zentrale Stimulation, sondern können eher spezifisch psychoseartige Symptome auslösen. Die Über-gänge sind aber fließend, und viele Psychostimulanzien haben in Abhängigkeit von der Dosis und der Anwen-dung deutliche halluzinogene Wirkungen.

Neben diesen Substanzgruppen mit relativ spezi-fischen Effekten auf bestimmte psychische Funktionen müssen noch verschiedene andere Arzneimittelgruppen erwähnt werden, die auch alle zentral wirksam sind, deren primäre Indikationen aber nicht auf Veränderungen psy-chischer Funktionen abzielen. Auch hier sind die Über-gänge fließend, z. B. können viele Benzodiazepinderivate sowohl als

Tranquilizer wie auch als Hypnotika eingesetzt wer-den,

Analgetika vom Opiattyp zeigen auch stimmungsauf-hellende euphorisierende Effekte,

bestimmte Antikonvulsiva wie das Carbamazepin, die Valproinsäure und das Lamotrigin haben heute auch Indikationen als Psychopharmaka (Phasenprophy-laktika)

⊡ Tab. 26.1. Klassifikation von Psychopharmaka und anderen zentral wirksamen Substanzen

Wirkstoff-gruppen

Präparate (Beispiele)

Synonyme

Psychopharmakagruppen

Neuroleptika HaloperidolOlanzapin

Major TranquilizerAntipsychotika

Tranquillanzien DiazepamLorazepam

Minor TranquilizerAtaraktika

Antidepressiva AmitriptylinMirtazapinCitalopramTranylcypromin

Thymoleptika

Thymeretika (speziell für MAO-Hemmer)

Psychostimu-lanzien

AmphetaminMethylphenidat

PsychoanaleptikaPsychotonika

Antidementiva PiracetamDonepezil

NootropikaCognition Enhancers

Psychotrope Nichtpsychopharmakagruppen

Halluzinogene LSD Psychodysleptika

Andere zentral angreifende Pharmakagruppen

Hypnotika z. B.Benzo-diazepineBarbiturate

Schlafmittel

Analgetika Morphin Opioide (Opiate)

Antikonvulsiva Carbamazepin AntiepileptikaPhasenprophy-laktika bei affek-tiven Psychosen

Antiparkinson-substanzen

L-DopaBiperiden

–Zentrale Anticholi-nergika

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26.2 · Praktische Pharmakokinetik26585

Anti-Parkinson-Substanzen wie das L-Dopa können im Sinne von psychoseähnlichen Nebenwirkungen in psychische Funktionen eingreifen.

Obwohl die vorliegende Klassifikation (⊡ Tab. 26.1) sich in den letzten Jahren immer mehr durchgesetzt und im Prinzip bewährt hat, hat sie auch ihre Grenzen. Die indi-kationsspezifische Einordnung vernachlässigt das oft sehr breite therapeutische Wirkungsspektrum der einzel-nen Substanzen (z. B. den Einsatz von Neuroleptika als Antipsychotika oder als Tranquillanzien oder sogar als Schlafmittel). Dies führt dazu, dass viele Psychopharma-ka in mehr als eine dieser Substanzklassen eingeordnet werden können bzw. eingeordnet werden müssten. Ein wichtiges Beispiel ist hier die aktuelle Differenzialtherapie der Angsterkrankungen. Hier werden heute Substanzen aus praktisch allen Psychopharmakaklassen eingesetzt, wobei Antidepressiva sogar die Hauptrolle spielen.

26.2 Praktische Pharmakokinetik

Die Entscheidung zum Einsatz eines bestimmten Medika-ments wird zunächst von seinen pharmakodynamischen Eigenschaften bestimmt, d. h. der qualitative Aspekt der erwünschten Wirkung steht initial im Vordergrund. Quantitative Fragen schließen sich an, denn die Substanz sollte in genau richtiger Konzentration an den Wirkort, im Falle der Psychopharmaka das zentrale Nervensystem (ZNS), gebracht werden. Ist die Konzentration am Wirk-ort zu hoch, können unerwünschte Arzneimittelwir-kungen dominieren, ist die Konzentration zu niedrig, wird die therapeutische Wirkung nicht ausreichend sein. Gute Kenntnisse der pharmakokinetischen Kerndaten einer eingesetzten Substanz sind die Voraussetzung dafür, dass der richtige Medikamenteneffekt in richtiger Intensität zur richtigen Zeit in ausreichender Wirkdauer mit einem Minimum an unerwünschten Wirkungen erreicht wird.

Im vorliegenden Kapitel ist keine allgemeine Einfüh-rung in die Grundlagen der Pharmakokinetik intendiert.

Es soll nur versucht werden, praxisrelevante pharmako-kinetische Basisdaten als Voraussetzung einer rationalen Therapie mit Psychopharmaka aufzuzeigen.

26.2.1 Resorption, Verteilung und Elimination

Die Pharmakokinetik beschreibt den Zeitverlauf der Wirkstoffkonzentration im Organismus. Wünschenswert wäre die Kenntnis der Wirkstoffkonzentration am Wirk-ort (ZNS). Dies ist beim Menschen nicht möglich; die Wirkstoffkonzentration kann nur im Blut ermittelt wer-den. Trotz dieser Limitierung sind pharmakokinetische Informationen wichtig und können für eine Therapie mit Psychopharmaka dienlich sein.

Ein typischer Blutspiegelverlauf nach oraler Applika-tion ist in ⊡ Abb. 26.1 gezeigt. Nach Einnahme nimmt der Blutspiegel der Substanz mit der Zeit langsam zu, erreicht bei ausreichender Dosis den minimalen therapeutischen Bereich (Invasionsphase), liegt dann für eine bestimmte Zeit im therapeutisch benötigten Plasmakonzentrations-bereich und wird danach durch Eliminationsprozesse langsam abgebaut (Evasionsphase). Die Evasionsphase ist somit für die Dauer, in der sich das Medikament in einem therapeutisch erwünschten Plasmakonzentra-tionsbereich befindet, von essenzieller Bedeutung.

EvasionsphaseBei vielen Substanzen kann sich die Evasionsphase aus verschiedenen Prozessen zusammensetzen (⊡ Abb. 26.2). Wie hier am Beispiel einer intravenösen Applikation ge-zeigt, kann in der halblogarithmischen Darstellung der Abbau der Plasmakonzentration in 2 lineare Prozesse zer-legt werden, eine α-Phase mit kurzer und eine β-Phase mit längerer Zeitkonstante.

α-Phase. Die α-Phase, die im gewählten Beispiel sehr deutlich ausgeprägt ist, wird meist von Umverteilungs-phänomenen bestimmt. Der Wirkstoff erscheint zunächst

⊡ Abb. 26.1. Schematische Darstellung eines Plasma-spiegelverlaufes nach oraler Applikation

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586 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

in sehr hoher Konzentration im Blut und wird dann in Abhängigkeit von der Durchblutung in die einzelnen Or-gane verteilt. Dies bedeutet, dass in der initialen Phase der sehr hohen Plasmakonzentration der Wirkstoff v. a. in den Organen, die sehr stark durchblutet werden, ange-reichert wird. Dies gilt besonders für das ZNS.

Da in diesen Organen die Substanzkonzentration mit abfallendem Plasmaspiegel wieder abnimmt, verhält sich hier der Konzentrationsverlauf ähnlich wie der Plasma-verlauf. Dieses Phänomen nutzt man z. B. bei der i.v.-Nar-kose aus (Barbiturate oder Benzodiazepine), wo die De-terminierung der Bewusstseinseintrübung ausschließlich

von Rückverteilungsphänomenen (aus dem Gehirn in pe-riphere Gewebe) bestimmt wird und nicht etwa von einer terminalen Eliminationsgeschwindigkeit (β-Phase), die z. B. beim Diazepam mehrere Tage betragen kann. Neben der Narkose spielen aber solche Umverteilungsphäno-mene bei sehr vielen Psychopharmaka eine Rolle. Sie äu-ßern sich immer dann, wenn nach akuter (parenteraler, aber auch oraler) Applikation initial sehr ausgeprägte, zentrale erwünschte oder auch unerwünschte Wirkungen gesehen werden, die sehr viel schneller sistieren, als man es von der pharmakokinetischen Eliminationsgeschwin-digkeit her erwarten würde.

β-Phase. Die eigentliche terminale Eliminationsphase (β-Phase, ⊡ Abb. 26.2) wird nur bei wenigen Psychopharmaka durch eine direkte renale Elimination bestimmt (z. B. Li-thium). Bei den meisten Substanzen ist eine Metabolisie-rung in der Leber (� Kap. 26.2.2) der geschwindigkeitsbe-stimmende Schritt der Evasion (⊡ Abb. 26.3; ⊡ Tab. 26.2).

VerteilungNach Erscheinen in der Blutbahn verteilt sich der Wirk-stoff über den Organismus. Während in der Initialphase die Durchblutung der einzelnen Gewebe eine wichtige de-terminierende Größe ist (s. oben), bestimmen im Wei-teren die Größe des jeweiligen Gewebekompartiments und die Fettlöslichkeit des Arzneimittels (Lipophilie) die Verteilung. Dies ist schematisch in ⊡ Abb. 26.4 gezeigt. Hat der Wirkstoff eine ausreichende Affinität zu Gewebe-strukturen (das gilt für die meisten gut fettlöslichen Arz-neistoffe), wird er sich nicht nur gleichmäßig in alle Kom-partimente verteilen, sondern sich auch in Gewebestruk-turen anreichern. Hierbei spielen quantitativ gesehen die

⊡ Abb. 26.2. Plasmaspiegelverlauf nach i.v.-Applikation in halbloga-rithmischer Auftragung. Die Plasmaspiegelverlaufskurve kann in 2 lineare Phasen zerlegt werden: α-Phase, bei der die Abnahme des Plasmaspiegels durch Verteilung ins Gewebe bestimmt ist, und β-Phase, die die terminale Elimination beschreibt. Die Zeit, in der in der β-Phase der Plasmaspiegel um die Hälfte abnimmt, wird als Elimi-nationshalbwertszeit (t1/2) bezeichnet

⊡ Abb. 26.3. Schema der wesentlichen hepatischen Eliminationsschritte von Citalopram und Imipramin (Nach Eckert et al. 1998)

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26.2 · Praktische Pharmakokinetik26587

Plasmaproteine nur eine geringe Rolle. Aus dem Vertei-lungsschema wird ersichtlich, dass der Wirkstoff zum größten Teil in dem großen Kompartiment der Gewebe-proteine gebunden sein wird.

Während dieses Verteilungsprozesses steht die freie Konzentration im Plasma mit den freien Konzentrationen des Wirkstoffs in anderen Kompartimenten im Gleichge-wicht. In Kompartimenten, in denen anreichernde Prote-ine fehlen (z. B. Liquor), kann die Gesamtkonzentration

der freien Konzentration in anderen Geweben entspre-chen. Wichtig an dem Verteilungsschema (⊡ Abb. 26.4) ist die Tatsache, dass bezogen auf den Gesamtorganismus das Plasma nur ein sehr kleines Kompartiment darstellt. Besitzt der Wirkstoff zudem eine hohe Affinität zu Gewe-bekomponenten, erklärt das Verteilungsschema sehr deutlich, warum für Wirkstoffe mit hoher Gewebebin-dung nur der geringste Teil der verabreichten Dosis im Plasma als Plasmaspiegel nachweisbar ist.

Solche Stoffe haben als pharmakokinetische Kenn-größe ein sehr großes Verteilungsvolumen (⊡ Tab. 26.3). Je größer das Verteilungsvolumen, desto kleiner ist der Anteil der applizierten Dosis, der sich im Plasma befindet. Die Tabelle zeigt, dass sehr viele Psychopharmaka extrem große Verteilungsvolumina haben, d. h. bei diesen Subs-tanzen liegt nur ein Bruchteil der verabreichten Dosis im Plasma in freier oder gebundener Form vor.

⊡ Tab. 26.2. Unterteilung der hepatischen Eliminationspro-zesse und ihre Veränderung im Alter. (Nach Müller 1997 b)

Phase-I-Reaktionena

(oft im Alter relevant verlangsamt)

Phase-II-Reaktionena

(meist im Alter nicht relevant verändert)

Hydroxylierung Glukuronidierung

N-Desalkylierung Sulfatierung

Nitro-Reduktion Azetylierung

Sulfoxidierung –

Hydrolyse –

a Phase-I-Reaktionen beinhalten direkte chemische Verände-rungen am Wirkstoffmolekül und erfordern andere metaboli-sierende Enzyme als die Phase-II-Reaktionen, bei denen gut wasserlösliche Moleküle an aktive Gruppen des Wirkstoff-moleküls angekoppelt werden.

⊡ Abb. 26.4. Schematische Darstellung der Verteilung eines plasma-proteingebundenen Pharmakons im Organismus. Über die freie Konzentration stehen alle Verteilungsräume miteinander in Verbin-dung. Im Liquor entspricht oft die Gesamtkonzentration der freien Konzentration

⊡ Tab. 26.3. Verteilungsvolumina (VD) und terminale Elimina-tionshalbwertszeiten (β-Phase; t1/2) wichtiger Psychopharmaka am Menschen

Wirkstoff VD [l/kg] t1/2 [h]

Amisulprid 5 12Amitriptylin 14 16Carbamazepin 1,4 15Chlorpromazin 21 30Citalopram 14 33Clonazepam 3 23Desipramin 34 18Diazepam 1,1 43Doxepin 20 17Haloperidol 18 18Imipramin 23 18Lithium 0,8 22Lorazepam 1,3 14Nitrazepam 1,9 26Nortriptylin 18 31Olanzapin 15 7Oxazepam 1,0 8Phenytoin 0,6 6–24Quetiapin 10 4Sertralin 25 30Reboxetin 32 12Risperidon 1 4Temazepam 1,1 8Triazolam 1,1 2,3Venlafaxin 6 4

a VD errechnet sich aus der Formel VD D/CO, wobei D die i.v. ge-gebene Dosis ist und C die fiktive Ausgangskonzentration im Plasma (unter der Annahme einer vollständigen Verteilung der Dosis ohne schon stattfindende Elimination). Eine Substanz, die sich nur im Blutwasserraum verteilen würde, hätte in die-sem System ein Verteilungsvolumen von 0,06. Das Verteilungs-volumen von Phenytoin (0,6) entspricht ungefähr dem Körper-wasserraum. Verteilungsvolumina >1 sind nur möglich, wenn sich die Substanz in bestimmten Organen in wesentlich hö-herer Konzentration befindet als im Plasma.

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588 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

EliminationSind die Umverteilungsprozesse abgeschlossen, wird die Abnahme des Plasmaspiegels ausschließlich von den Eli-minationsprozessen getragen. Aus der linearen Kompo-nente der β-Phase lässt sich die terminale Eliminations-halbwertszeit (t1/2) errechnen. Sie gibt an, in welcher Zeit sich eine vorhandene Plasmakonzentration in der β-Pha-se (Eliminationsphase) um die Hälfte reduziert. Die ter-minale Eliminationshalbwertszeit ist unabhängig von der tatsächlich vorliegenden Plasmakonzentration. Sie ist die wichtigste pharmakokinetische Kenngröße eines be-stimmten Arzneimittelstoffes (⊡ Tab. 26.3) beim Men-schen. Sie gibt Auskunft darüber, wie schnell der Wirk-stoff aus dem Organismus eliminiert wird. Sie kann na-türlich von Individuum zu Individuum schwanken und sich v. a. bei pathologischen Veränderungen der Elimina-tionsorgane deutlich verlängern. Zusammen mit der Do-sis ist sie die wesentliche Determinante für die Höhe des zu erreichenden Arzneistoffspiegels bei einer Dauermedi-kation (� Kap. 26.2.3).

Cave

Die pharmakokinetische Eliminationshalbwertszeit darf jedoch nicht mit einer biologischen Halbwertszeit oder einer Halbwertszeit der therapeutischen Wirkung verwechselt werden. Diese pharmakodynamischen Größen können, müssen aber nicht mit der pharmako-kinetischen Eliminationshalbwertszeit übereinstim-men.

First-pass-Metabolismus. Ein Sonderfall der Elimination ist die sog. präsystemische hepatische Elimination oder auch als »First-pass-Metabolismus« bezeichnet. Hierun-ter versteht man das Phänomen, dass der venöse Abfluss des Magen-Darm-Trakts zunächst über die Pfortader in die Leber gelangt (⊡ Abb. 26.5). Haben die Mukosa des Dünndarms oder die Leber nun eine besonders hohe Ka-pazität, einen bestimmten Wirkstoff zu metabolisieren, so wird schon bei der ersten Passage ein Großteil des aus dem Magen-Darm-Trakt resorbierten Wirkstoffs meta-bolisiert und damit eliminiert.

Dies bedeutet, dass nur ein kleiner Teil der oral appli-zierten Dosis systemisch zur Verfügung steht. Ein ausge-prägter First-pass-Metabolismus ist der wichtigste Grund für eine geringe orale Bioverfügbarkeit. Er erklärt, dass eine Substanz trotz 100%iger Resorptionsquote nur eine orale Bioverfügbarkeit von wenigen Prozent aufweisen kann. Viele Psychopharmaka, besonders Antidepressiva und Neuroleptika weisen einen ausgeprägten First-pass-Meta-bolismus und eine schlechte orale Bioverfügbarkeit auf.

Natürlich kann eine niedrige Bioverfügbarkeit durch eine entsprechend höhere orale Dosis ausgeglichen wer-den. Da aber die Bioverfügbarkeit direkt von interindivi-duellen oder auch alters- bzw. krankheitsbedingten Schwankungen der hepatischen Elimination beeinflusst wird, ist die interindividuelle Varianz der Plasmaspiegel bei Substanzen mit schlechter Bioverfügbarkeit beson-ders ausgeprägt.

Die Pfortader wird umgangen bei der Resorption aus der Mundhöhle oder aus dem Rektum (⊡ Abb. 26.5). Da

⊡ Abb. 26.5. Venöser Abfluss aus Mundhöhle und Gastrointestinaltrakt. Ein hoher First-pass-Metabolismus nach oraler Applikation ist immer dann zu sehen, wenn der Wirkstoff schon während der Resorption in der Dünndarmwand oder bei der 1. Passage durch die Leber (Pfortader) zu einem hohen Prozentsatz metabolisiert wird. Neben ungenügender Resorption ist der First-pass-Metabolismus der Hauptgrund für schlechte orale Bioverfügbarkeit

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26.2 · Praktische Pharmakokinetik26589

aber die Resorption bei diesen Applikationsformen aus anderen Gründen unsicher ist, sind bukkale bzw. rektale Arzneiformen für die meisten Psychopharmaka keine Al-ternative.

26.2.2 Hepatischer Metabolismus

Da lipophile Substanzen wie die meisten Psychopharma-ka nach der glomerulären Filtration in den Nierentubuli weitgehend wieder rückresorbiert werden, können sie nur langsam – wenn überhaupt – renal ausgeschieden werden. Um die Elimination fettlöslicher Stoffe zu be-schleunigen, verwendet der Körper Enzymsysteme, die diese Stoffe in hydrophilere und somit leichter renal aus-scheidbare Substanzen umwandeln. Die Metabolisierung von Fremdsubstanzen erfolgt v. a. in der Leber und nur in untergeordnetem Maße in anderen Organen (z. B. Darm, Niere, Lunge). Die an der Biotransformation beteiligten Enzyme sind weitgehend substratunspezifisch. Man un-terscheidet die strukturgebundenen Enzyme, die hauptsächlich

in der Membran des endoplasmatischen Retikulums (z. B. Monooxygenasen, Glukuronyltransferasen) vorkommen, und

die strukturungebundenen Enzyme, die als lösliche Enzyme im Zytosol vorliegen (z. B. Esterasen, Amida-sen; ⊡ Tab. 26.2).

Phase-I- und Phase-II-ReaktionenAls Phase-I-Reaktionen werden Biotransformationsme-chanismen bezeichnet, die eine oxidative, reduktive und hydrolytische Veränderung der Pharmakonmoleküle be-wirken. Dagegen erfolgt bei Phase-II-Reaktionen eine Konjugation eines Arzneistoffmoleküls bzw. eines aus Phase I entstandenen Metaboliten an körpereigene Subs-tanzen (z. B. aktivierte Glukuronsäure, Glyzin, S-Adeno-sylmethionin). Somit schafft in vielen Fällen die Biotrans-

formation in Phase I oft erst die Voraussetzung für die Konjugation in Phase II und für die nachfolgende Elimi-nation des Pharmakons (⊡ Abb. 26.3).

Zytochrom P-450In der Phase I sind v. a. Oxidationsreaktionen besonders wichtig. Die weitaus größte Bedeutung für die oxidative Biotransformation von Pharmaka kommt den mikroso-malen Monooxygenasen zu, welche die Hämproteine Zytochrom P-450 enthalten. Die Grundfunktion der Mo-nooxygenasen vom P-450-Typ besteht in der Einführung von molekularem Sauerstoff in das Zielmolekül. Dadurch wird die Wasserlöslichkeit erhöht. Dies bewirkt eine ver-besserte renale Ausscheidung und somit eine Verkürzung der Halbwertszeit und häufig, aber nicht zwangsläufig, eine Abnahme der pharmakologischen Wirkung auf-grund der Bildung von Metaboliten mit geringerer Akti-vität.

Beim Zytochrom P-450 handelt es sich nicht um ein einzelnes Enzym, sondern um eine durch eine Supergen-familie kodierte Gruppe von Enzymen (CYP-Enzyme; ⊡ Tab. 26.4). Um eine sichere Zuordnung dieser Enzyme zu ermöglichen, wurde eine Nomenklatur entwickelt, die die Enzyme auf der Basis von Homologien der Aminosäu-resequenzen in Familien und Subfamilien unterteilt (⊡ Tab. 26.4).

Die CYP-Isoenzyme können in 2 Klassen eingeteilt werden: mitochondriale und mikrosomale Enzyme. Die CYP-Enzyme der inneren Mitochondrienmembran sind bei der Steroidsynthese von Bedeutung (Familien 7, 11, 17, 19, 21, 27), während die Enzyme in den mikrosomalen Membranen (Familien 1, 2, 3, 4) Xenobiotika wie z. B. die Arzneistoffe metabolisieren. In der letzten Gruppe zählen CYP1A2, CYP2C9/10, CYP2C19, CYP2D6 und CYP3A3/4 zu den wichtigsten Isoenzymen (Nebert et al. 1991), die sich allerdings in ihrer Substratspezifität erheblich unter-scheiden (⊡ Tab. 26.5).

⊡ Tab. 26.4. Klassifizierung der humanen CYP-Enzyme. (Mod. nach Preskorn u. Magnus 1994)

CYP

1 2 3 4 7 11 17 19 21 27

1A11A2

2A62A72B62C82C9/102C182C192D62E12F1

3A3/43A53A7

4A94B14F24F3

11A111B111B2

21A2

Klassifizierungsschlüssel: erste arabische Zahl = Familie; Buchstabe = Subfamille; zweite arabische Zahl = individuelles Gen innerhalb der Sübfamilie.

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590 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

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26.2 · Praktische Pharmakokinetik26591

Arzneimittelinteraktionen. Die Zuordnung der Substrate zu den Enzymen hat erhebliche Konsequenzen für das Interaktionspotenzial des Arzneistoffes: Wenn 2 Arznei-stoffe über dasselbe Enzym verstoffwechselt werden, be-steht die Möglichkeit einer metabolischen Interaktion. Insbesondere die Kombination eines Substrates mit einem Enzyminhibitor bzw. -induktor führt zu erheb-lichen Veränderungen der Plasmaspiegelkonzentation des Substrates: Im Falle des Inhibitors erhöht sich der Substratplasmaspiegel infolge eines verringerten Meta-bolismus; im Falle des Induktors wird das Substrat schnel-ler abgebaut und die Substratplasmaspiegel können unter den therapeutischen Bereich absinken. Es sollte ferner nicht außer Acht gelassen werden, dass auch Nahrungs-mittel solche Interaktionen bewirken können, so ist z. B. Grapefruitsaft ein Inhibitor des CYP3A/4. Viele andere Nahrungsmittelinteraktionen sind allerdings bisher nur sehr wenig untersucht. ⊡ Tab. 26.5 zeigt die wichtigsten am Stoffwechsel von Arzneimitteln beteiligten CYP-En-zyme und ihre Substrate.

Erbfaktoren als Ursache variabler Aktivität von CYP-Enzy-men. Etwa 8–10% unserer Bevölkerung besitzen nur eine geringe bis keine Aktivität von CYP2D6. Hier liegt ein ge-netischer Polymorphismus vor. Dieser Defekt wird auto-somal-rezessiv vererbt. Personen mit diesem Merkmal sind langsame Metabolisierer oder »poor metabolizer« im Unterschied zu schnellen Metabolisierern oder »exten-sive metabolizer«. Nur zu einem geringeren Ausmaß (ca. 3%) spielt der CYP2C19-Polymorphismus eine Rolle in unserer Bevölkerung. Bei den orientalischen Völkern kommt dem CYP2C19-Defekt jedoch eine sehr viel größe-re Bedeutung zu (ca. 20%).

bei der schwarzen Bevölkerung sind nur ungefähr 4% von einem CYP2D6-Defekt betroffen. In Deutschland sind 8–10%, somit ungefähr 6–8 Mio. Menschen Träger eines CYP2D6-Defekts. Diese genetische Variante ist demnach bei uns v. a. für interindividuelle Variabilität verantwortlich.

26.2.3 Dosis, Dosierungsintervall und Eliminationshalbwertszeit

EinmalanwendungDer in ⊡ Abb. 26.1 gezeigte Plasmaspiegelverlauf einer Substanz nach oraler Applikation und die damit verbun-dene Wirkungsdauer gilt nur für den kleinen Teil der the-rapeutischen Anwendungen von Psychopharmaka, bei denen eine Einmalwirkung ausgenutzt werden soll. Wich-tigstes Beispiel ist der Einsatz eines Medikaments als Schlafmittel. Die Bedeutung von Dosis und Eliminations-halbwertszeit bei einer solchen Einmalanwendung ist in ⊡ Abb. 26.6 für verschiedene Benzodiazepinhypnotika gezeigt (Breimer 1984).

Im Fall der Substanz Temazepam wird kurz nach abendlicher Einnahme ein ausreichender substanzspezi-fischer Plasmaspiegel aufgebaut, der sich zunächst durch Umverteilungsphänomene, dann aber determiniert durch die β-Phase der Elimination (t1/2 = 8 h) langsam wieder abbaut. 24 h nach der Einnahme von Temazepam ist nur noch ein minimaler Plasmaspiegel vorhanden, so dass eine neue Einnahme in den folgenden Nächten nicht zu wesentlich anderen Plasmaspiegelverläufen führt.

Etwas anders sieht es beim Nitrazepam aus, wo be-dingt durch die wesentlich längere Eliminationshalb-wertszeit von (t1/2 = 26 h) 24 h nach Einnahme der ersten Dosis der Plasmaspiegel nicht vollständig gesunken ist. Deshalb kommt es bei weiterer Einnahme in den fol-genden Nächten zu einer deutlichen Kumulation, d. h. es bildet sich mit der Zeit ein zunehmender Nitrazepamplas-maspiegel tagsüber aus; nach etwa 5 Eliminationshalb-wertszeiten (ca. 5 Tagen) wird ein Fließgleichgewicht (»steady state«) erreicht.

Diese Kumulation ist bei der Substanz N-Desalkylflu-razepam (einer der hypnotisch wirksamen Metaboliten des Flurazepams) infolge einer sehr langen Eliminations-halbwertszeit (t1/2 = 50 h) sehr stark ausgeprägt. Das

⊡ Abb. 26.6. Plasmakonzentrationsverlauf von Desalkylflurazepam (aktiver Metabolit von Flurazepam), Nitrazepam und Temazepam bei abendlicher Verabreichung als Hypnotikum. Bedingt durch die unter-schiedliche Halbwertszeit kommt es bei täglicher Einnahme zu einer unterschiedlich ausgeprägten Kumulation. (Nach Breimer 1984)

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592 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

Fließgleichgewicht wird hier erst nach ca. 10 Tagen er-reicht.

DauermedikationDosierungsintervall. Bei den meisten anderen Substanzen ist das Erreichen eines ausreichend stabilen Wirkstoff-spiegels Ziel der Dauermedikation. Dabei sind Dosie-rungsintervall, Dosis und Eliminationshalbwertszeit zu beachten. Die Auswirkung unterschiedlicher Dosierungs-intervalle ist in ⊡ Abb. 26.7 dargestellt. Hierbei wird in beiden Fällen die gleiche Dosis gegeben; das Medikament hat eine t1/2 von 20 h. Im Fall der gestrichelten Kurve wird die Gesamtdosis auf einmal genommen, und im Fall der durchgezogenen Kurve wird die Gesamtdosis aufgeteilt in 3 gleiche Einzeldosen. Das Dosierungsintervall beträgt damit im ersten Fall 24 h, im zweiten Fall 8 h. Bei Mehr-fachdosierung mit der gleichen Dosis wird das Fließ-gleichgewicht der Plasmakonzentration nach ungefähr 5 Eliminationshalbwertszeiten erreicht. Dies trifft im vor-liegenden Fall für beide Dosierungsschemata zu, Maxima und Minima bleiben nach ca. 5 Tagen konstant. Der we-sentliche Unterschied beider Applikationsarten sind aber die Schwankungen zwischen maximalen und minimalen Plasmaspiegeln innerhalb des Dosierungsintervalls. Die mittleren Plasmaspiegel im Fließgleichgewicht unter-

scheiden sich bei beiden Dosierungsschemata, bei denen ja die gleiche tägliche Dosis gegeben wurde, nicht.

Dosishöhe. Die Höhe des im Fließgleichgewicht zu errei-chenden mittleren Plasmaspiegels wird direkt determi-niert von der Dosis. In ⊡ Abb. 26.8 wird ein Medikament bei gleichem Dosierungsintervall in einem Fall in der dop-pelten Dosierung, im anderen Fall in einfacher Dosierung appliziert. Der Zeitverlauf bei Erreichen des Fließgleich-gewichts ist identisch, aber wie zu erwarten, führte die doppelte Dosis zu einem doppelt so hohen Fließgleichge-wicht.

Nimmt man eine reziproke Dosisänderung vor, er-höht man die niedrige Dosis bzw. erniedrigt die hohe Do-sis, dauert es wiederum 5 Eliminationshalbwertszeiten, bis sich in beiden Fällen das neue Fließgleichgewicht ein-gestellt hat. Nach Absetzen der Dosis fällt in beiden Fällen der Plasmaspiegel mit der Eliminationshalbwertszeit der Substanz von 36 h ab.

Dieses Beispiel macht deutlich, dass über die Dosis einer bestimmten Substanz am individuellen Patienten eine Veränderung des Plasmaspiegels erreicht werden kann und dass nach jeder Dosisänderung wiederum 5 Eli-minationshalbwertszeiten benötigt werden, bis sich ein neues Fließgleichgewicht eingestellt hat.

⊡ Abb. 26.7. Zeitverlauf der Plasmaspiegel bei Mehrfachdosierung im unterschiedlichen Intervall. In beiden Fällen wird die gleiche orale Tagesdosis eines Medikamentes mit einer Eliminationshalbwertszeit

von 20 h gegeben, im Fall der gestrichelten Kurve als Einmaldosis (Dosierungsintervall tint = 24 h) und im Fall der durchgezogenen Linie aufgeteilt in 3 Einzeldosen (tint = 8 h)

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26.2 · Praktische Pharmakokinetik26593

Eliminationshalbwertszeit. Im interindividuellen Ver-gleich wird für das gleiche Medikament die Höhe des im Fließgleichgewicht zu erreichenden Plasmaspiegels auch sehr stark von der individuellen Eliminationshalbwerts-zeit bestimmt. Dies wird in ⊡ Abb. 26.9 dargestellt. Hier

wurde die gleiche Dosis eines Medikaments einem jungen und einem alten Patienten verabreicht. Aufgrund einer Einschränkung der metabolischen Kapazität der Leber ist beim alten Patienten die Eliminationshalbwertszeit des Medikaments verdoppelt. Obwohl die gleiche Dosis gege-

⊡ Abb. 26.8. Plasmaspiegelverlauf eines Medikamentes (t1/2 = 36 h) nach oraler Applikation im Dosierungsintervall von 8 h bei Gabe zweier unterschiedlicher Dosen: einfache Dosis (durchgezogene Linie) und

doppelte Dosis (gestrichelte Linie). Nach 6 Tagen wird das Dosisschema gerade getauscht

⊡ Abb. 26.9. Verlauf des Plasma-spiegels eines Medikamentes nach Beginn der Einnahme einer fixen Tagesdosis (2-mal täglich, 12 h Inter-vall) bei einem jungen Patienten mit einer hepatischen Eliminationshalb-wertszeit (t1/2) des Medikamentes von 24 h und bei einem alten Patienten mit einer Verlängerung von tl/2 auf 48 h. Beim alten Patienten wird durch diese Dosierung ein doppelt so hoher Plasmaspiegel als beim jungen Patien-ten erreicht. Darüber hinaus ist beim alten Patienten noch die Zeit bis zur Einstellung des "steady state" (Fließ-gleichgewichts) verdoppelt (ca. 10 Ta-ge im Vergleich zu 5 Tagen beim jun-gen Patienten) und auch die Zeit ver-längert, die nach Absetzen der Ein nahme benötigt wird, bis der Plasmaspiegel sich auf annähernd 0 eingestellt hat

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594 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

ben wird, wird beim alten Patienten ungefähr der doppel-te Plasmaspiegel im Fließgleichgewicht erreicht. Darüber hinaus benötigt der alte Patient ebenfalls 5 Eliminations-halbwertszeiten zur Erreichung des Fließgleichgewichts, was im vorliegenden Fall bedeutet, dass der maximale bei dieser Dosis zu erreichende Plasmaspiegel beim älteren Patienten erst nach 10 Tagen erreicht wird im Vergleich zu 5 Tagen beim jungen Patienten. Der möglicherweise zu hohe Plasmaspiegel beim alten Patienten kann problem-los durch Gabe einer geringeren Dosis reduziert werden (⊡ Abb. 26.8). Keinen Einfluss hat der Therapeut aber auf den Zeitverlauf bis zum Eintreten des Fließgleichgewichts, das sich bei jeder Dosisänderung neu einstellen muss.

! Im interindividuellen Vergleich wird die Höhe des Plasmaspiegels wesentlich von der Eliminations-halbwertszeit determiniert.

26.2.4 Depotarzneiformen

Durch eine tägliche Dauermedikation können mehr oder weniger gleichmäßige Plasmaspiegel über längere Zeit aufrechterhalten werden. Ist die Compliance der Pati-enten schlecht, stellt sich oft die Frage nach einer De-potarzneiform, die einen gleichmäßigen Wirkstoffspiegel im Organismus über viele Tage mit einer einmaligen Ap-plikation gewährleisten soll.

Dieses Problem stellt sich in der Psychiatrie v. a. bei der Rezidivprophylaxe schizophrener Psychosen mit Neuroleptika. Hier werden besondere galenische Darrei-chungsformen benötigt, wie in ⊡ Abb. 26.10a veranschau-licht wird. Die gleiche Dosis des Neuroleptikums Fluphe-nazin wurde in 3 unterschiedlichen Zubereitungsformen verabreicht.

Im einfachsten Falle wird das Fluphenazin als Di-hydrochlorid (also nicht als Depot) intramuskulös appli-ziert. Wie zu erwarten, findet man hier gleich nach Appli-kation sehr hohe Plasmaspiegel von fast 50 ng/ml, die dann in guter Übereinstimmung mit der Eliminations-halbwertszeit der Substanz (t1/2 = 15 h) exponenziell abfal-len. Ein therapeutisch erwünschter Plasmaspiegel im Be-reich von 0,5–1 ng/ml wird bei dieser Applikationsform praktisch nur am letzten Tag erreicht. In den ersten Tagen wäre bei dieser Applikationsform aufgrund des sehr ho-hen Plasmaspiegels mit extremen Nebenwirkungen zu rechnen.

Gibt man die gleiche Dosis des Fluphenazins als De-potform (entweder als Önanthat oder als Dekanoat), so wird aus beiden Zubereitungsformen der Wirkstoff lang-sam freigegeben. Man erhält einen wesentlich gleichmä-ßigeren Plasmaspiegel über die Zeit. Dieser schwankt beim Önanthat aber immer noch erheblich zwischen einem Wert von ungefähr 3 ng/ml am Tag 3, der dann am Tag 14 auf <0,5 ng/ml abfällt. Im Falle des Dekanoats bleibt der Plasmaspiegel wesentlich konstanter und be-

wegt sich zwischen Tag 1 und Tag 14 sehr eng im Bereich um 0,7 ng/ml. Der steile Anstieg des Fluphenazin-Plas-maspiegels am ersten Tag auch bei der Gabe von Dekano-at ist in diesem Fall wahrscheinlich auf eine Verunreini-gung des Dekanoats mit freiem Fluphenazin zurückzu-

⊡ Abb. 26.10a,b. Plasmaspiegelverläufe von a Fluphenazin nach i.m.-Gabe von jeweils 25 mg unterschiedlicher Fluphenazinzubereitungen (nach Kapfhammer u. Rüther 1987); b von Methylphenidat nach Einnahme (3-mal täglich) einer schnell freisetzenden Tablette oder nach Einmaleinnahme einer Retard-Kapsel (Concerta®). Die Retardierung wird hier durch eine spezielle Kapsel erreicht (Oros-Technologie), wo der Wirkstoff langsam aus der Kapsel durch Osmose freigesetzt wird. (Nach Vulkow u. Swanson 2003)

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Plasmaspiegelverläufe von Methylphenidatbei Kindern mit ADHS

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26.2 · Praktische Pharmakokinetik26595

führen und ist bei heutigen Präparaten nicht mehr zu sehen. Von den neueren atypischen Neuroleptika steht bis heute nur das Risperidon als parenterales (i.m.) De-pot-Neuroleptikum zur Verfügung. Die 14-tägigen Dosie-rungsintervalle werden hier durch eine verzögerte Frei-setzung des Wirkstoffs aus Mikropellets erreicht. Bei den meisten anderen Atypika ist wegen der hohen benötigten Tagesdosen eine Depotarzneiform nicht realisierbar.

Methylphenidat, was heute als Standardtherapie der ADHS gilt, hat eine kurze Halbwertszeit und muss daher meist 3-mal täglich eingenommen werden. Für die Kinder und Jugendlichen bedeutet dies mindestens eine Einnah-me während der Schulzeit, was mit einer erheblichen Stig-matisierung verbunden sein kann. Dies wird bei oralen Depotarzneiformen (⊡ Abb. 26.10b) umgangen, die eine kontinuierliche Freigabe vom Morgen bis in den Nach-mittag gewährleisten.

26.2.5 Pharmakokinetische Interaktionen

Bei der Behandlung mit Arzneimitteln fallen immer wie-der Patienten auf, die nach Gabe von Standarddosen un-gewöhnlich im Hinblick auf erwünschte oder uner-wünschte Wirkungen reagieren. Dieses Phänomen beruht teilweise auf den erheblichen interindividuellen Unter-schieden des Arzneimittelstoffwechsels. Hierbei ist insbe-sondere das Zytochrom P-450-System involviert. Ursa-chen dieser Variabilität von Patient zu Patient können außer in genetischen Polymorphismen (z. B. CYP2D6: 8% der Bevölkerung sind »poor metabolizers«) in der In-duktion oder Hemmung der Zytochrom P-450-Enzymak-tivitäten durch gleichzeitig verabreichte Arzneimittel oder Nahrungsbestandteile liegen. Es tritt häufig eine er-wartete Response bei einer ungewöhnlichen Dosis auf. So kann z. B. bei einem Patienten die Wirkung bei einer Do-sis ausbleiben, die normalerweise therapeutisch wirksam ist. Umgekehrt kann ein Patient eine dosisabhängige Ne-benwirkung bei einer Dosis entwickeln, die sonst gut to-leriert wird. Pharmakokinetische Interaktionen werden oft fälschlicherweise dem Patienten zugeschrieben, der als »resistent« oder »sensibel« eingestuft wird, und haben ein ähnliches Resultat wie eine Dosisveränderung.

! Besonders relevant sind pharmakokinetische In-teraktionen bei Arzneimitteln mit kleiner thera-peutischer Breite.

Durch eine bestimmte Komedikation kann eine Plasma-spiegelerhöhung des Arzneimittels hervorgerufen wer-den, die mit einem starken Anstieg der Nebenwirkungen bis hin in den toxischen Bereich verbunden ist.

Kombination mit anderen Arzneimitteln. Wechselwir-kungen zwischen Medikamenten spielen in der Psycho-pharmakologie eine wichtige Rolle. Psychopharmaka

werden häufig mit anderen psychotropen Arzneimitteln kombiniert, was zu Veränderungen der Pharmakokinetik der Substanzen führen kann. Hinzu kommt, dass bei psy-chiatrischen Patienten und hier speziell bei älteren Pati-enten häufig eine internistische Komorbidität vorliegt, die mit den entsprechenden Arzneimitteln behandelt wird.

Ebene der Interaktion. Interaktionen auf der Ebene der hepatischen Metabolisierung nehmen v. a. bei Psycho-pharmaka einen bedeutenden Stellenwert ein, während Interaktionen auf der Ebene der Verteilung (z. B. Plas-maproteinbindung) oder der Elimination (Lithium) nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Im Folgenden werden die pharmakokinetischen In-teraktionen der hepatischen Metabolisierung am Beispiel der Antidepressiva ausführlicher dargestellt.

Hepatische MetabolisierungDie Kenntnisse über Arzneimittelinteraktionen erweitern sich ständig und wurden durch die Einführung der neue-ren Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Sero-toninwiederaufnahmehemmer (SSRI) intensiviert.

Antidepressiva der ersten Generation. Bei den schon lan-ge zur Verfügung stehenden tri- und tetrazyklischen An-tidepressiva (TZA) stellten v. a. die pharmakodyna-mischen Interaktionen ein wichtiges Problem dar, da sie nicht nur Rezeptorsysteme im ZNS, sondern auch in der Peripherie beeinflussen können. Darüber hinaus sind ad-ditive Effekte mit ähnlich wirkenden Substanzen möglich (z. B. das Auftreten des zentralen Serotoninsyndroms oder des anticholinergen Delirs). Zudem sind mit diesen Substanzen auch pharmakokinetische Interaktionen, v. a. auf der Ebene der hepatischen Metabolisierung, häufig. Diese Interaktionsprobleme sind für alle Vertreter der strukturverwandten Gruppe der TZA ähnlich. Da die meisten dieser älteren Substanzen nur eine geringe thera-peutische Breite haben, ist v. a. eine Wirkungsverstär-kung des TZA gefürchtet.

Neuere Antidepressiva. Diese Situation hat sich durch die Einführung der Antidepressiva der 2. bzw. 3. Generation, den SSRI, wesentlich gebessert, denn diese haben: Eine größere therapeutische Breite, ein erhöhtes Sicherheitsprofil gegenüber Überdosie-

rungen mit Mortalitätsrisiko und in der Regel kein kardiales Risiko.

Bei diesen Substanzen muss man mit weniger pharmako-dynamischen und pharmakokinetischen Interaktionen rechnen, so dass mit den SSRI ein echter therapeutischer Fortschritt vorliegt. Aber auch die SSRI sind als Gruppe nicht ganz frei von Interaktionsproblemen. Einige SSRI (Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin) wirken als po-

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596 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

tente Enzyminhibitoren des hepatischen Zytochrom P-450-System. Somit kann – im Gegensatz zu den TZA – eine kritische Wirkungsverstärkung des Kombinationsarznei-mittels auftreten.

Inhibition von CYP-Isoenzymen⊡ Tab. 26.5 zeigt, welche CYP-Isoenzyme von Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin inhibiert werden. Die aufge-führten Substrate, die über die entsprechenden Enzyme metabolisiert werden, stellen somit potenzielle Interak-tionspartner dar. So ist z. B. die Kombination von Fluvox-amin und Theophyllin kritisch, da Fluvoxamin den Ab-bau von Theophyllin über CYP1A2 inhibiert. Theophyllin besitzt außerdem nur eine geringe therapeutische Breite. Die Komedikation kann somit zu einer Theophyllinplas-maspiegelerhöhung führen, die das klinische Erschei-nungsbild einer Theophyllinüberdosierung, wie Tremor und eine ausgeprägte Tachykardie, zeigt. Eine derartige Interaktion würde sich nach dem heutigen Wissensstand voraussagen lassen.

! Exaktes Wissen über die Mechanismen, die solche Interaktionen auslösen können, muss daher heu-te als Grundlage für den rationalen Umgang mit den SSRI gelten.

Basierend auf den metabolischen Grundlagen sind einige kritische Interaktionspartner der SSRI und von Carbama-zepin exemplarisch in ⊡ Tab. 26.6 zusammengefasst.

Klinische Einschätzung. Die klinische Einschätzung einer pharmakokinetischen Interaktion erfolgt dabei je nach

Ausmaß des Plasmaspiegelanstiegs bzw. der Vergröße-rung der »area under the curve« (AUC) des gleichzeitig verabreichten Substrats von nicht klinisch relevant (<20%) über leicht (20–50%), mittelgradig (50–150%) bis stark (>150%). Auch hier gilt: Cave Arzneimittel mit klei-ner therapeutischer Breite! ⊡ Tab. 26.6 zeigt v. a. kritische Interaktionspotenziale mit mittelgradiger bis starker kli-nischer Relevanz. Auch Carbamazepin ist ein Arzneimit-tel mit kleiner therapeutischer Breite. Kombinationen mit Substanzen wie Erythromyzin, die das Abbauenzym CYP3A3/4 inhibieren, sollten somit auf jeden Fall vermie-den werden.

Zwei Substrate des gleichen EnzymsBei den bisher beschriebenen Interaktionen handelte es sich hauptsächlich um eine Kombination eines potenten Inhibitors mit einem Substrat des gleichen CYP-Isoen-zyms. Bei dieser Kombination sind die ausgeprägtesten Arzneimittelinteraktionen zu erwarten. Aber auch 2 Subs-trate können die Enzymaktivität ihres gemeinsamen Ab-bauenzyms in einem gewissen Maße beeinflussen. So be-sitzen z. B. auch Neuroleptika eine inhibitorische Potenz auf bestimmte CYP-Isoenzyme, was den Plasmaspiegel von z. B. gleichzeitig verabreichten Antidepressiva anstei-gen lässt. Meist kommt es allerdings hier nicht zu klinisch relevanten Interaktionen.

Beitrag zur GesamtclearanceFür die Abschätzung einer möglichen Interaktion muss außerdem noch beachtet werden, in welchem Umfang ein Abbauweg zur gesamten Clearance des Arzneimittels bei-

⊡ Tab. 26.6. Kritische Interaktionspotenziale einzelner Psychopharmaka basierend auf pharmakokinetischen Interaktionen

Psychopharmaka Pharmakokinetische Interaktionspartner Art der Interaktion und klinische Relevanz

SSRI im Vergleich:

Citalopram – Keine Enzyminhibition, deshalb keine klinisch relevanten Interaktionen bekannt

Fluoxetin und Norfluoxetin

β-Blocker, trizyklische Antidepressiva, Mianserin, Venlafaxin, Maprotilin, Haloperidol, Clozapin, Propafenon, Opiate

CYP2D6-Enzyminhibition durch Fluoxetin und Norfluoxetin:Klinisch relevante Erhöhung der Plasmaspiegel der Inter-aktionspartner, dadurch vermehrte Nebenwirkungen

Fluvoxamin Trizyklische Antidepressiva, Clozapin, Proprano-lol, Theophyllin, Koffein, TacrinTrizyklische Antidepressiva, Moclobemid, Hexo-barbital, Diazepam, Propranolol

CYP1A2- und CYP2C19-Enzyminhibition durch Fluvoxamin:Klinisch relevante Erhöhung der Plasmaspiegel der Interak-tionspartner, dadurch vermehrte Nebenwirkungen

Paroxetin (Analog Fluoxetin)β-Blocker, trizyklische Antidepressiva, Mianserin, Venlafaxin, Maprotilin, Haloperidol, Clozapin, Propafenon, Opiate

CYP2D6-Enzyminhibition durch Paroxetin:Klinisch relevante Erhöhung der Plasmaspiegel der Inter-aktionspartner, dadurch vermehrte Nebenwirkungen

Sertralin – Keine Enzyminhibition, deshalb keine klinisch relevanten Interaktionen bekannt

Carbamazepin Ketoconazol, Itraconazol; Makrolidantibiotika (z. B. Erythromycin)

CYP3A3/4-Enzyminhibition durch Komedikation:Höhere Carbamazepin-Plasmaspiegel, dadurch vermehrte Carbamazepin-Nebenwirkungen bis hin zur Neurotoxizität

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26.2 · Praktische Pharmakokinetik26597

trägt. Dies soll am Beispiel von Citalopram verdeutlicht werden (⊡ Abb. 26.3). Der initiale Metabolisierungsschritt ist die Demethylierung von Citalopram zu Desmethylci-talopram. In diesen Schritt scheinen die Isoenzyme CYP2C19 und/oder CYP3A3/4 involviert zu sein. Desme-thylcitalopram wird im 2. Schritt zumindest teilweise über das Isoenzym CYP2D6 zu Didesmethylcitalopram deme-thyliert.

Das Verhältnis der Plasmakonzentration von Cital-opram zu den Metaboliten Desmethylcitalopram soll 2–3:1 und von Citalopram zu Didesmethylcitalopram 10–15:1 bei erwachsenen Patienten und Probanden betragen. Demzufolge spielt der Metabolismus von Citalopram über das CYP2D6-Enzym nur eine untergeordnete Rolle in der Gesamtclearance. Ein CYP2D6-Inhibitor würde so-mit keine klinisch relevante Interaktion bewirken. Im Gegensatz dazu wird bei der Metabolisierung von Imipra-min – neben einer direkten Hydroxylierung – durch De-methylierung der aktive Metabolit Desipramin gebildet. Ein CYP2D6-Inhibitor würde somit eine deutliche phar-makokinetische Interaktion erzeugen.

EnzyminduktionNeben den bisher aufgeführten Interaktionen aufgrund einer CYP-Enzyminhibition kann umgekehrt auch eine Enzyminduktion stattfinden. Somit kann es zu einer stär-keren Metabolisierung und folglich zu konsekutiv ernied-rigten Plasmaspiegelkonzentrationen kommen. Wichtige Induktoren sind Phenobarbital, Carbamazepin, Rifampi-cin, Nikotin, Alkohol, orale Kontrazeptiva und andere Östrogenpräparate. Diese Kombinationen führen dem-nach nicht zu einem kritischen Anstieg der Nebenwir-kungen, sondern zu einer »Unterdosierung« und dem-nach zu einer herabgesetzten Wirkung des Arzneimit-tels.

26.2.6 Pharmakokinetik im Alter

Im Alter können praktisch alle Einzelparameter der Phar-makokinetik von Psychopharmaka verändert sein (Mül-ler 1997 b). Von Praxisrelevanz sind für Psychopharmaka Veränderungen der Elimination im Sinne einer verlän-gerten Eliminationshalbwertszeit. Dies gilt für das einzige primär renal eliminierte Psychopharmakon (Lithium), aber ganz besonders für alle anderen Psychopharmaka, die hepatisch eliminiert werden. Betroffen sind v. a. Psy-chopharmaka, die in einer Phase-I-Reaktion metabolisch verändert werden müssen (⊡ Tab. 26.2). Weniger stark betroffen von altersabhängigen Veränderungen der Phar-makokinetik sind Psychopharmaka, die nur über eine Phase-II-Reaktion (z. B. Glukoronidierung) eliminiert werden. Wie differenziert das Alter die Elimination auch innerhalb einer Substanzklasse beeinflussen kann, ist am Beispiel einiger Benzodiazepine in ⊡ Tab. 26.7 gezeigt.

Pharmakokinetische Veränderungen im Alter. Die Herab-setzung der metabolischen Aktivität der Leber im Alter kann 2 wichtige pharmakokinetische Parameter beein-flussen. Einerseits wird, wie ⊡ Abb. 26.9 zeigt, durch eine Verlängerung der Eliminationshalbwertszeit bei beibe-haltener Dosis der im Fließgleichgewicht zu erreichende Plasmaspiegel erhöht. Andererseits wird durch eine Re-duktion der hepatischen Metabolisierung der First-pass-Metabolismus verringert, was zu einer Verbesserung der Bioverfügbarkeit führt (⊡ Abb. 26.5). Beide Prozesse füh-ren aber letztlich dazu, dass bei gleicher Dosierung die Plasmaspiegel bei älteren Patienten deutlich höher sein können als bei jungen Patienten. Dies impliziert immer die Gefahr einer relativen Überdosierung.

! Durch Reduktion der Dosis beim älteren Patienten kann zwar die Höhe des Plasmaspiegels im Fließ-gleichgewicht angepasst werden, nicht aber das verlängerte Zeitintervall, bis das Fließgleichge-wicht erreicht wird. Deswegen sollten Dosisverän-derungen beim älteren Patienten erst nach länge-ren Zeitintervallen vorgenommen werden als bei jüngeren Patienten.

Pharmakodynamische Empfindlichkeit. Darüber hinaus kann sich die Therapie mit Psychopharmaka bei älteren Patienten dadurch komplizieren, dass selbst bei Substan-zen, deren Pharmakokinetik im Alter nicht verändert ist (z. B. einige Benzodiazepinderivate, ⊡ Tab. 26.7), auf-grund einer Erhöhung der pharmakodynamischen Emp-findlichkeit älterer Patienten eine Dosisreduktion ange-bracht ist. Allerdings benötigt nicht jeder ältere Patient eine geringere Dosis als jüngere Patienten, so dass im Ein-zelfall auch bei älteren Patienten der zur Verfügung ste-

⊡ Tab. 26.7. Einfluss des Alters auf die terminale Eliminations-halbwertszeit (t1/2) verschiedener Benzodiazepine. (Nach Klotz u. Laux 1996)

Wirkstoff Zunahme von t1/2 [%]

HypnotikaBrotizolam ±35–95Flunitrazepam ±0Flurazepam ±35–135Lorazepam ±0Lormetazepam ±0Nitrazepam ±40Temazepam ±0Triazolam ±0

TranquillanzienAlprazolam ±40Bromazepam ±75Chlordiazepoxid ±80–370Diazepam ±125–200Lorazepam ±0Oxazepam ±0

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598 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

hende Dosisbereich ausgeschöpft werden muss. Die Ein-gangs- oder Initialdosis sollte aber stets niedriger sein als bei jüngeren Patienten.

26.2.7 Dosis, Plasmaspiegel und Wirkung

Nur für sehr wenige der in Psychiatrie und Neurologie eingesetzten Medikamente können Patienten auf einen optimalen Plasmaspiegelbereich eingestellt werden. Ne-ben einigen Antiepileptika gilt das v. a. für das Lithium. Pharmakokinetisch gesehen ist allen diesen Substanzen gemeinsam, dass sie ein relativ kleines Verteilungsvolu-men haben (⊡ Tab. 26.3). Das bedeutet, dass ein relativ großer Prozentsatz der im Körper vorhandenen Dosis sich im Plasma nachweisen lässt. Nur dann gibt das Kom-partiment Plasma einen relativ guten Einblick in den Ge-samtkonzentrationsverlauf im Organismus. Dies gilt für die meisten in der Regel sehr lipophilen Psychopharmaka nicht.

Diese ungünstigen pharmakokinetischen Vorausset-zungen erklären letztlich, warum für viele Psychophar-maka die individuelle Dosis nicht anhand eines Plasma-spiegels, sondern anhand der therapeutischen Situation festgelegt werden muss. Andererseits können aber trotz-dem bei einer ganzen Reihe von Substanzen Plasmaspie-gelbestimmungen sehr hilfreich sein und sollten deshalb zumindest im stationären Bereich zur Verfügung stehen

(Baumann et al. 2004). Viele Untersuchungen gerade bei Neuroleptika und Antidepressiva haben gezeigt, dass durch konsequent angewandte Plasmaspiegelbestim-mungen sehr leicht diejenigen Patienten herausgefunden werden können, die sich an den Randbereichen bewegen. So sind viele unter normalen klinischen Dosierungen als Non-Responder einzuordnende Patienten deshalb Non-Responder, weil sie ungenügende Plasmaspiegel zeigen. Die Ursache hierfür kann auf metabolischer Ebene liegen, aber auch durch eine Non-Compliance bedingt sein.

! Durch konsequent durchgeführte Plasmaspiegel-bestimmungen können gerade bei einer Antide-pressivatherapie Patienten sowohl vor Intoxikati-onen als auch vor anderen belastenden Neben-wirkungen geschützt werden (� Kap. 23, S. 522 f).

26.3 Die zentrale Neurotransmission als Angriffspunkt der Psychopharmaka

Aufgrund der zentralen Rolle der chemischen Neuro-transmission für die Kommunikation innerhalb des Netz-werkes von Nervenzellen in unserem Gehirn (� Kap. 7) ist es nicht weiter verwunderlich, dass fast alle Psychophar-maka über einen Angriff in die chemische Neurotrans-mission wirken (⊡ Abb. 26.11). Hierbei können praktisch

⊡ Abb. 26.11. Schematische Darstellung einer chemischen Synapse als Kommunikations-prinzip zwischen 2 Nervenzellen. Der Transmitter selbst – oder meist seine Vorstufe – wird von spezi-fischen Systemen ins Neuron auf-genommen (A). Der aufgenom-mene bzw. aus der Vorstufe im Neuron synthetisierte Transmitter wird über axonalen Transport an die Nervenendigungen transpor-tiert (B) und dort in Vesikeln ge-speichert (C). Durch ein Aktions-potenzial des Axons und ein damit verbundener Ca2+-Einstrom wird der Transmitter durch Exozytose aus den Vesikeln in den synap-tischen Spalt freigesetzt (D) und kann nach Diffusion (E) mit Rezep-toren auf der post-synaptischen Seite reagieren (F). Die Inaktivie-rung des Transmitters erfolgt durch Abbau oder Aufnahme an der postsynaptischen Seite (G) durch Rückdiffusion (H) und Aufnahme ins präsynaptische Neuron (I) bzw. in Synapse-beglei-tende Gliazellen (J)

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alle prä- und postsynaptischen Mechanismen (⊡ Abb. 26.11) zentraler Synapsen beeinflusst werden. Eine wich-tige Ausnahme sind die meisten Phasenprophylaktika oder »mood stabilizer«, die meist direkt die Erregbarkeit von Nervenzellen reduzieren, häufig über Veränderungen von Ionenleitfähigkeitsmechanismen. Dies ist vor dem Hintergrund, dass diese Substanzen häufig primär als An-tikonvulsiva eingesetzt werden, nicht weiter verwunder-lich.

26.3.1 Akute pharmakologische Beeinflussung durch Psychopharmaka

Transmittersynthese. Veränderungen der Biosynthese von Neurotransmittern (� Kap. 7) spielen für Psycho-pharmaka fast keine Rolle. Das klassische Beispiel für ei-nen solchen Mechanismus ist die Verstärkung der rela-tiven dopaminergen Unteraktivität im nigrostriatalen dopaminergen System durch die Gabe der DA(Dopamin)-Vorstufe L-Dopa und deren erfolgreicher Einsatz in der Behandlung des idiopathischen Parkinson. Man hat ver-sucht, weitere rationale Pharmakotherapien zentralner-vöser Erkrankungen, bei denen als Ursache ein relativer Mangel eines bestimmten Neurotransmitters vermutet wird, zu entwickeln. Beispiele hierfür wären die Behand-lung der Alzheimer-Erkrankung mit Azetylcholinvorstu-fen wie Cholin und Lezithin oder die Depressionsbehand-lung mit L-Tryptophan bzw. 5-Hydroxytryptophan.

Im Gegensatz zu den guten therapeutischen Erfolgen der L-Dopa-Behandlung des Morbus Parkinson haben die anderen Behandlungsstrategien keine oder nur minimale klinische Erfolge gezeigt. Ebenso wenig erfolgreich waren Behandlungsversuche der Depression mit der NA(Nor-adrenalin)-Vorstufe L-Tyrosin.

Transmitterfreisetzung. Während die durch Exozytose vermittelte Freisetzung des Transmitters in die Synapse als Angriffspunkt von Psychopharmaka keine Rolle spielt, ist eine Beeinflussung regulativer Faktoren der Transmit-terfreisetzung als Wirkungsmechanismus von Psycho-pharmaka durchaus relevant. Zum Beispiel kann die Menge des synaptisch freigesetzten Noradrenalins durch inhibitorische Autorezeptoren (vom α2-Typ) im Sinne einer negativen Rückkopplung reguliert werden. Autore-zeptoren können entweder die Menge des freigesetzten Transmitters beeinflussen oder können auch seine Syn-theserate regulieren. Eine Blockade inhibitorischer α2-Rezeptoren und einer damit verbundenen initialen Erhö-hung der NA-Konzentration an zentralen Synapsen spielt für die Wirkung des Antidepressivums Mirtazapin eine große Rolle (� Kap. 26.4 und ⊡ Abb. 26.13a,b). Darüber hinaus ist eine Blockade dopaminerger inhibitorischer Autorezeptoren (vom Typ D2) im Gesamtwirkungsspekt-

rum von Neuroleptika, v. a. bei ihrem Einsatz in niedriger Dosierung als Tranquilizer, von Bedeutung (� Kap. 26.5, ⊡ Abb. 26.15)

Inaktivierung. Um eine repetitive Aktivierung postsynap-tischer Rezeptoren zu ermöglichen, muss der in die Syn-apse freigesetzte Transmitter sehr schnell wieder aus der Synapse entfernt werden. Neben enzymatischem Abbau sind hier v. a. die Wiederaufnahme ins präsynaptische Neuron bzw. die Aufnahme in die Synapse umgebende Gliazellen von Bedeutung. Der Wiederaufnahme-Carrier befördert den Transmitter mit hoher Affinität. Er erlaubt ein »Recycling« des Transmitters. Den Nachbarzellen feh-len solche hochaffinen Carrier meist, und in ihnen folgt der Aufnahme stets der Abbau. Für Dopamin, Noradre-nalin, Serotonin, Glutamat, GABA und Glyzin gibt es je-weils verschiedene spezifische Wiederaufnahme-Carrier im präsynaptischen Axolemm. Sie sind nicht verwandt mit den vesikulären Carriern. Der Wiederaufnahmetrans-porter für Noradrenalin wird z. B. durch das Antidepres-sivum Desipramin, nicht aber durch Reserpin blockiert, das nur die vesikuläre Speicherung zu blockieren ver-mag.

Eine Blockade solcher Inaktivierungsmechanismen stellt einen für Psychopharmaka wichtigen Angriffspunkt dar. So blockieren z. B. viele klassische Antidepressiva die neuronale Wiederaufnahme der Transmitter Noradrena-lin und Serotonin. Inhibitoren des u. a. in den Mitochond-rien (⊡ Abb. 26.13a,b) lokalisierten Enzyms MAO hem-men den intra- und extraneuronalen Abbau aminerger Transmitter. Verschiedene Substanzen, die über eine Hemmung der Azetylcholinesterase die synaptische Kon-zentration von Azetylcholin im ZNS erhöhen, werden z. Z. für die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung the-rapeutisch genutzt.

Rezeptoren. Die Informationsweitergabe wird auf der postsynaptischen Seite von Rezeptoren übernommen, die vom freigesetzten Transmitter besetzt werden und das hierüber ausgelöste Signal dann über verschiedene Trans-duktionsmechanismen in das rezeptive Neuron weiterlei-ten. Ähnlich wie im peripheren Nervensystem ist dieser Teil der chemischen Neurotransmission im ZNS ein ganz wesentlicher Angriffspunkt für Pharmaka. Neben Ago-nisten, die die Funktion des physiologischen Transmit-ters nachahmen, gibt es hier Antagonisten, die durch eine Blockade der Rezeptoren die Informationsweitergabe un-terbinden. In den letzten Jahren bekommen sog. partielle Agonisten eine zunehmende Bedeutung. Sie können zwar den Rezeptor aktivieren, die Signalübertragung in das re-zeptive Neuron ist aber nur abgeschwächt. In Gegenwart hoher synaptischer Konzentrationen des physiologischen Transmitters wirken sie eher als Antagonisten.

26.3 · Die zentrale Neurotransmission als Angriffspunkt der Psychopharmaka

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600 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

26.3.2 Adaptionsphänomene und klinischer Wirkungseintritt

Die bisher beschriebenen Effekte sind alle mehr oder we-niger akuter Natur, d. h. nach Applikation des Psycho-pharmakons sind sie in relativ kurzer Zeit vorhanden und deutlich ausgeprägt. Dieser sehr schnelle Eintritt der aku-ten pharmakologischen Wirkung steht bei einer Reihe von Psychopharmaka im Gegensatz zum Zeitverlauf der gewünschten klinischen Wirkung, die sich oft erst über einen Zeitraum von Tagen oder Wochen ausbildet. Dies hat zu der Annahme geführt, dass die oben beschriebenen akuten Effekte möglicherweise nicht den eigentlichen Wirkungsmechanismus einer Reihe von Substanzen dar-stellen, sondern dass sie nur den Anstoß zu adaptiven Veränderungen der Funktionalität bestimmter zentraler Neurone geben.

Die extrem komplexe Verschaltung aller zentraler Neurone untereinander bringt es mit sich, dass viele zen-trale Neurone zu einer Reihe von adaptiven Leistungen fähig sind, d. h. sie können ihren Funktionszustand den vorliegenden Bedingungen anpassen und damit über-schießende oder ungenügende Aktivitäten in bestimmten Bereichen des ZNS kompensieren bzw. ausgleichen. Dies kann in größeren Regelkreisen erfolgen, in die verschie-dene Neurone involviert sind, dies kann aber auch schon an einer einzelnen Synapse passieren, wo in vielen Fällen die postsynaptische Seite in der Lage ist, Perioden chro-nischer Über- bzw. Unteraktivität der Präsynapse durch bestimmte Adaptationen der Rezeptorkonzentration, aber auch der Rezeptorfunktionalität zu kompensieren.

Adaptionsphänomene bei Antidepressiva. Wichtigstes Beispiel dafür, dass der eigentliche Wirkungsmechanis-mus von Psychopharmaka mit der Ausbildung solcher kompensatorischer Mechanismen verbunden ist, sind die Antidepressiva. Bei den Antidepressiva geht man heute davon aus, dass, z. B. angestoßen durch die akute Blocka-de der neuronalen Wiederaufnahme und der damit ver-bundenen initialen Konzentrationserhöhung der Trans-mittersubstanzen Noradrenalin bzw. Serotonin in den jeweiligen Synapsen, solche adaptiven Veränderungen auf der postsynaptischen Seite ausgelöst werden. Diese Veränderungen lassen sich im noradrenergen wie auch im serotonergen System finden und betreffen Verände-rungen von Dichte und Funktionalität der postsynap-tischen Rezeptoren.

Die heutigen Vorstellungen solcher adaptiver Verän-derungen an der serotonergen Synapse, wie sie von sehr vielen Antidepressiva ausgelöst werden, sind in ⊡ Abb. 26.12 zusammengefasst. Hiermit soll auch die Komplexi-tät dieser Phänomene alleine auf der Ebene der klas-sischen Neurotransmission dokumentiert werden.

Weitere Adaptionsphänomene. Ein anderes Beispiel für adaptive Veränderungen der Funktionalität zentraler Neurone, die wahrscheinlich sehr eng mit dem eigent-lichen Wirkungsmechanismus von Psychopharmaka ver-bunden sind, wäre der sich erst langsam ausbildende De-polarisationsblock dopaminerger Neurone des mesolim-bischen bzw. nigrostriatalen dopaminergen Systems unter chronischer Therapie mit Neuroleptika.

⊡ Abb. 26.12. Mögliche adap-tive Veränderungen verschie-dener Mechanismen der seroton-ergen Neurotransmission unter chronischer Gabe von Antide-pressiva; 5-HT 5-Hydroxytrypto-phan/Serotonin, MAO Mono-aminooxidase, PLC Phospho-lipase C. (Nach Leonhard 1995, 1996; Müller u. Eckert 1997)

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26601

26.3.3 Pharmakologische Selektivität und funktionelle Spezifität

Bei unserem heutigen Verständnis zentralnervöser Funk-tionen müssen wir davon ausgehen, dass einzelne Funk-tionen unseres Gehirns bestimmten Kerngebieten bzw. bestimmten Verbänden von Neuronen zugeordnet wer-den können, die allerdings dann zusätzlich noch über ver-schiedenartige Querverbindungen modulierende Impulse aus anderen Arealen des Gehirns erhalten. Ausgehend von dem klinischen Vorhaben, bestimmte psy chopathologische Symptome bzw. Syndrome möglichst selektiv korrigieren zu können, sind solche Psychopharmaka wünschenswert, die gezielt bestimmte Funktionen oder ggf. bestimmte Areale des ZNS beeinflussen können.

Pseudoselektivität der Benzodiazepine. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Meinung, dass Benzodiazepine hauptsächlich in Arealen des limbischen Systems wirken. Sie wird in noch sehr vielen Lehrbüchern vertreten. Diese Aussage ist in dieser Vereinfachung mehrfach falsch. Zum einen wissen wir heute, dass Benzodiazepine prak-tisch alle Bereiche des ZNS beeinflussen, da ja eben in praktisch allen Bereichen des ZNS auch Benzodiazepinre-zeptoren vorhanden sind. Dass sie auch und möglicher-weise sogar besonders gut bestimmte emotionelle Funk-tionen beeinflussen, die wir mit dem limbischen System assoziieren, ist nicht dadurch zu erklären, dass die Benzo-diazepine bevorzugt im limbischen System angreifen, sondern ist damit zu erklären, dass Areale des limbischen Systems eine sehr hohe Dichte an Benzodiazepinrezep-toren aufweisen. Das heißt, Benzodiazepine sind spezi-fisch für die mit ihrer Wirkung eng verbundenen Rezep-toren, sie sind aber nicht spezifisch für einzelne Hirnare-ale oder einzelne funktionelle Abläufe unseres ZNS.

Funktionelle Selektivität. Dass Psychopharmaka über-haupt unterschiedliche Wirkungsqualitäten zeigen, muss dadurch erklärt werden, dass ein bestimmter Effekt, den man mit einer gegebenen Substanz über einen spezi-fischen biochemischen Mechanismus (z. B. an einem Re-zeptor) erreichen kann, in einem Hirnareal funktionell relevant ist, in einem anderen Hirnareal aber bei der Fül-le von neurochemischen Impulsen funktionell keine große Rolle spielt. Die Strategie, biochemisch hochselek-tive Psychopharmaka zu entwickeln, die z. B. nur noch eine Unterklasse eines Rezeptors aktivieren, erhöht die Chance, dass eine Beeinflussung dieses hochselektiven Systems nur noch in sehr wenigen Arealen des ZNS funk-tionell relevant wird. Insofern kann diese Strategie durch-aus zu funktionell spezifischen Pharmaka führen.

Klinische Spezifität kann leider oft nicht durch die experimentelle Pharmakologie vorhergesagt werden, sondern muss erst durch die klinische Praxis erwiesen werden.

Cave

Es muss davor gewarnt werden, von vornherein ein Psychopharmakon, das pharmakologisch hochselektiv ist (im Hinblick auf seinen biochemischen Angriffs-punkt), auch in der klinischen Einschätzung als funktio-nell spezifisch zu betrachten.

Selektivität vs. Spezifität. Als Beispiel für diese kritische Aussage sind die neuen hochselektiven Serotoninwieder-aufnahmehemmer zu erwähnen, die im Vergleich zu den klassischen trizyklischen Antidepressiva eine hohe phar-makologische Selektivität aufweisen. Eine klinische Spe-zifität im Sinne eines besseren oder schlechteren Anspre-chens bestimmter Untergruppen depressiver Patienten konnte für diese Substanzen allerdings bis heute nicht belegt werden. Darüber hinaus entwickelt man heute, nach einer Phase hochselektiver Substanzen, ganz be-wusst auch Psychopharmaka mit mehreren bioche-mischen Wirkungsmechanismen (z. B. die dualen Anti-depressiva oder die atypischen Neuroleptika). Die Selek-tivität verschiedener Antidepressiva ist in ⊡ Tab. 26.8 dargestellt.

26.4 Psychopharmakologische Grundlagen der Antidepressiva

26.4.1 Biochemische Wirkungsmechanismen

Der Wirkungsmechanismus der Antidepressiva ist trotz intensiver Forschungsarbeiten in den letzten 50 Jahren noch nicht vollständig geklärt worden. Zwar sind die neu-robiochemischen Wirkungen antidepressiver Substanzen relativ gut aufgeklärt. Jedoch herrscht über den Stellen-wert dieser Wirkungen für die Beeinflussung der Depres-sion weiterhin Unklarheit, da wegen des Fehlens valider Modelle der Depression die biochemischen Grundlagen der Krankheit selbst letztlich noch nicht geklärt sind (Müller 1997 a; Frazer 1997; Leonhard 1995, 1996; Müller 2006; Ebmeier et al. 2006).

Wirkung an der monoaminergen Synapse. Seit der Entde-ckung der thymoleptischen Wirkung von Imipramin vor über 40 Jahren steht bei der Erforschung der Wirkungs-mechanismen von Antidepressiva die Übertragung an monoaminergen Synapsen des ZNS im Mittelpunkt des Interesses. Zunächst bezogen sich die biochemischen Hy-pothesen über die Ursachen der Depression auf einen Mangel an Transmittern im synaptischen Spalt, später auch auf eine reduzierte Sensibilität postsynaptischer Re-zeptoren. Die Wirkungsweise der Antidepressiva wurde als ein spezifischer Effekt (s. unten) auf diese hypothe-tischen Defizite angesehen. Bis heute gibt es praktisch

26.4 · Psychopharmakologische Grundlagen der Antidepressiva

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602 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

kein wirksames Antidepressivum, das nicht zumindest auch über die Monoamine wirkt (Berton u. Nestler 2006).

Wirkungen im gesamten neuronalen System. Zuneh-mend wird auch die Möglichkeit diskutiert, dass die anti-depressive Wirkung der Antidepressiva nicht solchen spezifischen Prozessen zuzuschreiben ist. So vermuten bereits Paioni et al. (1983), dass vielmehr monoaminerge Synapsen lediglich als besonders günstige Interventions-punkte zur pharmakologischen Beeinflussung neuronaler Systeme zu betrachten sind, und zwar im Sinne eines An-stoßes an einem Punkt mit der Folge einer langsamen Normalisierung des zuvor gestörten Gesamtregulations-systems. Hierfür sprechen die unter allen Antidepressiva nachweisbaren adaptiven Veränderungen in vielen Neu-rotransmittersystemen (� Kap. 26.3.1) und die Tatsache, dass die primär von den Antidepressiva angestoßenen zentralen Transmittersysteme (Noradrenalin, Serotonin, Dopamin) modulierend viele unterschiedliche anato-mische Strukturen oder viele unterschiedliche Funkti-onsabläufe des ZNS beeinflussen. Auch Stassen et al. (1996) kommen über die Auswertung von Zeitverläufen unter Antidepressiva und Plazebotherapie zu dem Schluss, dass die Antidepressiva eher nur einen physiolo-gisch ablaufenden Normalisierungsprozess beschleuni-gen.

Neuordnung statt Defizitregulierung. Dies würde bedeu-ten, dass weder die akut zu sehenden pharmakologischen Effekte (Aminwiederaufnahmehemmung, MAO-Hem-mung) noch die mit einer gewissen Latenzzeit auftre-tenden adaptiven Veränderungen verschiedener Signal-transduktionsmechanismen direkt neurochemische Defi-zite der Depression korrigieren, sondern nur Ausdruck einer Neuordnung bestimmter Funktionen der zentralen Neurotransmission darstellen, die letztlich zur depressi-onslösenden Wirkung beim Patienten führen.

Da viele sehr unterschiedliche Substanzklassen (Tri-zyklika, SSRI, MAO-Hemmer, Johanniskrautextrakt), aber auch Therapiemaßnahmen wie Elektrokrampfthera-pie (EKT) und Schlafentzug auf der Ebene der adaptiven Veränderungen konvergieren, könnte diese »Neuord-nungshypothese« erklären, dass viele pharmakologisch sehr unterschiedliche antidepressive Therapiemaßnah-men klinisch gesehen doch sehr analoge Wirkungen zei-gen können. Ein wichtiges Argument für diese Hypothese ist auch die Tatsache, dass diese adaptiven Verände-rungen auch im Tierexperiment eine gewisse Latenz zei-gen (1–2 Wochen), was wiederum besser mit der verzögert auftretenden antidepressiven Wirkung am Patienten kor-reliert als die akuten Effekte.

Wirkung durch Wiederaufnahmehemmung. Das bioche-mische Profil der Antidepressiva wird hauptsächlich ab-

⊡ Tab. 26.8. Inhibitionskonstanten und Rezeptorprofile der wichtigsten Antidepressiva für die Hemmung der neuronalen Wiederaufnah-me von Noradrenalin und Serotonin. Das 5-HT-Selektivitätsverhältnis gibt an, um wieviel die Substanz die Serotonin(5-HT)-Aufnahme stär-ker als die Noradrenalin(NA)-Aufnahme hemmt

Wirkstoff NA-Auf-nahme

5-HT-Auf-nahme

5-HT-Selektivität

H1-Rezeptor

M-Rezeptor

α1-Rezeptor

α2-Rezeptor

5-HT2- Rezeptor

TZAAmitriptylin 14 84 0,17 1 10 24 940 18Clomipramin 28 5 5.6 31 37 38 >1000 54Desipramin 0,6 180 0,003 60 66 100 >1000 350Dosulepin 34 110 0,3 3.6 25 470 2400 258Doxepin 18 220 0,08 0,2 23 24 >1000 27Imipramin 14 41 0,3 37 46 32 >1000 150Lofepramin 2 2400 0,001 360 67 100 2700 200Maprotilin 7 >1000 0,002 2 570 90 >1000 120Mianserin 42 >1000 0,01 0,4 820 34 73 7Mirtazapin >1000 >1000 – 0,5 500 500 10 5Nortriptylin 2 154 0,01 6 37 55 >1000 41Trazodon 5000 190 26 350 >>1000 36 490 7Trimipramin 510 >1000 0,02 0,3 58 24 680 32Viloxazin 170 >1000 0,01 >1000 >>1000 >1000 >>1000 >1000

SSRICitalopram >1000 1 3076 470 >1000 >1000 >1000 >1000Fluoxetin 143 14 10 >1000 590 >1000 >1000 280Fluvoxamin 500 7 71 >1000 >1000 >1000 >1000 >1000Paroxetin 33 0,7 47 >1000 110 >1000 >1000 >1000Sertralin 220 3 73 >1000 630 380 >1000 >1000Venlafaxin 210 39 5 >1000 >1000 >1000 >1000 >1000

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geleitet aus den akuten Wirkungen auf die NA- und Sero-toninwiederaufnahmehemmung (⊡ Abb. 26.13a, b und ⊡ Tab. 26.8) und den mit einer gewissen Latenz auftre-tenden adaptiven Veränderungen bestimmter zentraler Signaltransduktionsmechanismen (⊡ Abb. 26.13a, b und ⊡ Tab. 26.9). Wir unterscheiden somit zwischen: Selektiven NA-Wiederaufnahmehemmern (z. B. Ma-

protilin und besonders Reboxetin) bzw. hochselektiven Serotoninwiederaufnahmehemmern

(z. B. alle SSRI) und solchen Antidepressiva, die bezüglich dieser beiden

Systeme z T. auch über aktive Metabolite einen ge-mischten Einfluss haben (z. B. Amitriptylin, Imipra-min, Clomipramin und Venlafaxin).

Nachdem Nomifensin vor einigen Jahren vom Markt ge-nommen wurde, ist das kürzlich auch für die Depressi-onsbehandlung zugelassene Bupropion das einzige Anti-depressivum, das unter therapeutischen Bedingungen in relevantem Maß die Dopamin-Wiederaufnahme hemmt. Eine weitere Ausnahme bildet Johanniskrautextrakt, der über den wichtigsten Inhaltsstoff Hyperforin etwa gleich stark die synaptosomale Aufnahme von Serotonin, Nor-adrenalin und Dopamin hemmt (Müller 2003).

Wirkung auf Rezeptoren. Neben diesem Charakteristi-kum ist aber auch der Effekt der einzelnen Antidepressiva auf die prä- und postsynaptischen Rezeptoren für das Profil zu berücksichtigen, die allerdings weniger für die antidepressive Wirkung (Ausnahme α2-Antagonismus, primärer Wirkungsmechanismus bei Mirtazapin), son-dern eher für erwünschte (Sedation, Anxiolyse), beson-

ders aber für die vielen unerwünschten vegetativen Ne-benwirkungen der Antidepressiva verantwortlich sind (⊡ Tab. 26.10).

Wirkung durch verzögerten Abbau. Auch die reversiblen und irreversiblen MAO-Hemmer passen in dieses Sche-ma, da sie über eine Hemmung des enzymatischen Ab-baus von Noradrenalin und Serotonin letztlich auch zu einer erhöhten synaptischen Verfügbarkeit führen.

⊡ Abb. 26.13a,b. Effekte verschiedener Antidepressivagruppen an noradrenergen (a) und serotonergen (b) zentralen Synapsen

⊡ Tab. 26.9. Effekte verschiedener TZA, SSRI und von Venlafaxin auf adaptive Veränderungen der β-adrenergen und 5-HT2-ver-mittelten Neurotransduktion im Tierversuch. (Nach Müller u. Eckert 1997)

Wirkstoff β-Downregulation 5-HT-Downregulation

TZAAmitriptylin + +Clomipramin + +Desipramin + +Doxepin + +Imipramin + +Maprotilin + +Mianserin + +Nortriptylin + +Trimipramin − +

SSRICitalopram − −Fluoxetin (+) (+)Fluvoxamin + +Paroxetin − −Sertralin + +Venlafaxin + −

26.4 · Psychopharmakologische Grundlagen der Antidepressiva

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604 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

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Klinische WirkprofileIn Anbetracht der erheblichen Unterschiede in den phar-makologischen Profilen zwischen den Antidepressiva stellt sich zwangsläufig die Frage, inwieweit diese für die klinische Wirkung der Präparate von Bedeutung sind. Von verschiedenen Autoren wurde versucht, diese kli-nischen Wirkungsprofile der Antidepressiva untereinan-der abzugrenzen. Die bekannteste von Kielholz (1971)

vorgeschlagene schematische Darstellung unterscheidet 3 Wirkungsmerkmale (Antriebssteigerung, Stimmungs-aufhellung und Anxiolyse) der Antidepressiva, ohne dass es in klinischen Studien gelungen ist, Antidepressiva mit unterschiedlichem Wirkungsprofil für syndromal ver-schiedene Subgruppen von Depressiven zu klassifizieren. Auch im Hinblick auf die stimmungsaufhellende, also ei-gentliche antidepressive Kernwirkung, ist es nicht gelun-gen, quantitative Unterschiede zu belegen.

Die unterschiedliche pharmakologische Wirkung steht eher in einer Beziehung zu den typischen Nebenwir-kungen als zu den therapeutischen Effekten dieser Präpa-rate. So scheinen im Gegensatz zu den Trizyklika die SSRI weniger sedativ zu wirken und häufiger Schlafstörungen, innere Unruhe und Tremor hervorzurufen. Man geht da-her heute davon aus, dass sich die Antidepressiva in ihrer eigentlichen »antidepressiven« Kernwirkung eher nicht unterscheiden, sich aber aufgrund ihrer unterschied-lichen primär sedierenden bzw. schlafanstoßenden Ei-genschaften untergliedern lassen (⊡ Abb. 26.14). Nur die sedierenden Substanzen lassen sich bei bestimmten Indi-kationen als primäre Hypnotika einsetzen, während alle anderen Substanzen nur Schlafstörungen im Rahmen des depressiven Syndroms verbessern.

Wirkung auf das noradrenerge SystemDie traditionellen Hypothesen gingen davon aus, dass bei depressiven Patienten bzw. bei einer Subgruppe von de-pressiven Patienten ein Mangel des Neurotransmitters Noradrenalin in noradrenergen zentralen Synapsen be-steht. Obwohl sich diese pathophysiologischen Vorstel-lungen heute nicht mehr halten lassen, ist eine vermehrte synaptische Verfügbarkeit von NA ein wichtiger initialer

⊡ Tab. 26.10. Mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Hemmung der neuronalen Wiederaufnahme von Noradrena-lin (NA), Serotonin (5-HT) und Dopamin (DA) und der Blockade von Neurorezeptoren

Wieder-aufnahme-systeme

Unerwünschte Wirkungen

NA-Wieder-auf nahme

Verstärkung der Effekte von Sympathomi-metika

Tachykardie RR ↑ Unruhe, Tremor Erektions- bzw. Ejakulationsstörungen

5-HT-Wieder-aufnahme

Gastrointestinale Störungen, Übelkeit, Erbrechen

Unruhe, Schlafstörungen EPS (?) Appetitminderung, Gewichtsabnahme Kopfschmerzen Sexuelle Funktionsstörungen

DA-Wieder-aufnahme

Psychomotorische Aktivierung Psychoseauslösung bzw. -verstärkung Anti-Parkinson-Wirkung

Neurorezeptoren

M- Trockener Mund Verschwommenes Sehen,

Akkommodations störungen Sinustachykardie Verstopfung Harnretention, Miktionsstörungen Gedächtnisstörungen

H1 Sedation, Müdigkeit, Schläfrigkeit Verstärkung anderer zentral dämpfender

Substanzen Gewichtszunahme (?)

α1 Orthostase, RR ↓ Schwindel, Benommenheit, Sedation Reflextachykardie (+ α2-Blockade?) Verstärkung der Wirkung anderer

α1-Blocker

D2 EPS Prolaktin ↑ Sexuelle Funktionsstörungen

5-HT2 Appetitzunahme, Gewichtszunahme RR ↓

5-HT3 Antiemetische Wirkung Anxiolyse (?)

⊡ Abb. 26.14. Initiale Sedierungspotenz der Antidepressiva

Trimipramin

Nortriptylin

Reboxetin

Moclobemid

AmitriptylinAmitriptylinoxidDosulepinDoxepinMianserinMirtazapinTrazodonTrimipramin

ClomipraminImipraminLofepraminMaprotilin

BupropionCitalopramDesipraminEscitalopramFluoxetinFluvoxaminMoclobemidNortriptylinParoxetinReboxetinSertralinVenlafaxinViloxazin

Tranylcypromin

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Wirkungsmechanismus vieler Antidepressiva (Montgo-mery 1997). Eine Konzentrationserhöhung lässt sich me-dikamentös auf 3 Wegen erreichen (⊡ Abb. 26.13a):

Wiederaufnahmehemmung (»re-uptake-inhibition«). Verschiedene Antidepressiva hemmen relativ selektiv (z. B. Maprotilin, Reboxetin) oder nichtselektiv (z. B. Amitriptylin, Clomipramin, Imipramin und Venlafaxin) die Wiederaufnahme des Noradrenalin in die präsynap-tische Nervenendigung.

Präsynaptische α2-Rezeptorblockade. α2-Rezeptoren re-gulieren die NA-Konzentration im synaptischen Spalt in dem Sinne, dass sie bei zu hoher Konzentration die Frei-setzung und die Syntheserate von Noradrenalin bei den nachfolgenden Nervenimpulsen vermindern. Die Blocka-de dieser Rezeptoren erfolgt z. B. durch das Antidepressi-vum Mianserin und noch spezifischer durch Mirtazapin.

Im Gegensatz zu Mianserin antagonisiert Mirtazapin α1-Rezeptoren (⊡ Abb. 26.13b) auf serotonergen Neu-ronen nicht, so dass die erhöhte noradrenerge Aktivität auch zu einer Aktivitätszunahme des serotonergen Sys-tems führt.

Hemmung des Abbaus. Der Abbau von Noradrenalin er-folgt vorwiegend über die Monoaminoxidase-(MAO-)A. Wird diese Substanz durch selektive (Moclobemid) und nichtselektive (Tranylcypromin) MAO-Hemmer inhi-biert, verbleibt mehr Noradrenalin in der Synapse bzw. im synaptischen Vesikel.

Eine unlimitierte Erhöhung der NA-Konzentration in der Synapse gibt es aber bei keinem dieser synaptischen Eingriffe, da die Syntheserate von NA (auch bei α2-Blo-ckade) durch polysynaptische Rückkopplungsmechanis-men abnimmt.

Wirkung auf das serotonerge SystemTraditionelle Hypothesen gingen auch davon aus, dass bei Depressiven bzw. bei Subgruppen von Depressiven im ZNS ein Serotoninmangel im synaptischen Spalt besteht. Obwohl sich auch diese pathophysiologischen Vorstel-lungen bis heute nicht belegen lassen, ist die erhöhte Ver-fügbarkeit von synaptischem Serotonin ein ebenfalls wichtiger initialer Wirkungsmechanismus vieler Antide-pressiva. Bei der heute sehr aktuellen Gruppe der SSRI ist es der alleinige initiale Effekt. Auch an der serotonergen Synapse (⊡ Abb. 26.13b) greifen Antidepressiva über unterschiedliche Mechanismen ein (Müller u. Eckert 1997).

Wiederaufnahmehemmung (»re-uptake-inhibition«). Verschiedene Antidepressiva hemmen selektiv (z. B. SSRI) bzw. nichtselektiv (z. B. Amitriptylin, Clomi pramin, Imipramin und Venlafaxin) die Wiederaufnahme von Serotonin in die präsynaptische Nervenendigung.

5-HT1A-Rezeptorenaktivierung. Es gibt auch im serotoner-gen System 5-HT1A-Autorezeptoren, die analog den α2-Re-zeptoren im noradrenergen System die Freisetzung regu-lieren. Neben dem Anxiolytikum Buspiron gibt es einige Entwicklungssubstanzen (z. B. Gepiron), die als partielle 5-HT1A-Agonisten zwar durch Aktivierung der 5-HT1A-Au-torezeptoren die Aktivität der serotonergen Neurone sen-ken, dafür aber postsynaptische 5-HT1A-Rezeptoren direkt aktivieren, und als Antidepressiva geprüft wurden.

Hemmung des Abbaus. Der intra- und extraneuronale Abbau von Serotonin erfolgt auch über die MAO-A, deren Hemmung durch selektive (Moclobemid) und nichtselek-tive (Tranylcypromin) MAO-Inhibitoren zu einer Kon-zentrationserhöhung von Serotonin in der Synapse führt.

Zentraler α2-Antagonismus. Diese Antagonisten, z. B. das Mirtazapin, blockieren die noradrenerge Hemmung von serotonergen Neuronen und führen so zu einer erhöhten synaptischen Aktivität des serotonergen Systems.

5-HT2-Antagonismus. Dieser Antagonismus, z. B. auch bei Mirtazapin, kann über noch nicht abschließend geklärte Verschaltungsmechanismen zu einer Zunahme der neuronalen Serotoninfreisetzung und damit zu einer verstärkten 5-HT1A-Aktivierung führen. Dieser Mechanis-mus gilt auch für einige atypische Neuroleptika (� Kap. 26.6.2).

Wirkung auf das dopaminerge SystemDas dopaminerge System (⊡ Abb. 26.15) ist dem nor-adrenergen System sehr ähnlich (Dopamin ist die Vorstu-fe von Noradrenalin, der Syntheseweg der beiden Neuro-transmitter ist bis zu dieser Stufe gleich!). Die Wirkungen der Antidepressiva auf dieses System und ihre Bedeutung für die Beeinflussung der Depression sind weniger gut untersucht. Die meisten Antidepressiva haben keine rele-vante Wirkung auf die neuronale DA-Wiederaufnahme. Eine Ausnahme bilden neben dem wegen gravierender Nebenwirkungen aus dem Handel genommenen Nomi-fensin 2 neuere Substanzen, die ebenfalls als Antidepres-siva eingesetzt werden: Amineptin und Bupropion. Nur Buproprion ist bei uns seit kurzem im Handel. Auch Jo-hanniskrautextrakt hemmt die neuronale DA-Aufnahme etwa gleichstark wie die NA-Aufnahme (Müller 2003).

Für eine antidepressive Wirkung sind folgende dopa-minerge Mechanismen relevant:

Hemmung des Abbaus. Beim Menschen wird Dopamin intra- und extraneuronal durch MAO-A, hauptsächlich aber durch MAO-B abgebaut. Daher führen v. a. die äl-teren nichtselektiven MAO-Inhibitoren (Tranylcypro-min) auch zu einer vermehrten synaptischen Verfügbar-keit von Dopamin.

26.4 · Psychopharmakologische Grundlagen der Antidepressiva

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606 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

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Hemmung präsynaptischer Rezeptoren. Neuroleptika blockieren in Dosierungen deutlich unterhalb der anti-psychotischen Dosen präferenziell präsynaptische DA-D2-Autorezeptoren (⊡ Abb. 26.15), die analog wie in den anderen Systemen die Transmitterfreisetzung regulieren. Die damit verbundene vermehrte synaptische Verfügbar-keit von Dopamin ist die Basis des Einsatzes niedrig do-sierter Neuroleptika als Anxiolytika bzw. Antidepressiva (z. B. Fluspirilen, Sulpirid, Thioridazin; Müller 1991). Der gleiche Mechanismus ist wahrscheinlich auch für das aty-pische Trizyklikum Trimipramin relevant, das ein relativ starker D2-Antagonist ist.

Adaptive Veränderungen bei längerer Anwendung von AntidepressivaWie in den vorangegangenen Abschnitten dargestellt, kommen Antidepressiva über eine ganze Reihe unter-schiedlicher Primäreffekte im ZNS zur Wirkung. Gemein-sam ist allen diesen akuten Wirkungsmechanismen, dass sie direkt nach Applikation auftreten und damit nicht mit der verzögerten Ausbildung der antidepressiven Wirkung am Patienten übereinstimmen. Man geht daher heute da-von aus, dass sekundär zu diesen akuten Beeinflussungen der zentralen Neurotransmission es v. a. auf der Ebene von Rezeptoren und rezeptorgekoppelten Transduktions-mechanismen zu adaptiven Veränderungen als Antwort auf den akuten Eingriff in die zentrale Neurotransmission kommt (⊡ Abb. 26.16), von denen eine Downregulation von Dichte und Empfindlichkeit zentraler β-Rezeptoren am besten untersucht ist (β-Downregula tion).

Nicht alle Antidepressiva bewirken eine β-Downregu-lation und viele Antidepressiva bewirken neben der β-Downregulation noch zusätzliche adaptive Verände-

rungen im Bereich der serotonergen und auch der dopa-minergen Neurotransmission (⊡ Tab. 26.9 und ⊡ Abb. 26.16).

Von solchen adaptiven Veränderungen sind mögli-cherweise auch GABAerge Mechanismen, glutamaterge Mechanismen, die Empfindlichkeit von Glukokortikoid-rezeptoren und die Regulation von Transkriptionsfak-toren betroffen. Wir sind heute nicht in der Lage, eine dieser adaptiven Veränderungen ausschließlich mit der antidepressiven Wirksamkeit in Verbindung zu bringen, sondern sehen diese im Tierexperiment bestimmbaren adaptiven Veränderungen eher als Ausdruck einer An-passung oder funktionellen Plastizität, die möglicherwei-se ein direktes Korrelat der antidepressiven Wirkung darstellt (Müller 1997 a).

Neue Aspekte im Bereich adaptiver VeränderungenDie Ebene der Transkriptionsfaktoren. Während sich die bisherigen Untersuchungen zu adaptiven Veränderungen von Mechanismen der Neurotransmission nach chro-nischer Behandlung mit Antidepressiva im Wesentlichen auf Veränderungen von Dichte und Empfindlichkeit der neuronalen Rezeptoren bzw. der direkt nachgeschalteten sekundären Transmitter (z. B. cAMP) konzentriert hat-ten, gehen neuere Untersuchungen noch eine oder 2 Stu-fen weiter auf der Kaskade von Mechanismen, die letztlich zelluläre Funktionen unter dem Einfluss von Signaltrans-duktionsmechanismen kontrollieren (� Kap. 7). Ver-schiedene Arbeitsgruppen konnten zeigen, dass als mög-liche Folge der Beeinflussung von sekundären Transmit-tern verschiedene intrazelluläre Transkriptionsfaktoren unter der chronischen Behandlung mit Antidepressiva

DA

DDC

TH

Abbau in Gliazellenzu HVS (via COMT)

DOPAC

DOPAC

Abbau in derGlia zu HVS

Vesikel

D2-Rezeptor

DA

DOPA

Tyr Tyrosin

DA

MAO

Mito

DA

D1-Rezeptor D2-Rezeptor

Freisetzung

Nervenendigung

AmphetaminMethylphenidat

Postsynaptisches Neuron

+ AmphetaminReserpin

MAO-Hemmer

Neuroleptika

⊡ Abb. 26.15. Dopaminerge Synapse und Neuroleptika-Wirkung

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beeinflusst werden (Torres et al. 1998; Malberg u. Blendy 2005; ⊡ Abb. 26.17).

In der aktuellen Diskussion nimmt hier v. a. das CREB (»cAMP response element binding protein«) eine ganz besonders wichtige Rolle ein, da hier wieder einmal die Hoffnung auf eine gemeinsame intrazelluläre Endstrecke verschiedener Antidepressivaklassen besteht. Obwohl wir heute davon ausgehen, dass CREB als Folge der intrazel-lulären Bildung von cAMP aktiviert wird (� Kap. 7), wei-sen die aktuellen Befunde auf eine Zunahme von CREB unter Antidepressiva hin, obwohl, wie bereits erwähnt, die Konzentration von cAMP eher herunterreguliert wird.

Trotz dieser noch offenen Fragen ist die Aktivierung bestimmter Transkriptionsfaktoren, die dann gezielt die Ablesung bestimmter Zielgene und bestimmter Zielpro-teine aktivieren, immer noch von großer Aktualität. So haben verschiedene Autoren nachweisen können, dass es nach chronischer Antidepressivabehandlung z. B. zur Hochregulation des Transkriptionsfaktores CREB und anderer Transkriptionsfaktoren kommt (Duncan et al. 1993; Hope et al. 1994; Morinobu et al. 1995). Darüber hin-aus konnte gezeigt werden, dass die Überexpression von CREB in bestimmten Arealen des Rattenhirns mit einer antidepressiven Wirkung in 2 wichtigen tierexperimen-tellen Modellen der Depression (Porsolt-Test und erlern-te Hilflosigkeit) führte (Chen et al. 2001).

Damit ist in einer Zunahme der Aktivität des Trans-kriptionsfaktors CREB ein möglicher gemeinsamer Nen-ner vieler Antidepressiva zu sehen. Man sollte aber hier aus den Erfahrungen der Vergangenheit gelernt haben und auch diese Befunde mit einer gewissen kritischen Distanz interpretieren, bis diese mögliche gemeinsame Endstrecke und ihre kausale Einbindung in den antide-pressiven Wirkungsmechanismus tatsächlich zweifelsfrei belegt ist.

Die Ebene der neuronalen Plastizität. Zu den Zielgenen bzw. Zielproteinen der CREB gehört auch der Wachs-

tumsfaktor BDNF (»brain derived neurotrophic factor«). BDNF stellt im ZNS einen wichtigen Wachstumsfaktor für die neuronale Funktion dar. Unter dem Einfluss von

Down-regulation

Up-regulation Down-

regulationDown-regulation

⊡ Abb. 26.16. Generelle Bedeutung von akuten Effekten und adaptiven Veränderungen für die antidepressive Wirkung

⊡ Abb. 26.17. Auch in der psychiatrischen Pharmakotherapie einge-setzte Antiepileptika senken über verschiedene Mechanismen die Erregbarkeit zentraler Neurone. Verstärkung der GABA-ergen inhibito-rischen Neurotransmission: Benzodiazepine erhöhen die Öffnungs-wahrscheinlichkeit des GABAA-Rezeptors als ligandengesteuerter Chloridkanal; Valproat und Gabapentin steigern die GABA Synthese aus L-Glutamat; Vigabatrin hemmt die vesikuläre GABA-Aufnahme, Tiagabin den neuronalen GABA-Transporter und Vigabatrin und Valproat hemmen den GABA-Abbau zu Succinatsemialdehyd (SSA).Hemmung von Ionenkanälen: Spannungsabhängige Na+- und Ca2+-Kanäle werden in unterschiedlichem Maße von einigen Substanz ge-hemmt; Lamotrigin ist relativ spezifisch für Na+-Kanäle, während Pregabalin spezifisch an der α2δ-Untereinhait angreift, die verschie-denen spannungsabhängigen Ca2+-Kanälen gemeinsam ist.Reduktion der erregenden glutamatergen Neurotransmission: Lamotrigin scheint besonders gut Na+-Kanäle zu hemmen, die prä-synaptisch an glutamatergen Nervenendigungen lokalisiert sind (nicht gezeigt) mit der Folge einer reduzierten Freisetzung des erre-genden Neurotransmitters L-Glutamat

26.4 · Psychopharmakologische Grundlagen der Antidepressiva

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608 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

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BDNF kommt es zu Dendriten- und Synapsenwachstum neuronaler Zellen, ohne den stimulierenden Effekt von BDNF zur Atrophie bis zum Risiko des Zelltodes (⊡ Abb. 26.17). Die Tatsache, dass das BDNF auch ein Ziel-gen des Transkriptionsfaktors CREB ist, hat nun zu der Spekulation geführt, dass unter der chronischen Behand-lung mit Antidepressiva die Konzentration von BDNF ver-ändert sein könnte. Interessanterweise konnte dies bestä-tigt werden; verschiedene Untersuchungen konnten zei-gen, dass die BDNF-m-RNA in verschiedenen Hirnarealen, hauptsächlich aber im Hippokampus unter subchro-nischer Behandlung mit verschiedenen Antidepressiva hochreguliert ist (Duman et al. 1997, 1999; Duman 2004).

Zusammen mit aktuellen Befunden aus der modernen bildgebenden klinischen Forschung, in der gewisse Hin-weise auf neurodegenerative Veränderungen im Hippo-kampus depressiver Patienten beschrieben werden, hat dieser Befund zu der sog. neurodegenerativen Hypothese der Depression und der neuroprotektiven Wirkung von Antidepressiva geführt (⊡ Abb. 26.18). Die Perspektive aber auch die Grenzen der aktuellen Datenlage zu dieser Hypothese sind im Folgenden am Beispiel von typischen Effekten im Hippokampus dargestellt, wobei besonders auf die CA3-Region eingegangen wird.

Neurotrophe Hypothese der Antidepressivawirkung. Un-ter Normalbedingungen sieht man hier im erwachsenen Gehirn ein normales Wachstum von Dendriten und Syn-apsen. Es gibt nun schon seit vielen Jahren Hinweise dar-auf, dass chronischer Stress, verbunden mit einer Hoch-regulation der Glukokortikoide, neben anderen bioche-

mischen Veränderungen (Duman et al. 1999) auch zu atrophischen Veränderungen bzw. zu degenerativen Ver-änderungen besonders der CA3-Regionen führen kann (Sapolsky et al. 1985). Interessanterweise – und das bringt uns wieder auf den Wachstumsfaktor BDNF – ist unter chronischem Stress die hippokampale Konzentration von BDNF eher reduziert. Auch andere, besonders auch gene-tische Faktoren, die ja auch für die Depression relevant sein können, scheinen ebenfalls einen negativen Einfluss auf das Wachstum von CA3-Neuronen zeigen zu können. Welche Faktoren hier bei depressiven Patienten zusam-menspielen, ist noch weitgehend Spekulation; tatsächlich weisen, wie bereits erwähnt, die modernen bildgebenden Verfahren zunehmend darauf hin, dass es im Rahmen depressiver Erkrankungen in verschiedenen Hirnregi-onen, u. a. auch dem Hippokampus, zu einer Volumenab-nahme kommen kann (Rajkowska et al. 1999; Soares u. Mann 1997; Ebmeier et al. 2006). Antidepressiva können nun über einen Eingriff in die serontonerge und nor-adrenerge Neurotransmission die Konzentrationen von BDNF hochregulieren und die von Glukokortikoiden eher senken (Malberg et al. 2000). In Übereinstimmung mit dem Schema in ⊡ Abb. 26.18 hat man hier unter gewissen Bedingungen tatsächlich auch unter biologischen antide-pressiven Therapien eine verbesserte Überlebensrate von hippokampalen Neuronen mit verbessertem Dendriten-wachstum und Synapsenbildung (s. oben) und darüber hinaus Neubildung von Nervenzellen (Neurogenese) ge-sehen, zu der allerdings nur ein relativ kleines Areal im Hippokampus (subgranuläre Zone des Gyrus dentatus) befähigt ist (Malberg et al. 2000).

Hippokampus

⊡ Abb. 26.18. Die neurotrophe Hypothese der Antidepressiva-wirkung. Unter chronischem Stress, genetischen und anderen Risikofaktoren kann es zu einer Reduktion von Synapsen- bzw. Dendritenwachstum bzw zur Atrophie kommen, hier darge-stellt für die CA3-Zellen des Hippokampus. Die Hochregula-tion von BDNF durch Antidepres-siva könnte diesem Effekt entge-gensteuern. (Nach Duman et al. 1997)

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Inkonsistente Befunde. Trotz dieses zunächst sehr gut zu-sammenpassenden Schemas sind wir noch weit davon entfernt, diese sog. neurotrophe Hypothese der Antide-pressivawirkung global akzeptieren zu können. Zu viele inkonsistente Befunde stehen dem noch entgegen, z. B. konnte unter Elektrokrampftherapie im Tiermodell zwar eine Zunahme des Synapsenwachstums von Körnerzellen ⊡ Abb. 26.19) gezeigt werden, Antidepressiva hatten hier aber keinen Effekt (Vaidya et al. 1999). Darüber hinaus sind die degenerativen Veränderungen im Hippokampus eher auf der Ebene der CA3-Zellen (⊡ Abb. 26.18) zu seh-en. In Übereinstimmung mit dem Schema in ⊡ Abb. 26.18 hat man zeigen können, dass das eher atypische Antide-pressivum Tianeptin die stressinduzierte Atrophie von CA3-Neuronen hemmen konnte, der Standard-SSRI Flu-oxetin war allerdings hier ohne Wirkung (Watanabe et al. 1992). Auch die Frage, ob Antidepressiva tatsächlich über eine vermehrte Neurogenese antidepressiv wirken, wird unterschiedlich diskutiert (Sapolski 2004). Während San-tarelli et al. 2003 nach Ausschalten der Neurogenese durch Bestrahlung keine Effekte mehr von Antidepressiva in einem Verhaltensmodell sahen, gehen Henn u. Vollmayr (2004) aufgrund anderer tierexperimenteller Daten und auch aufgrund der nicht übereinstimmenden Zeitverläu-fe eher nicht von einer direkt kausalen Beziehung aus.

Zweifel von klinischer Seite. Damit ist auch auf experi-menteller Ebene dieser neuartige Mechanismus noch lan-ge nicht zweifelsfrei belegt. Außerdem gibt es natürlich auch von klinischer Seite Zweifel, die stark fluktuierende und phasenförmig verlaufende Erkrankung Depression mit der häufig absolut symptomfreien Remission zwi-schen den Phasen mit einer eher globalen degenerativen Veränderung im ZNS in Verbindung zu bringen, so dass man schon geneigt ist zu zweifeln, ob wirklich jede de-pressive Episode gleich mit degenerativen Veränderungen verbunden ist. Darüber hinaus ist die Antidepressiva-in-duzierte Neurogenese auf diese kleine Struktur des Hip-pokampus beschränkt, die die antidepressive Wirkung nicht alleine erklären kann.

Chronifizierte Patienten. Attraktiv wird die neurotro-phe Hypothese der Antidepressivawirkung bzw. die neu-rodegenerative Hypothese der Depression schon eher dann, wenn man sich chronifizierte Patienten betrachtet. Hier ist eher vorstellbar, dass es unter den langen Phasen der depressiven Erkrankung, verbunden mit der hohen Kortisolbelastung, ggf. zu neurodegenerativen Verände-rungen in bestimmten Hirnstrukturen kommt. Sie beein-flussen vielleicht weniger direkt kausal die depressive Symptomatik, können aber möglicherweise im Sinne ei-ner Vulnerabilitätsnarbe das rezidivierende Krankheits-bild der Depression im Zusammenhang mit anderen Fak-toren erklären. Dass hier eine chronische Therapie mit einer Aktivierung von Wachstumsfaktoren ggf. sinnvoll ist, liegt auf der Hand. Spannend wird diese Anschauung

auch dadurch, dass das bewährteste Phasenprophylakti-kum Lithium, aber auch andere Phasenprophylaktika wie z. B. Valproinsäure neueren Untersuchungen zufolge nach nicht nur auf der Ebene der intrazellulären Signal-moleküle wirken, sondern auch eine sehr deutliche und schon in therapeutischen Konzentrationen nachweisbare neuroprotektive Wirkung aufweisen (Manji et al. 2000). Damit kann man spekulativ die neurodegenerative Hypo-these der Depression und die neuroprotektive Wirkung von Antidepressiva bevorzugt mit chronischen Krank-heitsverläufen und eher mit der rezidiv-prophylaktischen Wirkung als mit der akut antidepressiven Wirkung in Verbindung bringen. Wie weit sich dies allerdings in den nächsten Jahren bestätigen lässt, bleibt abzuwarten.

26.4.2 Verhaltenspharmakologische Wirkungen der Antidepressiva

Ebenso wie die chemische Struktur sind auch die pharma-kologischen Eigenschaften der als Antidepressiva einge-setzten Präparate recht unterschiedlich. Das Grund-problem der Forschung in diesem Bereich ist das Fehlen eines adäquaten Tiermodells der Depression. Nach rund 30 Jahren Forschungsarbeit werden zur Beurteilung der Antidepressivaeigenschaften hauptsächlich die folgenden Tiermodelle herangezogen (Willner 1984). Diese sind al-lerdings nur z. T. eigentliche »Tiermodelle der Depressi-on«, während andere an den pharmakologischen Eigen-schaften der Trizyklika orientiert sind und primär deren NA- bzw. serotoninverstärkenden Effekte erfassen.

Spontanverhalten. Antidepressiva, insbesondere Trizyk-lika, hemmen das Spontanverhalten bei Tieren, und sie zeigen in mittleren und höheren Dosen zentral dämpfende Effekte. Damit prüft dieses Modell die sedierenden, nicht aber die antidepressiven Eigenschaften. Im Gegensatz zu den Neuroleptika, die ähnliche Wirkungen hervorrufen, bewirken Antidepressiva aber nach zunehmenden Dosen eine geringe bis starke Steigerung der Erregbarkeit.

Reserpinantagonismus. Antidepressiva, insbesondere Trizyklika, heben die durch Reserpin ausgelösten Wir-kungen (psychomotorische Hemmung, verminderte au-tonome Reaktionen) auf.

Potenzierung verschiedener Katecholaminwirkungen. Trizyklische Antidepressiva verstärken (wahrscheinlich durch die Hemmung der Rückresorption von Noradrena-lin und die dadurch bedingte Konzentrationssteigerung von Noradrenalin am Rezeptor) die durch diesen Trans-mitter bedingten Blutdrucksteigerungen.

Separationsmodell. Werden Jungtiere sozial isoliert (Trennung von Elterntieren), so kommt es nach einiger

26.4 · Psychopharmakologische Grundlagen der Antidepressiva

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610 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

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Zeit zu erheblichen Aktivitätsverlusten und deutlichen Veränderungen der Körperhaltung. Diese Verhaltenswei-sen werden durch Antidepressiva aufgehoben. Allerdings ist dieses Modell nicht spezifisch, da ähnliche Wirkungen auch durch Alkohol, Benzodiazepine und Opiate erzielt werden können.

Behavioral-Despair-Test. In diesem »Schwimmtest« wird ermittelt, wie lange die Tiere nach Eintauchen in einem kleinen wassergefüllten Behälter schwimmen, bevor sie eine immobile Haltung einnehmen. Antidepressiva ver-längern die Schwimmphase, allerdings wird dies auch durch Antihistaminika und Anticholinergika erreicht.

Chronischer Stresstest. In diesem Versuch werden Ratten längere Zeit chronischem Stress (Nahrungskarenz, elek-trische Schläge, Isolation, Eintauchen in kaltes Wasser) ausgesetzt. Das dadurch verminderte Explorationsver-halten wird durch Antidepressiva, insbesondere Trizykli-ka, wieder gesteigert. Auch die reduzierte Zuckerpräfe-renz als Anhedonie-Korrelat wird durch Antidepressiva korrigiert.

Learned-Helplessness-Test. In diesem Test erlernen die Tiere durch für sie unvermeidbare Stimuli eine »Hilflosig-keit«, die sie auch nach Wegfall der Versuchssituation nicht mehr befähigt, Aufgaben durch eigene Verhaltens-reaktionen zu beeinflussen. Diese Hilflosigkeit wird durch Antidepressiva, nicht aber durch Neuroleptika und Tran-quilizer aufgehoben.

Bulbektomierte Ratten. Ratten zeigen nach operativer Entfernung des Bulbus olfactorius verschiedene Verhal-tensänderungen, die depressionsähnlich sind und durch Antidepressiva korrigiert werden können.

BeurteilungKeines dieser Modelle ist für sich alleine ausreichend, eine antidepressive Wirkung am Menschen sicher vorauszu-sagen. Die Trefferquote lässt sich aber durch eine Kombi-nation mit verschiedenen der erwähnten Tests erheblich steigern, die alle eine gewisse »Depressionsanalogie« zei-gen. Allerdings ist es bis heute mit allen diesen Modellen noch nicht gelungen, Substanzen zu entwickeln, die über die übliche ca. 70%ige Responderquote bei therapeu-tischer Anwendung hinauskommen.

26.5 Psychopharmakologische Grundlagen von Lithium und anderer Phasenprophylaktika bzw. Mood Stabilizer

Biochemische WirkungsmechanismenLithiumionen sind natürlicherweise im Organismus vor-handen, jedoch in wesentlich niedrigeren Konzentrati-onen als die ähnlichen Alkalimetallionen Natrium und Kalium. Die Lithiumkonzentrationen im Serum liegen unter Behandlung etwa 250-mal so hoch wie im unbehan-delten Zustand.

Es wird angenommen, dass die Lithiumionen in Kon-kurrenz zu den anderen Alkalimetallionen treten und dann sekundär die intrazelluläre Kalziumhomöostase modulieren. Darüber hinaus beeinflusst Lithium ver-schiedene Mechanismen der Signaltransduktion (⊡ Tab. 26.11). Von diesen wird die Hemmung der Inositolphos-phathydrolyse (⊡ Abb. 26.17) als sekundärer Transmitter der Phospholipase-C-Stimulation und die danach auftre-tende relative zentrale Inositolverarmung als besonders wichtig angesehen. Als alternativer Mechanismus, beson-ders auch im Hinblick auf relativ gut belegte neuropro-

⊡ Tab. 26.11. Biochemische Effekte von Lithium und Carbamazepin, die als potenzielle Wirkungsmechanismen diskutiert werden. (Nach Keck u. McElroy 2005)

Wirkstoff Effekte Konzentration

LithiumPlasmakonzentrations-bereich: 0,5–1,5 mmol/l

Hemmung der Inositolmonophosphathydrolyse EC50: 0,5 mmol/l

Hemmung der Adenylatzyklase EC: 1 mmol/l

Hemmung der Guanylatzyklase Biphasischer Konzentrationsbereich: 0,2–10 mmol/l

Hemmung der GTP-Bindung an G-Proteinen Konzentrationsbereich: 0,6–1,0 mmol/l

CarbamazepinPlasmakonzentrations-bereich: 10–30 μmol/l

Hemmung der Adenylatzyklase Signifikanter Effekt ab Konzentrationen >100 μmol/l

Antagonismus am Adenosin-A1-Rezeptor Ki = 20 μmol/l

Hemmung der GTP-Bindung an G-Proteinen Konzentration: 1 mmol/l

Hemmung der Membranpermeabilität für Natrium-, Kalium- und Kalziumionen

Konzentrationsbereich: 30–500 μmol/l

Hemmung der Guanylatzyklase EC50: 13 μmol/l

EC50 halbmaximale Wirkkonzentration; Ki Dissoziationskonstante des Inhibitors.

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tektive Effekte von Lithium, gilt die Hemmung der Glyko-gen-Synthase-Kinase-3β (Gsk3β), die neben anderen Ki-nasen von Lithium im oberen therapeutischen Bereich gehemmt wird (Manji et al. 2000; Lenox u. Manji 2005; Chuang u. Priller 2006). Eine Vielzahl von experimentel-len Befunden gibt weiterhin Anlass zu der Annahme, dass Lithium Einfluss auf die Empfindlichkeit verschiedener Rezeptoren hat und beispielsweise die Entwicklung von Supersensitivität bei den DA- und Muskarinrezeptoren verhindern kann (Jope u. Williams 1994).

! Trotz oder vielleicht auch wegen der Vielzahl bio-chemischer Effekte des Lithiums lässt sich keine endgültige Aussage über den Wirkungsmechanis-mus in der Rezidivprophylaxe affektiver Psycho-sen formulieren.

Carbamazepin. Auch Carbamazepin bewirkt eine Viel-zahl biochemischer Veränderungen im Organismus (⊡ Abb. 26.17, ⊡ Tab. 26.11), ohne dass sich aus diesen Ef-fekten eine allgemein akzeptierte Theorie für die antima-nische oder prophylaktische Wirksamkeit bilden lässt (Keck u. McElroy 2005). Während man der Hemmung von Natriumkanälen die größte Bedeutung für die antie-pileptischen Eigenschaften zuspricht, kommen den zu-sätzlich Effekten (z. B. ⊡ Tab. 26.11) möglicherweise eine größere Rolle bei der phasenstabilisierenden Wirkung zu. Oxcarbazepin wirkt ähnlich.

Valproinsäure. Der Wirkungsmechanismus von Valpro-insäure ist auch nicht sicher bekannt. Die Substanz ver-stärkt über mehrere Effekte die Funktion des inhibito-rischen Neurotransmitters GABA (verstärkte Synthese, verlangsamter Abbau; ⊡ Abb. 26.17). Darüber hinaus wirkt Valproinsäure aktivierend auf Kaliumkanäle und wahrscheinlich hemmend auf Natriumkanäle (Keck u. McElroy 2005). Neuroprotektive Eigenschaften der Val-proinsäure hat man in den letzten Jahren auch mit einer Hemmung der Histondeazetylase in Verbindung gebracht (Berton u. Nestler 2006).

Lamotrigin, Gabapentin, Pregabalin. Die pharmakolo-gischen Angriffspunkte der auch in der psychiatrischen Pharmakotherapie verwendeten Antiepileptika Lamotri-gin, Gabapentin und Pregabalin sind in ⊡ Abb. 26.17 sche-matisch dargestellt. Lamotrigin scheint besonders über eine Hemmung spannungsabhängiger Natriumkanäle die neuronale Erregbarkeit zu senken, wobei möglicherweise ein Angriff an präsynaptischen glutamatergen Nervenen-digungen eine besondere Rolle spielt, so dass die erre-genden glutamaterge Neurotransmission reduziert wird. Während Gabapentin noch ein breiteres Wirkungsspekt-rum zu haben scheint, scheint die neuere Substanz Prega-balin spezifisch über eine Bindung an die α2δ-Unterein-heit verschiedener spannungsabhängiger Kalziumkanäle

zu wirken (Sills 2006; Wedekind et al. 2005). Dieser bei Gabapentin weniger ausgeprägte Effekt könnte auch er-klären, dass Pregabalin offensichtlich eine spezifische anxiolytische Wirkung, v. a. bei generalisierten Angster-krankungen, zeigt.

Wirkung im TiermodellGemäß einer schon etwas älteren Übersicht von Smith (1986) bleibt die Spontanaktivität von Versuchstieren durch Lithium unbeeinflusst, hingegen wird die explora-tive Aktivität der Tiere in neuem Milieu vermindert. Auch zeigen sich Lithiumeffekte auf pharmakologisch bedingte Hyperaktivitäten und Stereotypien. Die Effekte sind je-doch nicht einheitlich, sondern variieren in Abhängigkeit von der Wahl des experimentellen Vorgehens.

Pharmakologisch induzierte Hypoaktivitäten können ebenfalls und zumindest partiell durch geringe Lithium-gaben aufgehoben, jedoch durch hohe Dosen auch ver-stärkt werden. Einflüsse sowohl auf Hypo- als auch auf Hyperaktivität können es verständlich machen, dass der Stoff antidepressive und antimanische Wirkungen be-sitzt.

Trotz der großen Anzahl der durch Lithium beein-flussten Mechanismen der Signaltransduktion scheint Lithium besonders in das serotonerge System einzugrei-fen. Dadurch lässt sich der Effekt von Lithium auf selbst- und fremdaggressives Verhalten erklären, z. B. in der Rezidivprophylaxe affektiver Psychosen, wo Lithium zu einer Reduktion von Suiziden führt.

Carbamazepin und Valproinsäure. Durch eine Vielzahl von Befunden aus Modellen zur antikonvulsiven Wir-kung (u. a. »Kindling-Experimente«) sind Carbamazepin und Valproinsäure als Antiepileptika pharmakologisch profiliert. Gerade die Wirksamkeit in den Kindling-Expe-rimenten wird auch im Zusammenhang mit den rezidiv-prophylaktischen Wirkungen der Substanz gesehen.

Lamotrigin, Gabapentin, Pregabalin. Gemeinsame Eigen-schaft dieser Substanzen ist die Senkung der Erregbarkeit zentraler Neurone als Ausdruck ihrer antiepileptischen Wirksamkeit. Wie auch schon bei Valproinsäure und Carbamazepin sind die Grundlagen ihrer Wirksamkeit als Phasenprophylaktika nicht erklärt.

26.6 Psychopharmakologische Grundlagen der Neuroleptika

26.6.1 Biochemische Wirkungsmechanismen

Wirkung auf das dopaminerge SystemDie Wirkmechanismen der Neuroleptika sind dank in-tensiver Forschungsarbeiten in den letzten 30 Jahren, ins-

26.6 · Psychopharmakologische Grundlagen der Neuroleptika

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612 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

besondere wegen der Fortschritte in der Rezeptorenfor-schung, relativ gut aufgeklärt. Alle heute in der Therapie der Schizophrenie eingesetzten Neuroleptika greifen in das dopaminerge System ein. Der eigentliche Interventi-onspunkt ist dabei der prä- und postsynaptische lokali-sierte D2-Rezeptor (⊡ Abb. 26.15). Alle antipsychotisch wirksamen Präparate sind D2-Rezeptorantagonisten. Nur die Bindungsstärke zu diesem Rezeptor korreliert mit der klinischen Wirksamkeit (Seeman 1987; Müller 1998 b; Wadenbert et al. 2001). Der gemeinsame hemmende Ef-fekt auf die dopaminerge Neurotransmission erklärt auch, trotz aller Fortschritte bei der Therapie, gemein-same Probleme bei den Nebenwirkungen (Stroup et al. 2006). Wieweit der Erkrankung ein dopaminerges Über-gewicht zugrunde liegt, ist immer noch nicht absolut be-legt (Miyamoto et al. 2003)

Diese spezifische Wirkung an D2-Rezeptoren erklärt, warum zumindest bei den klassischen Neuroleptika er-wünschte (antipsychotische) und einige der uner-wünschten Wirkungen (z. B. extrapyramidalmotorische Störungen/EPS, Prolaktinanstieg) so eng miteinander verbunden sind. In den 3 wichtigen dopaminergen Kern-systemen des menschlichen Gehirns spielen D2-Rezep-toren eine wichtige Rolle bei der postsynaptischen Signal-transduktion (⊡ Tab. 26.12).

Wirkmechanismus und Wirklatenz. Die Rezeptorblockade durch die Neuroleptika erfolgt praktisch unmittelbar nach Verabreichung. Durch die Blockade präsynaptischer Autorezeptoren und die damit verbundene deutliche Zu-nahme der DA-Freisetzung ist aber initial die dopamin-erge Transmission eher erhöht (⊡ Tab. 26.13). Dies hat z. B. in den Frühdyskinesien ein klinisches Korrelat. Der Eintritt der vollen antipsychotischen Wirkung ist jedoch erst nach Tagen bis Wochen beobachtbar.

⊡ Tab. 26.13 erläutert schematisch die Gründe für die Wirklatenz: Nach Besetzung der präsynaptischen Autore-zeptoren (D2-Typ) durch Neuroleptika wird die Synthese-rate des Dopamins gesteigert. Somit kann die Blockade der DA-Rezeptoren vorübergehend durch ein vermehrtes DA-Angebot an die postsynaptischen Rezeptoren kom-pensiert werden.

Dosierung und Wirkung. Bei unter der antipsychotischen (neuroleptischen Schwelle) liegenden Neuroleptikadosie-rungen bleibt die vermehrte DA-Freisetzung auch lang-fristig erhalten (wichtig für die Anwendung niedrigdo-sierter Neuroleptika als Antidepressiva). Im weiteren Verlauf bei ausreichender (neuroleptischer) Dosierung nimmt aber die Impulsfrequenz der dopaminergen Neu-rone ab (Depolarisationsblock), der dann zusammen mit der postsynaptischen Rezeptorblockade zur Reduktion der dopaminergen Übertragung im nigrostriatalen und im mesolimbischen dopaminergen System führt. Der ver-zögerte Wirkungseintritt gilt weniger für die Hypophyse, wo man schon sofort den D2-Antagonismus funktionell über den Prolaktinanstieg nachweisen kann.

Nach Langzeittherapie mit Neuroleptika kann es wei-terhin zu Spätdyskinesien kommen, deren Mechanismus auch heute noch nicht sicher geklärt ist.

Die bisherigen Betrachtungen zeigen, warum es bei den klassischen Neuroleptika nicht gelungen ist, die er-wünschten von den mit dem gleichen Wirkungsmecha-nismus (D2-Blockade) assoziierten unerwünschten Wir-kungen (EPS, Spätdyskinesien, Prolaktinanstieg) zu dif-ferenzieren. Dies gelang erst mit den sog. «atypischen« Substanzen (s. unten).

Wirkung auf andere TransmittersystemeAuch die klassischen Neuroleptika unterscheiden sich erheblich in ihren zusätzlichen antagonistischen Eigen-schaften an einer Reihe verschiedener Rezeptorsysteme. Diese zusätzlichen Eigenschaften sind wahrscheinlich für die eigentlichen antipsychotischen Eigenschaften nicht relevant, erklären aber ähnlich wie bei den Antidepressiva sehr stark die Profile der unerwünschten Wirkungen der einzelnen Substanzen, die auch innerhalb der klassischen Neuroleptika erheblich schwanken.

26.6.2 Wirkungsmechanismus der atypischen Neuroleptika

Da die Blockade zentraler D2-Rezeptoren zur antipsycho-tischen Wirkung und zu extrapyramidalmotorischen Ne-

⊡ Tab. 26.12. Die wesentlichen dopaminergen Projektionsbahnen im ZNS von Mensch und Tier

Name Kerngebiet Projektionsareale Physiologische Bedeutung

Tuberoinfundibuläres System

Nucleus arcuatus des Hypo-thalamus

Eminentia medialis Regulation der Prolaktinfrei-setzung

Nigrostriatales System Zona compacta der Subs-tantia nigra (A9-Region)

Striatum (Nucleus caudatus, Putamen) Globus pallidus

Regulation der unwillkür-lichen und der willkürlichen Motorik

Mesolimbisches (me-sokortikales) System

Area ventrialis tegmentalis (A10-Region)

Nucleus accumbens, Mandelkern, Hip-pokampus, Septum, kortikale Areale (frontalis, cingularis, entorhinalis)

Regulation von Affekt und Emotion

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benwirkungen führt, wurde über Jahre das Dogma vertre-ten, dass therapeutische und unerwünschte Nebenwir-kungen von Neuroleptika unabdingbar miteinander verknüpft seien. Das einzige Neuroleptikum, dessen Wirkprofil sich nicht mit dieser Annahme vereinbaren ließ, war Clozapin. Clozapin induziert kaum extrapyrami-dalmotorische Nebenwirkungen und keinen oder nur ei-nen geringen Anstieg des Prolaktinspiegels. Dennoch verfügt es über eine gute antipsychotische Wirksamkeit, die pharmakologisch vermutlich ebenfalls im Wesent-lichen in einer Blockade von D2-Rezeptoren begründet ist (Seeman 1987).

BegriffsbestimmungClozapin wurde durch die genannten, nichthypothesen-konformen (atypischen) Eigenschaften zum Prototyp der »atypischen Neuroleptika«. Dieser Begriff wurde unkri-tisch auf andere Substanzen übertragen. Im Gegensatz zum Begriff »klassische Neuroleptika« ist er nicht klar de-finiert und beinhaltet heute Substanzen, die sich pharma-kologisch und klinisch nicht nur von den klassischen Neuroleptika (⊡ Tab. 26.13), sondern auch untereinander unterscheiden (Müller 1998 a) (� Kap. 27, S. 647 f., Bd. 2, Kap. 52, S. 295 f.) .

Klinische EigenschaftenDas einzige Kriterium, das sicher auf alle sog. atypischen Substanzen zutrifft, ist die Eigenschaft, keine oder weni-ger extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen hervor-zurufen als klassische Neuroleptika. Ein wichtiges Korre-lat dieser klinischen Eigenschaft im Tierexperiment ist der Befund, dass man mit atypischen Substanzen prak-tisch keine Katalepsie auslösen kann (Clozapin) oder dass zur Auslösung einer Katalepsie wesentlich höhere Dosen (im Vergleich zu anderen antidopaminergen Effekten) benötigt werden (⊡ Abb. 26.19).

Diskutierte WirkmechanismenGrundlegend kann also die antipsychotische Wirkung sowohl der klassischen als auch der atypischen Substan-zen über die Blockade von DA-D2-Rezeptoren erklärt werden. Die heute diskutierten Hypothesen zur Erklä-rung atypischer Eigenschaften beruhen daher meist auf der Annahme von »D2-Blockade plus zusätzliche Eigen-schaft« (⊡ Tab. 26.14). Eine gewisse Ausnahme ist die prä-ferenzielle mesolimbische D2-Bindung einiger Substan-zen.

⊡ Tab. 26.13. Schematische Darstellungen der Neuroleptikawirkungen im Zeitverlauf der Behandlung. Effekte auf verschiedenen Ebe-nen (präsynaptisch, rezeptorbezogen, metabolisch, topisch und klinisch)

Zeitraum Präsynaptische Prozesse Postsynaptische Prozesse Klinische Wirkungen

Erwünschte Wirkungen

Unerwünschte Wirkungen

Unmittelbare Effekte

Besetzung der D2-Rezeptoren (Autorezeptoren)↓Erhöhte Impulsfrequenz↓Erhöhte DA-Synthese und Freisetzung (gesteigerter Dopamin-Turnover)

Blockade der D2-Rezeptoren, jedoch unvollständig wegen erhöhten DopaminangebotsProlaktin im Serum vermehrt durch D2-Blockade in Hypo-physe

Psychomoto-rische Dämp-fung, ggf. extra-pyramidale Stö-rungen und andere Symp-tome (Dyskine-sien)

Nach Tagen bis 2 Wochen

Vermehrt DA-Metaboliten (HVA und DOPAC) im LiquorImpulsfrequenz sinkt (Depolarisationsblock)Dopamin-Turnover verlang-samt sich↓HVA- und DOPAC-Konzentra-tionen im Liquor sinken ab

Wirksame D2-Blockade

a) Hippokampus →

b) Striatum →

Anti-psycho-tische Wirkung→

Frühdyskine-sien, Parkinso-noid (bei vielen Patienten) und andere Symp-tomea

Nach längerer Zeit (frü-hestens 6 Monaten) bei einigen, bevorzugt äl-teren Patienten, auch bei Dosisreduktionen oder Absetzen

Im Striatum Supersensitivität der D2-RezeptorenNeurotoxische Effekte?

→ Spätdyskine-sien (irrever-sibel)

a Vegetative, kardiovaskuläre und sedative Symptome durch Interaktionen des Präparats mit Rezeptoren in anderen als dem dopaminer-gen System (⊡ Tab. 26.19).

26.6 · Psychopharmakologische Grundlagen der Neuroleptika

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614 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

Gemeinsame Blockade von D2- und Muskarinrezeptoren. Die älteste Hypothese, wie atypische neuroleptische Ei-genschaften erklärt werden könnten, geht von der Tatsa-che aus, dass Clozapin selbst sehr stark anticholinerge Eigenschaften hat und praktisch die Anticholinergikazu-gabe mit dem Clozapinmolekül verbunden ist. Gegen diese Hypothese spricht, dass Spätdyskinesien unter Clo-zapin kaum vorkommen, dieses schwerwiegende Risiko dagegen unter einer Therapie mit klassischen Neurolep-tika nicht durch die Zugabe von Anticholinergika vermin-dert werden kann.

Gemeinsame Blockade von DA-D1- und DA-D2-Rezep-toren. Ausgehend von dem Befund, dass Clozapin in etwa gleich stark an den D1-Rezeptor wie an den D2-Rezeptor bindet, hat man vermutet, dass aufgrund der parallelen Blockade der beiden dopaminergen Rezeptoren durch Clozapin weniger D2-Rezeptoren für eine ausreichende antipsychotische Wirksamkeit besetzt werden müssen. Diese Hypothese ist allerdings nicht unumstritten, da das eher klassische Neuroleptikum Flupenthixol auch etwa gleich stark an den D1- wie an den D2-Rezeptor bindet.

Gemeinsame Blockade von Serotonin-5-HT2-Rezeptoren und DA-D2-Rezeptoren. Schon lange vermutet man, dass die beim Clozapin eine sehr starke Blockade von Sero-tonin-5-HT2-Rezeptoren bei gleichzeitiger DA-D2-Rezep-torblockade eine wichtige Rolle spielt für die relativ ge-ringe Inzidenz von extrapyramidalmotorischen uner-wünschten Arzneimittelwirkungen und für die bessere Wirksamkeit bei Minussymptomatik. Ein dem Clozapin ähnliches Bindungsverhalten zeigen verschiedene andere atypische Substanzen. Gemeinsame Blockade von D2- und 5-HT2-Rezeptoren gilt heute als primärer Wirkungs-mechanismus vieler atypischer Substanzen.

Präferenzielle mesolimbische Bindung. Eine wichtige Hy-pothese, atypische neuroleptische Eigenschaften zu erklä-ren, fußt auf Beobachtungen von Clozapin und Sulpirid. Danach blockieren beide Substanzen D2-Rezeptoren in mesolimbischen Arealen schon in einem Dosisbereich, der nur zu einer geringen Blockade von D2-Rezeptoren in nigrostriatalen Arealen führt. Diese präferenzielle Bin-dung an mesolimbische D2-Rezeptoren (nicht nur deren präferenzielle funktionelle Blockade) ist allerdings auf molekularer Ebene z. Z. noch nicht erklärbar.

Amphetamin-

Neuroleptika-induzierte

Antipsychotika-induzierte

⊡ Abb. 26.19. Vergleich der Pharmakologie typischer und atypischer Antipsychotika auf der Basis von Studien an Primaten und Nagern. Bei Dosiskonzentrationen, die vergleichbar mit den zur Auslösung einer Katalepsie erforderlichen Konzentrationen sind, wirken typische Neuro-

leptika antagonistisch auf Amphetamin-induzierte Erregung (A). Atypische Substanzen erzielen ihre Wirkungen bei Dosierungen, die sig nifikant unter ihrem schwachen Potenzial zur Auslösung einer Kata-lepsie liegen (B). (Nach Ereshefsky u. Lacombe 1993)

⊡ Tab. 26.14. Die wichtigsten Hypothesen zum Wirkungsme-chanismus der atypischen Neuroleptika

D2- und D1-Blockade Clozapin Olanzapin Quetiapin Zotepin

D3- bzw.-D4-Blockade zusätzlich zu D2-Blockade

Amisulprid (D2) Sulpirid (D3) Clozapin (D4)

D2- und 5-HT2-Blockade Clozapin Olanzapin Paliperidon Risperidon Quetiapin Sertindol Zotepin

D2- und M-Rezeptor-Blockade Clozapin Olanzapin

Präferenzielle Bindung an mesolim-bische bzw. mesokortikale D2-Rezep-toren

Clozapin Sertindol Sulpirid

Partieller D2-Agonismus Aripiprazol

Antagonismus von Amphetamin-induzierter Erregung durch typische und atypische Neuroleptika

Typische Neuroleptika-induzierte Katalepsie

Atypische Antipsychotika-induzierte Katalepsie

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Bedeutung von D3- und D4-Rezeptoren. Die erst vor eini-gen Jahren mit Hilfe molekularbiologischer Methoden identifizierten zur D2-Familie gehörenden D3- und D4-Re-zeptoren (Sokoloff et al. 1990; van Tol et al. 1991) sind mit der Pharmakologie besonders atypischer Neuroleptika in Verbindung gebracht worden. Grund dafür war die rela-tiv hohe Affinität von Benzamiden wie dem Sulpirid und dem Amisulprid zum D3-Rezeptor und die sehr hohe Af-finität von Clozapin zum D4-Rezeptor. Da beide Rezep-toren auch besonders stark in limbischen bzw. kortikalen Arealen lokalisiert sind, hat man ihnen sehr schnell eine wichtige Rolle für die atypischen Eigenschaften zugespro-chen. Weiterführende Bindungsstudien sprechen aber gegen eine besonders spezifische Bindung von Sulpirid an den D3-Rezeptor im Vergleich zu dem typischen Neuro-leptikum Haloperidol. Auch die dominierende Bedeutung des D4-Rezeptors für die atypischen Eigenschaften des Clozapins muss heute in Frage gestellt werden. Am wahr-scheinlichsten hat der D4-Rezeptor eine Bedeutung für die überlegene antipsychotische Wirkung von Clozapin, da diese atypische Eigenschaft bisher nur für diese Subs-tanz gilt (Reynolds 1996; Müller 1998 a, b).

Gemeinsame Blockade von α-adrenergen und D2-Rezep-toren. Clozapin, Risperidon und Zotepin sind starke Ant-agonisten an α1-adrenergen Rezeptoren, was u. a. für die sedierenden Eigenschaften, aber auch für kardiovasku-läre UAW (Orthostase) von Bedeutung ist. Es gibt aber auch Vermutungen, dass ein starker α1-Antagonismus zusammen mit der D2-Blockade atypische Eigenschaften erklären kann (Cohen u. Lipinski 1986).

Das Loose-Binding-Concept. Schon vor über 10 Jahren wurde aus der Arbeitsgruppe von Seeman spekuliert, dass die meisten atypischen Neuroleptika eine schwache Bin-dungsaffinität zum Dopamin-D2-Rezeptor aufweisen und daher leichter durch endogenes Dopamin vom Rezeptor verdrängt werden. Dies sollte besonders für das Striatum

gelten, wo physiologisch sehr hohe Dopaminkonzentrati-onen vorliegen. Die gleiche Arbeitsgruppe hat dieses Konzept wieder aufgegriffen und verfeinert (Kapur u. Seeman 2000, 2001): Typische und atypische Neurolepti-ka unterscheiden sich nicht im Bereich der Assoziations-konstanten, die die schnelle Bindung der Substanzen an den Dopaminrezeptor bedingen; die meisten atypischen Neuroleptika dissoziieren aber wieder besonders schnell vom Rezeptor, unterscheiden sich also von typischen Neuroleptika im Hinblick auf die Dissoziationskonstante (⊡ Abb. 26.20). Es ist allerdings noch nicht sicher, ob sich diese neuartige und im Prinzip sehr einfache Klassifikati-on durchgehend aufrechterhalten lässt, da bei weitem noch nicht alle Substanzen durchgetestet sind und es eine ganze Reihe eher niederaffiner klassischer Neuroleptika gibt, die eigentlich keine atypischen Eigenschaften haben. Andererseits könnte aber eine schnelle Dissoziation vom Dopamin-D2-Rezeptor tatsächlich bei den atypischen Ei-genschaften einiger Substanzen eine Rolle spielen (z. B. Quetiapin, Clozapin) und möglicherweise auch erklären, dass diese Substanzen nur zu einer geringen Prolaktin-freisetzung aus der Hypophyse führen.

Partieller D2-Agonismus. Ein anderer Weg geht die neuere Substanz Aripiprazol, die als partieller Agonist an D2-Re-zeptoren wirkt (Müller 2002). Durch die immer noch vor-handene leichte Aktivierung im nigrostriatalen System bleiben EPS als Nebenwirkung weitgehend aus, während die D2-antagonistische Komponente wahrscheinlich im mesolimbischen System für eine gute antipsychotische Wirkung ausreicht.

Nimmt man Clozapin als »Goldstandard« für aty-pische Neuroleptika, so muss man davon ausgehen, dass verschiedene Mechanismen auf neuronaler Ebene zu dem atypischen Wirkungsspektrum von Clozapin beitragen. Dies eröffnet auf der einen Seite die Möglichkeit, Substan-zen zu finden, bei denen nur bestimmte Aspekte der aty-pischen Eigenschaften vorhanden sind (⊡ Tab. 26.15). Es

100

10

1

0,1

0,010,001 0,01 0,1 1 10 k (min )off

-1

Olanzapin

Sertindol

RaclopridChlorpromazin

Haloperidol

Spiperon

Nemonaprid

K (n

M)

i

⊡ Abb. 26.20. Die Beziehung zwischen Gleichgewichtsdisso-ziationskonstante und der Ge-schwindigkeitskonstante für die dissoziative Affinität ist im Wesentlichen durch die Dissozia-tionsgeschwindigkeit determi-niert. (Nach Kapur u. Seeman 2000)

26.6 · Psychopharmakologische Grundlagen der Neuroleptika

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616 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

26

erklärt aber auf der anderen Seite auch, warum es so schwer ist, neue, in allen atypischen Eigenschaften dem Clozapin analoge Neuroleptika zu entwickeln.

26.6.3 Wirkung im Tiermodell

Auch bei den Neuroleptika besteht das Grundproblem, dass ein adäquates Tiermodell der Schizophrenie nicht existiert. Die meisten der folgenden (klassischen) Tier-modelle werden in der experimentellen Forschung zur Beurteilung von antidopaminergen (nicht antipsycho-tischen) Eigenschaften herangezogen. Sie werden kom-plementiert durch eine Vielzahl von biochemischen In-vitro- und In-vivo-Methoden zur Erfassung antidopami-nerger Eigenschaften.

Spontanverhalten. Neuroleptika bringen bei Versuchs-tieren das Spontanverhalten völlig zum Erliegen (Akine-se), steigern den Muskeltonus (Rigor) und lassen die Tiere in meist unnatürlicher Haltung (gekrümmter Rumpf, weit abgestreckte Extremitäten) verharren (Katalepsie). Die benötigte Dosis zur Erzielung dieser Effekte gilt als Maß für die extrapyramidalen Nebeneffekte eines Neuro-leptikums (⊡ Abb. 26.19).

Fluchtverhalten. Das konditionierte Fluchtverhalten von Tieren, z. B. das trainierte Ausweichen in die andere Kä-fighälfte nach Ertönen eines akustischen oder optischen Signals zur Vermeidung eines elektrischen Schlages, wird durch Neuroleptika aufgehoben und zwar in Dosen, die die Motorik noch nicht beeinflussen.

Wechselwirkungen mit DA-Agonisten. Hier werden Apo-morphin, ein DA-Agonist mit gleicher Wirkung am Re-

zeptor wie Dopamin, und Amphetamin (setzt Dopamin frei und erhöht somit die Konzentration am DA-Rezep-tor) eingesetzt. Sie erzeugen bei Nagern in niedriger Dosis zunächst eine Hypomotilität (als Ausdruck der Aktivie-rung von D2-Rezeptoren im mesolimbischen System) und in höheren Dosen stereotyp sich wiederholende Bewe-gungsabläufe (»Stereotypien« als Ausdruck der Aktivie-rung von D2-Rezeptoren im nigrostriatalen System). Bei anderen Tierarten kann durch Apomorphin eine Emesis, bei Mäusen eine gesteigerte Lauf- und Kletteraktivität er-reicht werden. Alle diese beispielhaft genannten Wir-kungen der DA-Agonisten werden durch Neuroleptika aufgehoben.

Tierexperimentelle Modelle für Atypika. Die bisherigen pharmakologischen Modelle sind im Wesentlichen auf der Basis der Eigenschaften von Chlorpromazin entwi-ckelt worden, bilden daher primär typische Neuroleptika ab. Einige tierexperimentellen Modelle, die eine Differen-zierung der Eigenschaften typischer Neuroleptika von denen atypischer Substanzen erlaubt, sind in ⊡ Tab. 26.16 zusammengefasst.

26.7 Psychopharmakologische Grundlagen der Tranquilizer

Biochemische WirkungsmechanismenBenzodiazepine greifen über spezifische Bindungsstellen am GABAA-Rezeptorkomplex (rezeptorgesteuerter Chlo-ridkanal, bestehend aus 5 Untereinheiten der Klassen α, β, γ) an und verstärken damit das wichtigste inhibito-rische Transmittersystem GABA (γ-Aminobuttersäure) in unserem zentralen Nervensystem. Die Affinität zu den Rezeptoren ist unterschiedlich und korreliert hoch mit der pharmakologischen Potenz und den für die klinische Wirkung notwendigen Tagesdosen (Müller 1995). Die Benzodiazepinbindungsstellen bilden zusammen mit den GABA-Bindungsstellen und verschiedenen anderen regu-latorischen Bindungsstellen eine komplexe strukturelle und funktionale Einheit (⊡ Abb. 26.21a,b). Die Benzodia-zepine verstärken die postsynaptischen GABA-Effekte mit der Folge, dass die Durchlässigkeit für Chloridionen durch die Chloridionenkanäle erhöht und damit die GA-BAerge Hyperpolarisation des Zellinnern verstärkt wird. Damit wird die Zelle weniger empfindlich für erregende Impulse.

Wirkung der Benzodiazepine. Praktisch alle pharmakolo-gischen und klinischen Effekte der Benzodiazepine (⊡ Tab. 26.17) werden über ihren agonistischen Angriff an den »Benzodiazepinrezeptoren« vermittelt, wobei viele Hirnareale eine Rolle spielen. Erwünschte wie uner-wünschte Wirkungen können daher durch Benzodiaze-

⊡ Tab. 26.15. Therapeutische Qualitäten, die atypische Neuro-leptika von den klassischen Neuroleptika unterscheiden

Weniger extrapyramidalmotorische Symptome

Amisulprid Aripiprazol Clozapin Olanzapin Paliperidon Quetiapin Risperidon Sertindol Sulpirid Zotepin

Bessere Wirkung bei Minus-Sympto-matik

Amisulprid Aripiprazol Clozapin Olanzapin Paliperidon Quetiapin Risperidon Sertindol Zotepin

Bessere Wirkung bei Nonrespondern Clozapin

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pinrezeptorantagonisten (Flumazenil, Anexate) sehr schnell im Sinne eines kompetitiven Antagonismus auf-gehoben werden, z. B. zur schnellen Terminierung thera-peutischer Effekte oder bei Überdosierungen bzw. Intoxi-kationen.

Antidepressiva. Antidepressiva werden als Tranquilizer häufig in sehr viel niedrigeren als den antidepressiven

Dosen eingesetzt, während bei der Behandlung von spe-zifischen Angsterkrankungen (Panik, Zwang) eher glei-che z. T. auch über die antidepressive Dosis hinausge-hende Dosierungen eingesetzt werden (besonders auch bei den SSRI). Wie weit hier andere Wirkungsmechanis-men als bei der Depressionsbehandlung eine Rolle spie-len, ist nicht bekannt. Im Gegensatz zur Depression, wo noradrenalinbetonte und serotoninbetonte Antidepres-

⊡ Tab. 26.16. Typische tierexperimentelle Modelle zur Verhaltenstestung typischer, besonders aber atypischer Neuroleptika. (Nach Ne-meroff et al. 2002)

Konditioniertes Vermeidungsverhalten(Tiere werden trainiert, eine aktive Verhaltensänderung vorzunehmen, um einen Fußschock zu vermeiden)

Neuroleptika reduzieren spezifisch das konditionierte Verhalten Indikator für antipsychotische Wirkung

Pfotenwegziehtest Typische Neuroleptika beeinflussen den Wegzieh-Reflex von Vorder- und Hinterpfoten nach einem Schmerzreiz

Atypische Substanzen beeinflussen die Stärke des Hinterpfotenreflex Indikativ für geringe EPS

Katalepsie Typische Neuroleptika induzieren Katalepsie bei Dosen, die dopami-nerge Verhaltensmuster antagonisieren

Atypika benötigen sehr viel höhere Dosen Indikativ für geringe EPS

Haloperidol-sensitivierte Affen(Tiere erhalten Haloperidol bis zum Auftreten von Dyskine-sien)

Typische Neuroleptika wirken ähnlich, Atypika bewirken weniger Dyskinesien

Indikativ für geringe EPS

Durch Apomorphin und Ketamin gehemmte Reduktion des »Startle-Reflexes« durch ein vorgeschaltetes Signal (»prepulse inhibition«)

Atypika aber nicht Typika stellen die Reduktion des Reflexes durch ein vorgeschaltetes Signal wieder her

Modell für eingeschränkte sensomotorische Kontrolle bei Schizo-phrenen

Soziale Isolation bei Affen Besonders Atypika reduzieren die soziale Isolation von Affen nach chronischer Amphetamin-Gabe

Modell für schizophrene Negativsymptomatik

EPS Extrapyramidalmotorische Störungen.

⊡ Abb. 26.21. a Schematische Darstellung des Wirkungsmechanismus und des funktionellen Zusammenhangs zwischen GABA-Benzo diaze-pin-Rezeptorkomplex und Chloridionenkanal. b Elektrische Vorgänge am postsynaptischen Neuron: Rechts ist das Membranpotenzial (Em) durch inhibitorischen Input (i) negativer geworden (Hyperpolarisation), so dass der Schwellenwert (T) zur Auslösung eines Aktionspotenzials (AP) auch bei mehrfachen exzitatorischen Input (e) nicht erreicht wird

26.7 · Psychopharmakologische Grundlagen der Tranquilizer

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618 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

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siva eher gleichwertig sind, scheinen bei spezifischen Angsterkrankungen (z. B. Zwang) nur serotoninbetonte Antidepressiva klinisch wirksam zu sein.

Neuroleptika. Zum Wirkungsmechanismus der als Tran-quilizer eingesetzten niedrig dosierten Neuroleptika � Kap. 26.5.

Wirkungen der Tranquilizer im TiermodellÄhnlich wie bei den Antidepressiva und Neuroleptika werden auch bei den Tranquilizern bestimmte Tiermo-delle eingesetzt, um das Vorhandensein bzw. die Stärke der anxiolytischen und sedierenden Wirkung zu ermit-teln. Im Wesentlichen sind es folgende Modelle, die zum Screening herangezogen werden:

Konflikttest. Mit den Tieren wird trainiert, dass nach Be-tätigung eines Schalters eine Futterration freigesetzt wird. Ist dieses positiv verstärkte Verhalten konditioniert, wer-den in unregelmäßigen Intervallen nach optischer und/oder akustischer Anzeige bei Betätigung des Schalters zu-sätzlich zur Futterabgabe Elektroschocks verabreicht. Die Tiere geraten in eine Konfliktsituation und lernen sehr schnell, bei Wahrnehmung der Anzeige auf das Drücken des Schalters zu verzichten. Benzodiazepine erhöhen die Anzahl dieser bestraften Antworten; sie vermindern also den hemmenden Einfluss der Bestrafung auf positiv ver-stärktes Verhalten.

Exploratives Verhalten im Hell-Dunkel-Käfig. Setzt man Mäuse in einen Käfig mit 2 Kammern, von denen eine beleuchtet, die andere aber dunkel ist, so erreicht man durch Benzodiazepine, dass die Tiere häufiger in den hel-len Bereich wechseln.

Frustrationssituationen. Reduziert man bei konditio-nierten Tieren die Belohnungen für ein bestimmtes Ver-halten, so verlieren die Tiere zunehmend das Interesse an diesen Handlungen. In diesem Modell wird durch Benzo-diazepine erreicht, dass die Tiere eine erheblich höhere Frustrationsschwelle zeigen, sie lassen sich also nicht so schnell durch das Ausbleiben einer Belohnung entmuti-gen.

Angst- und aggressivitäterzeugende Situationen. Hier werden die psychomotorischen und emotionalen Reakti-onen auf Schrecksituationen bzw. angst- und aggressivi-täterzeugende Reize gemessen. Benzodiazepine dämpfen diese Reaktionen, was als sedierende Wirkung interpre-tiert werden kann.

Weitere Modelle. Daneben werden noch zahlreiche ande-re Modelle angewendet, die entweder Hinweise auf anxi-olytische Effekte oder auf Schlafinduktion, Muskelrelaxa-tion und Erhöhung der Krampfschwelle geben.

Pregabalin als Anxiolytikum. Pregabalin wird in jüngster Zeit auch zur Behandlung von Angsterkrankungen, be-sonders generalisierter Angst eingesetzt. Als spezifischer Wirkungsmechanismus gilt eine Hemmung verschie-dener spannungsabhängiger Kalziumkanäle über eine ihnen gemeinsame Untereinheit vom α2δ-Typ.

26.8 Psychopharmakologische Grundlagen der Antidementiva

Zur Behandlung neurodegenerativer (Alzheimer) und vaskulärer Demenzen stehen verschiedene neuere und ältere Antidementiva zur Verfügung (⊡ Tab. 26.18). Ihnen

⊡ Tab. 26.17. Benzodiazepine: Wichtigste pharmakologische Wirkungen und therapeutische Anwendung. (Nach Haefely et al. 1983)

Pharmakologische Wirkungen Klinische Indikationen

Anxiolyse, Antikonflikt- und Antifrustrationswirkung; Enthem-mung gewisser Verhaltensformen

Angst, Phobien, Ängstliche Depression, Neurotische Hemmungen

Antikonvulsive Wirkungen Verschiedenste Formen epileptischer Aktivität (Epilepsien, Konvul-sivavergiftungen)

Dämpfung der psychischen Reaktionsbereitschaft auf Reize (»Se-dation«)

Hyperemotionelle Zustände, Schizophrenie (?)

Schlaffördernde Wirkung Schlafstörungen

Dämpfung zentral vermittelter vegetativ nervöser und hormo-naler Antworten auf emotionelle und psychische Reize

Psychosomatische Störungen (kardiovaskuläre, gastrointestinale, urogenitale, hormonelle)

Zentrale Verminderung des Skelettmuskeltonus Somatisch bedingte und psychogene Muskelspasmen, Tetanus

Verstärkung der Wirkung von zentral dämpfenden Pharmaka; anterograde Amnesie

Anästhesiologie für chirurgische und diagnostische Eingriffe

Fehlen direkter Wirkungen außerhalb des Zentralnervensystems; ungewöhnlich geringe Toxizität

Breites Indikationsfeld wegen guter allgemeiner Verträglichkeit in therapeutischen Dosen

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gemeinsam ist das therapeutische Ziel, bei Patienten mit neurodegenerativer bzw. vaskulärer Demenz eine Ver-besserung herbeizuführen – besonders im dem Bereich der Kognition (Gedächtnis, Lernfähigkeit, Konzentrati-onsfähigkeit) und somit der Alltagskompetenz. Zur Bele-gung dieses therapeutischen Anspruches werden heute aufwendige klinische Studien gefordert, die mindestens in 2 von 3 Bereichen eine der Plazebotherapie überlegene Effektivität aufweisen müssen (kognitive Leistungsfähig-keit, globales ärztliches Urteil, Alltagskompetenz). Diese, durch die Zulassungsbehörden definierten Kriterien wer-den von den einzelnen Antidementiva etwas unterschied-lich erfüllt, allerdings haben alle in ⊡ Tab. 26.18 gelisteten Substanzen eine Zulassung bzw. eine Nachzulassung für neurodegenerative und/oder vaskuläre Demenzen bzw. Hirnleistungsstörungen im Alter (was die frühere Indika-tion dieser Substanzen war). Damit ist den aktuellen An-forderungen nach zwangsläufig die Datenlage für die Aze-tylcholinesterasehemmstoffe und Memantine besser als für die älteren Substanzen wie Nimodipin und Piracetam. Ginkgo-biloba-Extrakt ist die einzige der älteren Subs-tanzen, für die mehrere positive Studien entsprechend den modernen Prüfungskriterien vorliegen. Im Zeitalter der Evidenz-basierten Bewertungen schneiden daher bei vielen Einschätzungen die älteren Substanzen schlechter ab. Kritisch anmerken sollte man allerdings hier, dass schlechtere wissenschaftliche Datenlagen entsprechend modernerer Prüfungskriterien nicht zwangsläufig schlechtere Wirksamkeit bedeuten muss. Daher gibt es auch viele Stimmen, die die älteren Substanzen auch wei-terhin für eine Bereicherung des therapeutischen Reper-toires bei Demenzen halten.

Azetylcholinesterasehemmer. Die heute wichtigsten Substanzen zur Behandlung der Alzheimer-Demenz (Do-nepezil, Rivastigmin, Galanthamin) sind Hemmer des Enzyms Azetylcholinesterase, das den Abbau des Neuro-transmitters Azetylcholin im Gehirn aber auch an peri-

pheren Synapsen vermittelt. Sie sollen damit einen spezi-fischen Verlust bestimmter cholinerger Nervenzellen im Nucleus basalis im Verlauf der Alzheimer-Erkrankung ausgleichen, die spezifisch in die Steuerung kognitiver Funktionen involviert sind. Die therapeutischen Möglich-keiten bleiben trotzdem hinter den Erwartungen zurück, weil im Rahmen einer neurodegenerativen Demenz zwar diese cholinergen Neurone überproportional stark zu-grunde gehen, aber auch viele andere Neurone und Neu-rotransmittersysteme vom neurodegenerativen Prozess betroffen sind. Azetylcholinesterasehemmer sind darü-ber hinaus nicht spezifisch für die Alzheimer-Demenz, da sie auch kognitive Leistungsverbesserungen bei Patienten mit vaskulärer Demenz und altersassoziierter Gedächt-nisstörung (MCI) zeigen.

Die Substanzklasse der Azetylcholinesterasehemm-stoffe zeigt spezifische UAW-Probleme (besondere Vor-sicht ist geboten bei der Anwendung an Patienten mit Magen-Darm-Ulzera, asthmatischen Erkrankungen und Herzrhythmusstörungen) mit besonders häufigen gastro-intestinalen Nebenwirkungen, die bei einem deutlichen Teil der Patienten die notwenige Langzeitbehandlung er-schweren.

Ginkgo-biloba-Extrakt und Piracetam. Standardisierter Ginkgo-Extrakt (EGb 761) ist durch die darin enthaltenen Flavonoide ein recht guter Radikalfänger, während das klassische Nootropikum Piracetam die Fließeigenschaften des Blutes durch Formveränderungen der Blutzellen po-sitiv beeinflusst. Beiden Substanzen gemeinsam ist eine Verbesserung der mitochondrialen Funktion und damit der Bereitstellung von ATP nach Schädigungen, wie sie im Rahmen des Alterungsprozesses und auch bei Demenzen auftreten (Eckert et al. 2005; Keil et al. 2006 a). Damit ver-bunden ist eine verbesserte zerebrale Leistungsfähigkeit, besonders im Bereich kognitiver Funktionen. Darüber hinaus können beide Substanzen, besonders aber EGb 761, wahrscheinlich auch über eine Verbesserung der mi-tochondrialen Funktion neurodegenerative Verände-rungen über eine antiapoptotische Wirkung verbessern.

Memantin. Memantin ist ein Antagonist an zentralen Glutamatrezeptoren vom N-Methyl-D-Aspartat-Typ (NMDA; Müller et al. 1995). Über beide Mechanismen las-sen sich die akuten leistungsverbessernden und mögli-cherweise auch längerfristig protektiven Wirkungen die-ser Substanz erklären.

Nimodipin. Nimodipin ist ein Antagonist von spannungs-abhängigen Kalziumkanälen (L-Typ) ähnlich den peri-pher angreifenden Substanzen Verapamil und besonders Nifedipin. Die ursprüngliche These, dass Nimodipin das ZNS vor einer Überladung mit freiem intrazellulärem Kalzium [Ca2+]i schützt, ist wahrscheinlich eine Verein-fachung (Müller et al. 1996). Möglicherweise schützt Ni-

⊡ Tab. 26.18. Die wichtigsten derzeit in Deutschland einge-setzten Antidementiva

Wirkstoff Handelsname Wirkungsmechanismus

Donepezil Aricept Azetylcholinesterase-inhibitor

Galantamin Reminyl Azetylcholinesterase-inhibitor

Rivastigmin Exelon Azetylcholinesterase-inhibitor

Memantin Ebixa, Axura NMDA-Antagonist

Nimodipin Nimotop Ca2+-Antagonist

Piracetam Nootrop Mitochondrialer Schutz

Ginkgo-bilo-ba-Extrakt

Tebonin Mitochondrialer Schutz, Radikalfänger

26.8 · Psychopharmakologische Grundlagen der Antidementiva

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620 Kapitel 26 · Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen

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modipin das alternde ZNS weniger vor einer Überladung mit [Ca2+]i als vor einer erhöhten Empfindlichkeit gegen [Ca2+]i. Darüber hinaus scheint Nimodipin eher bei vas-kulären als bei neurodegenerativen Demenzen wirksam zu sein.

Entwicklung neuer TherapiekonzepteBei der Alzheimer-Demenz ist eine Beseitigung der Ursa-chen oder eine Prophylaxe z. Z. nicht möglich. Oberstes Ziel der Grundlagenforschung ist es demnach, nach Me-chanismen zu suchen, die am neurodegenerativen Pro-zess beteiligt sind und somit »Targets« für neue Interven-tionsstrategien darstellen. Hier hat man endlich die an β-Amyloid-haltigen Plaques orientierte ältere β-Amylo-id-Kaskadenhypothese dahingehend modifiziert, dass für den degenerativen Prozess eher kleine und lösliche oligo-mere β-Amyloidaggregate verantwortlich sind und initial zu einer Störung der Synapsen- und Mitochondrienfunk-tion führen (Haass u. Selkoe 2007; Hauptmann et al. 2006; Keil et al. 2006 b).

Basierend auf der β-Amyloid-(Aβ-)Hypothese der Alzheimer-Krankheit bestehen viele Forschungsansätze darin, eine Aβ-bezogene Therapie zu entwickeln. So könnte die Entstehung des Aβ-Proteins einerseits durch eine Reduktion der Syntheserate des Vorläuferproteins APP und andererseits durch eine Reduktion der Um-wandlungsrate des APP in das Aβ-Protein verlangsamt werden. Letzteres kann über die Beeinflussung der an der APP-Prozessierung beteiligten Sekretasen, die zur Bil-dung von Aβ führen (β- und γ-Sekretase), umgesetzt wer-den. Neben der Produktion des Aβ-Proteins erscheint es auch sinnvoll, den Degradations- und Abbauweg von Aβ zu beeinflussen, der den Lebenszyklus des Aβ vervollstän-digt. Deshalb wird auch die Entwicklung von Substanzen, die die Aggregation von Aβ zu dessen Plaques verhindern, als vielversprechend angesehen. Klinische Wertungen dieser Ansätze zeigen allerdings, dass bis heute sich noch keine Substanzklasse abzeichnet als nächste Generation therapeutisch einsetzbarer Antidementiva (Schüssel u. Müller 2007; Mattson 2004). Aufsehen erregte ebenfalls eine Studie mit APP-transgenen Mäusen, die zeigte, dass eine auf Aβ1-42 basierende Impfung diffuse Aβ-Plaques entsorgen bzw. auflösen kann (Schenk et al. 1999). Die

nachfolgende Humanstudie musste wegen schwerer UAW (aseptische Meningoenzephalitis als Ausdruck ei-ner Autoimmunreaktion) abgebrochen werden.

Ein weiteres Target für eine pharmakologische Inter-vention stellt die intrazelluläre Zelltodkaskade dar (� Kap. 7). Auf dem kontrovers diskutierten Gebiet der neuronalen Apoptose bei neurodegenerativen Erkran-kungen wurden im Laufe der letzten Jahre entscheidende Fortschritte beim Verständnis der Pathogenese erzielt. Neue Therapieansätze zeichnen sich ab und die ersten Substanzen, die direkt mit der Apoptosekaskade intera-gieren, gelangen in die Klinik. Es ist zu hoffen, dass mit der Entwicklung spezifischer Substanzen es in den nächs-ten Jahren gelingen wird, den neuronalen Zelltod bei De-menzpatienten wenn nicht zu verhindern, so doch zumin-dest verlangsamen zu können.

26.9 Psychopharmakologische Grundlagen der Therapie von ADHS

Pharmakologische Grundlagen der StimulanzienZur Therapie von ADHS kommen hauptsächlich die bei-den Stimulanzien Methylphenidat und Amphetamin und der neuere Noradrenalinwiederaufnahmehemmer Atom-oxetin zum Einsatz (Rappley 2005). Während das am meisten eingesetzte Methylphenidat die neuronale Auf-nahme von Dopamin stärker als von Noradrenalin hemmt, ist Atomoxetin ein selektiver Noradrenalinwie-deraufnahmehemmstoff (⊡ Tab. 26.19). Dass unter Ato-moxetin trotzdem das für die Aufmerksamkeit wichtige präfrontale dopaminerge System beeinflusst wird, liegt an der physiologischen Besonderheit, dass im präfrontalen Kortex praktisch keine Dopamintransporter vorhanden sind, so dass die Inaktivierung freigesetzten Dopamins vom Noradrenalintransporter vermittelt wird. Daher wird dieses System auch unter Atomoxetin ähnlich wie durch Metylphenidat beeinflusst. Während Amphetamin selbst in der Behandlung von ADHS bei uns nur eine sehr untergeordnete Rolle spielt, führt die Gleichstellung bei-der Substanzen im Hinblick auf das mögliche Abhängig-keitsrisiko immer wieder zu einer Verunsicherung von

⊡ Tab. 26.19. Angriffspunkte der aktuellen ADHS-Therapeutika an zentralen monoaminergen Synapsen. (Nach Fone u. Nutt 2005)

Wirkstoff Halbmaximale Hemmkonstantenkonzentration in vitro in nmol/l

DAT NET SERT VMAT

d-Amphetamin 400 59 >1000 2100

Methylphenidat 34 339 >10000 –

Atomoxetin 1450 5 77 –

Dargestellt sind halbmaximale Hemmkonstanten (in vitro) (nmol/l) für den neuronalen Dopamintransporter (DAT), den neuronalen Noradrenalintransporter (NET), den neuronalen Serotonintransporter (SERT), und den zentralen vesikulären Transporter VMAT. Näheres s. Text.

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26621

Arzt und Patient. Hier lassen sich allerdings beide Subs-tanzen, sowohl von der klinischen Erfahrung (unter der Therapie mit Methylphenidat kommen Abhängigkeits-entwicklungen so gut wie gar nicht vor), wie auch von der Pharmakologie im Hinblick auf Abhängigkeitsentwick-lungen klar abgrenzen. Während Methylphenidat nur den Dopamin- und Noradrenalintransporter hemmt, da-mit eine Verstärkung der jeweiligen Neurotransmission abhängig von der neuronalen Entladungsfrequenz be-wirkt, hemmt Amphetamin zum einen den Noradrenalin-transporter stärker als den Dopamintransporter führt aber auch zu einer Blockade der vesikulären Aufnahme beider Neurotransmitter, verbunden mit einer ver-mehrten Freisetzung und damit einer auch dopaminer-gen Stimulation unabhängig von der neuronalen Entla-dungsfrequenz. Dies bedeutet, dass im direkten Vergleich das Abhängigkeitspotenzial von Methylphenidat auch im Experiment deutlich geringer ist als bei Amphetamin (Fone u. Nutt 2005).

26.10 Weiterführende Lehrbücher und Nachschlagewerke

Der interessierte Leser, der sich auf dem Gebiet der phar-makologischen Grundlagen der Anwendung von Psycho-pharmaka weiterbilden möchte, sei auf die Lehrbücher von Benkert u. Hippius (2001), Laux u. Dietmaier (2006) und Möller et al. (1999) hingewiesen, sowie auf das 6-bän-dige Standardwerk über Neuro-Psychopharmaka (Rie-derer et al. 2002–2006). Eine sehr gute Zusammenfassung bieten auch die beiden Handbücher der American Psych-iatric Association (Perry et al. 1997; Schatzberg et al. 1997) und das große US-amerikanische Lehrbuch (Schatzberg u. Nemeroff 2005). Gute Einführungen in die Neuroche-mie bieten das Handbuch von Cooper et al. (1996) und in die Neurobiologie der Band von Herdegen et al. (1997).

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Literatur

Page 42: 26 Psychopharmakotherapie – Pharmakologische Grundlagen · rung in die Grundlagen der Pharmakokinetik intendiert. Es soll nur versucht werden, praxisrelevante pharmako-kinetische