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Es gehört geradezu zum therapeutischen Allge- meinwissen, daß sich die sog. Muskelpumpe rückstromfördernd auswirkt und damit ein wertvolles Mittel darstellt – sowohl prophylak- tisch als auch therapeutisch bei bereits vorhan- denen Schwellungen. Diese Erkenntnis ist in je- dem Lehrbuch der Physiotherapie nachzulesen. In einem Fachbuch, das sich speziell der Ent- stauungstherapie widmet, müssen jedoch folgen- de Fragen ausführlich diskutiert werden: · Gilt die Rückstromförderung gleichermaßen für Venen- und Lymphgefäßsystem? · Gilt die Rückstromförderung unabhängig vom Zustand der Gefäße? · Gilt die Rückstromförderung gleichermaßen für oberflächliche und tiefliegende Gefäße? · Gilt die Rückstromförderung für alle Schwel- lungen gleichermaßen? · Besteht ein Unterschied hinichtlich der Rück- stromförderung zwischen aktiven und passi- ven Bewegungen? · Bestehen Unterschiede hinsichtlich der Rück- stromförderung zwischen isometrischen Mus- kelkontraktionen und auxotonen Kontraktio- nen, die bei Alltagsbewegungen vorrangig vorkommen? · Wie funktioniert die sog. Gelenkpumpe, und welcher Anteil an Rückstromförderung kommt ihr zu? · Was hat es mit der in diesem Zusammenhang stets erwähnten „Hautpumpe“ auf sich? 2.3.1 Prinzipielle Mechanismen Prinzipien der Muskelpumpe Die Wirkung der Skelettmuskelkontraktion auf die tiefen, d.h. · intramuskulären und · intermuskulären Venen einerseits und auf die oberflächlichen, d.h. · epifaszialen oder auch subkutanen Venen andererseits sowie auf deren Verbindungsgefäße, nämlich die · transfaszialen oder auch Perforansvenen ist relativ einfach zu erklären (Abb. 2.140, 2.141). Die Kontraktion eines Skelettmuskels führt dazu, daß die intramuskulären Gefäße ausge- preßt werden, so daß die abführenden tiefen Ve- nen gefüllt werden. Heute ist man allerdings der Ansicht, daß nicht die Kontraktion der Muskula- tur der Hauptfaktor ist, sondern daß die Deh- nung, die bei Kontraktion des jeweiligen Ant- agonisten entsteht, das meiste intramuskuläre Blut freisetzt und so hauptsächlich für die Fül- lung der tiefen Leitvenen verantwortlich ist. Gleichzeitig führt die kontraktionsbedingte Muskelbauchverdickung zu einer Kompression der größeren Venen, die unmittelbar in der Nach- barschaft verlaufen und z.B. durch eine Faszie, eine osteofibröse Struktur (wie die Membrana in- 2.3 2.3 Entstauende Wirkung der Muskel- und Gelenktätigkeit O. Schreiner

2.3 EntstauendeWirkungderMuskel-undGelenktätigkeit · 2019-03-05 · dorsalis pedis Plexus venosus dorsalis pedis V. saphena magna V. saphena parva V. dorsalis pedis Vv. communicantes

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Es gehört geradezu zum therapeutischen Allge-meinwissen, daß sich die sog. Muskelpumperückstromfördernd auswirkt und damit einwertvolles Mittel darstellt – sowohl prophylak-tisch als auch therapeutisch bei bereits vorhan-denen Schwellungen. Diese Erkenntnis ist in je-dem Lehrbuch der Physiotherapie nachzulesen.In einem Fachbuch, das sich speziell der Ent-stauungstherapie widmet, müssen jedoch folgen-de Fragen ausführlich diskutiert werden:� Gilt die Rückstromförderung gleichermaßen

für Venen- und Lymphgefäßsystem?� Gilt die Rückstromförderung unabhängig vom

Zustand der Gefäße?� Gilt die Rückstromförderung gleichermaßen

für oberflächliche und tiefliegende Gefäße?� Gilt die Rückstromförderung für alle Schwel-

lungen gleichermaßen?� Besteht ein Unterschied hinichtlich der Rück-

stromförderung zwischen aktiven und passi-ven Bewegungen?

� Bestehen Unterschiede hinsichtlich der Rück-stromförderung zwischen isometrischen Mus-kelkontraktionen und auxotonen Kontraktio-nen, die bei Alltagsbewegungen vorrangigvorkommen?

� Wie funktioniert die sog. Gelenkpumpe, undwelcher Anteil an Rückstromförderungkommt ihr zu?

� Was hat es mit der in diesem Zusammenhangstets erwähnten „Hautpumpe“ auf sich?

2.3.1Prinzipielle Mechanismen

Prinzipien der Muskelpumpe

Die Wirkung der Skelettmuskelkontraktion aufdie tiefen, d.h.� intramuskulären und� intermuskulären Venen

einerseits und auf die oberflächlichen, d.h.� epifaszialen oder auch subkutanen Venen

andererseits sowie auf deren Verbindungsgefäße,nämlich die� transfaszialen oder auch Perforansvenen

ist relativ einfach zu erklären (Abb. 2.140, 2.141).Die Kontraktion eines Skelettmuskels führt

dazu, daß die intramuskulären Gefäße ausge-preßt werden, so daß die abführenden tiefen Ve-nen gefüllt werden. Heute ist man allerdings derAnsicht, daß nicht die Kontraktion der Muskula-tur der Hauptfaktor ist, sondern daß die Deh-nung, die bei Kontraktion des jeweiligen Ant-agonisten entsteht, das meiste intramuskuläreBlut freisetzt und so hauptsächlich für die Fül-lung der tiefen Leitvenen verantwortlich ist.

Gleichzeitig führt die kontraktionsbedingteMuskelbauchverdickung zu einer Kompressionder größeren Venen, die unmittelbar in der Nach-barschaft verlaufen und z.B. durch eine Faszie,eine osteofibröse Struktur (wie die Membrana in-

2.3

2.3 Entstauende Wirkung der Muskel- und GelenktätigkeitO. Schreiner

terossea cruris zwischen den beiden Unterschen-kelknochen) oder gar durch einen Knochen dar-an gehindert werden, dem Druck auszuweichen(siehe Abb. 2.141). Dabei bewirken die intaktenVenenklappen dieser intermuskulären Gefäße,daß das Blut nach proximal bewegt wird.

Distal des sich verdickenden Muskelbaucheskommt es innerhalb der Faszienräume, die dieMuskeln einbinden, durch Aufdehnung der„Faszienröhre“ gleichzeitig zu einer Lumener-weiterung der Venen. Infolge dessen saugen dieVenen in diesem Moment Blut von noch weiterdistal gelegenen Gefäßabschnitten an.

Vergleichbar wirken sich die Muskelpumpme-chanismen auf das tiefe Lymphgefäßsystem aus.

Die epifaszialen Hautvenen werden durch dieMuskelbauchverdickung nicht direkt, sondernindirekt entleert. Dies erklärt sich durch dasPerforansvenensystem, ein transfasziales Verbin-dungssystem zwischen den Oberflächenvenenund den tiefen Leitvenen, deren Klappen meistvon der Oberfläche in die Tiefe führen (Staube-sand 1984).

Kapitel 2 Entstauende Maßnahmen im Überblick196

Faszie Fasziea

b

Abb. 2.140a,b. Schematische Darstellung der Muskelve-nenpumpe bei Kontraktion (links) und bei Erschlaffung(rechts) der Skelettmuskeln. a Querschnitt, b Längs-schnitt. Deutlich ist erkennbar, daß bei Muskelkontrakti-on lediglich die tiefen, d.h. inter- und intramuskulärenVenen direkt ausgedrückt werden, während die Hautve-nen nur indirekt, nämlich in der Erschlaffungsphase derMuskulatur „entleert“ werden. (Aus Marshall 1987)

M. tibialis anterior Membrana interossea

A. et Vv. tib. ant.

M. peroneus longus

N. peroneus superfic.

Fibula

Fascia cruris,Lamina profunda

M. soleus

Fascia cruris, lamina superficialis

A. et Vv. peronaeus

N. suralis

V. saphena parva

N. tibialis

V. tibialis post.

A. et V. tibialis post.

M. gastrocnemius caput med.

V. saphena magna

N. saphena

Tibia

M. tibialis posterior

N. peroneus profundus

Abb. 2.141. Querschnitt durch dasproximale Drittel des Unterschenkels.Deutlich erkennbar ist die „Logen-bildung“ durch die Fascia cruris(Lamina profunda) und der Membra-na interossea

Das epifasziale Lymphgefäßsystem dagegen istvon der Kontraktion der Skelettmuskulatur na-hezu unabhängig. Die Erklärung dafür liegt inseiner Fähigkeit zur Eigenmotorik und damit –im Gegensatz zum „passiven“ Venensystem – inder Möglichkeit des aktiven Rücktransports. Da-durch kommt dem Lymphgefäßsystem der Hautauch eine größere Bedeutung bei der Rückfüh-rung aus der Peripherie zu als dem tiefen Sy-stem – beim venösen System ist es genau umge-kehrt!

Die Anzahl der Perforansvenen am Bein wird mit durch-schnittlich 100 angegeben, was deren Bedeutung unter-streicht.

Keine Klappen wurden in den Perforansvenen in derFuß- und Knieregion gefunden. Die sehr straffe Haut be-wirkt hier, daß bei Gelenkbewegung das Blut in die Tie-fe gepreßt wird.

Prinzipien der Gelenk- und Hautpumpe

Der abstromfördernde Mechanismus der Gelenk-pumpe ist etwas komplizierter als der der Mus-kelpumpe, obwohl beide natürlich in direktemZusammenhang stehen.

Gelenkregionen stellen für Gefäßverläufe im-mer Engpässe dar, weshalb sie auch gerne miteinem Flaschenhals verglichen werden. Dies al-leine erklärt eigentlich schon, daß Gelenkbewe-gungen Einfluß auf die dort verlaufenden Gefäßenehmen. Im einzelnen lassen sich folgende Fak-toren unterscheiden:� Alle Gelenkbewegungen müssen von den Ge-

fäßen mitgemacht werden. Die Gefäße werdenalso entweder gestaucht (z.B. in der Kniekehlebei Beugung) oder gedehnt (bei Streckungund Rotation).

� Die Zugwirkung der Sehnen und ihrer Hüll-strukturen (z.B. der Sehnenscheiden) führtentweder zur Kompression der darunter- oderdazwischen verlaufenden Gefäße oder aberzur Lumenweitstellung durch „Gefäßlüftung“.Dies geschieht beispielsweise über dem

Sprunggelenk, wenn bei der Dorsalextensiondurch die Umlenkung von Sehnen durch dieRetinacula über das Gelenk hinweg das seh-nenumgebende Gewebe und damit gleichzei-tig die Gefäße angehoben werden.Auch Fettkörper im Gelenkbereich könnenwährend der Bewegung die Funktion der Ge-fäßlüftung übernehmen, wie dies z.B. in derPoplitea durch das dortige Corpus adiposumgeschieht.

� Gleichzeitig führt die Gelenkbewegung auchzur Dehnung der Muskulatur, die sich antago-nistisch zur Bewegungsrichtung befindet, unddamit zum Gefäßentleeren bzw. -füllen. DieserEffekt ist weitgehend unabhängig davon, obdie Gelenkbewegung aktiv oder passiv ausge-führt wird.

� Einen weiteren Faktor der Gefäßbeeinflussungin der Gelenkregion bildet die Haut. Da sie inEndstellung des Gelenkes die Grenzen ihrerstrukturellen Dehnbarkeit erreicht hat, kom-primiert sie die oberflächlichen Gefäße. Man-che Autoren (z.B. Brunner, zitiert in Staube-sand 1984), sprechen von einer regelrechten„Hautpumpe“.

Bei Gelenkergüssen wird häufig die Frage nachden physikalisch-therapeutischen Möglichkeitender Behandlung gestellt. Daher soll hier das Ge-lenk selbst nochmals genauer betrachtet werden,damit deutlich wird, auf welchen Wegen Flüssig-keit aus der durch die Gelenkkapsel umschlosse-nen Gelenkhöhle nach extraartikulär gelangt.

Die im wesentlichen aus zwei Schichten be-stehende Gelenkkapsel wird unterteilt in� eine äußere Schicht (Membrana fibrosa) und� eine innere Schicht (Membrana synovialis).

Die innere Schicht weist reichlich arterielle undvenöse Blutgefäße und reichlich Lymphgefäßeauf (Tillmann 1987). Die Blutkapillaren gehörenallen drei Typen an, d.h., es finden sich auch ge-fensterte Blutkapillaren, die in der Lage sind,großmolekulare Teile aufzunehmen. Daneben ge-

2.3 Entstauende Wirkung der Muskel- und Gelenktätigkeit 197

2.3

währleisten die Lymphkapillaren, daß alle nicht-reabsorbierbaren Stoffwechselanteile ebenfallsnach extraartikulär transportiert werden kön-nen. Dies ist für die empfindliche Homöostaseder Gelenkhöhle auch von großer Bedeutung.

Die äußere Schicht hat im Gegensatz zur inne-ren keine ernährenden Funktionen, sondern siefügt das Gelenk in der Umgebung ein und be-steht aus überwiegend straffem, kollagenem Bin-degewebe, das meist durch kapsuläre Bänderverstärkt ist. Die Bänder haben sowohl führendeals auch hemmende Funktionen. Neben allen an-deren Aufgaben dient diese äußere Schicht auchals sog. „Leitstruktur“ für die gelenkversorgen-den und entsorgenden Gefäße.

Alle Gelenkbewegungen führen über einewechselnde Entspannung und Straffung derMembrana fibrosa dazu, daß die hier verlaufen-den abführenden Venen und Lymphgefäße kom-primiert und lumenerweitert werden. Dadurchwerden das venöse Blut und die Lymphe ausdem Gelenkinnenraum in die entsprechendengelenknahen Gefäße befördert, die ihrerseitsfunktionell den Gelenkbewegungen unterliegen.

2.3.2Die Muskel- und Gelenkpump-mechanismen an den unterenExtremitäten

Der venöse Rückstrom der unteren Extremitätenwird hinsichtlich seiner Abhängigkeit von derMuskel- und Gelenkpumpe in folgende Einzelbe-reiche unterteilt:� Zehen- und Fußsohlenpumpe,� Sprunggelenkpumpe,� Wadenmuskelpumpe,� Kniegelenkpumpe,� Oberschenkelmuskelpumpe und� Saugpumpe unter dem Leistenband.

Die Bereiche stehen miteinander in Beziehungund sind voneinander abhängig.

Zehen- und Fußsohlenpumpe

Die Bewegung der Zehen kommt sowohl durchdie langen Fußmuskeln mit ihrem Ursprung imBereich von Tibia, Fibula und Membrana inter-ossea cruris zustande als auch durch die kurzenFußmuskeln, die vom Fußskelett selbst entsprin-gen. Trotzdem schreiben die Anatomen den kur-zen Fußmuskeln überwiegend Halte- und Stabili-sationsfunktionen für die Gewölbearchitekturdes Fußes zu (Abb. 2.142), den langen dagegenmehr die eigentliche Bewegungsfunktion.

Dies hat insofern Konsequenzen für den ve-nösen Rückstrom, als die kurzen Zehenflexorenvor allem dann aktiv werden, wenn durch Druckauf die Fußsohle propriozeptiv eine statischeoder/und dynamische Belastung „angekündigt“wird. Die Bedeutung dieser Konstruktion wirdverständlich, wenn man bedenkt, daß die kurzenFußmuskeln der Fußsohle zusätzlich noch durcheine sehr derbe Plantaraponeurose überspanntwerden, die� sowohl „scheidewandähnliche“ Verbindungen

zum knöchernen Skelett hat und dadurch imwesentlichen 3 Logen bildet (auf der Großze-

Kapitel 2 Entstauende Maßnahmen im Überblick198

Abb. 2.142. Trans-Paint-Darstellung des M. flexor hallu-cis brevis, stellvertretend für die kurzen Zehenflexoren

henseite, auf der Kleinzehenseite und auf derSohlenmitte)

� als auch Faserzüge zur Haut erkennen läßtund damit Verbindungen zum plantaren Fett-polster mit seinem ausgeprägten Venennetzhat (Abb. 2.143).

Bei Fußbelastung während des Gehens wird dasdicke plantare Fettpolster um mindestens 50%komprimiert, was zur Entleerung des in ihm be-findlichen plantaren Venenplexus führt. Gleich-zeitig sorgt die Spannung der kurzen Fußmus-keln innerhalb der Logen für einen zusätzlichenvenösen Abstrom. Die gleichen Mechanismenwirken sich auf das Lymphgefäßsystem der plan-taren Fußregion aus.

Die besondere Bedeutung dieser anatomi-schen Gegebenheiten für das venöse Systemwird durch Staubesand (1984) unterstrichen, derbeschreibt, daß selbst bei narkotisierten Patien-ten ein leichter Druck auf die Fußsohle einedeutliche Zunahme der Strömungsgeschwindig-keit in der V. iliaca externa hervorruft. Ein wei-

teres Indiz für die Rolle der Fußsohlenkonstruk-tion in Bezug auf die venöse Strömung liefernAngaben, wonach die durchschnittliche Strö-mungsgeschwindigkeit in den Venen der Beineim Liegen mit 7,5–8 cm/sec erwartungsgemäßam höchsten ist, im Stehen immerhin noch ca.2 cm/sec, bei hängenden Beinen ohne Fußsoh-lenkontakt dagegen lediglich ca. 1,5 cm/secbeträgt. Dies erklärt auch die Bezeichnung„Fußsohlenmotor“ (Brunner, zitiert in Staube-sand 1984).

hinweis

Der aktive und bewußte Einsatz der kurzenFußmuskeln wird mit den bekannten kranken-gymnastischen Übungen wirksam gefördert.Die häufig verwendeten Hilfsmittel wie kleine„Igelbälle“ u.ä. erlauben einen besonders effek-tiven propriozeptiven Reiz.Bettlägerige Patienten sollten im Zuge der

Mobilisation Fußsohlenkontakt haben, sobaldsie an der Bettkante sitzen. So läßt sich vermei-den, daß das Blut regelrecht „versackt“.

Sprunggelenkpumpe

Der venöse Rückstrom auf der Dorsalseite des Fu-ßes (Abb. 2.144) wird besonders während des Ge-hens gefördert. Während der gesamten Schwung-beinphase und zeitweise noch nach dem Aufset-zen und Abrollen des Fußes ist der Fuß dorsalex-tendiert. Dies wird im wesentlichen durch die lan-gen Dorsalextensoren (M. tibialis anterior, M. ex-tensor hallucis longus und M. extensor digitorumlongus) hervorgerufen. Besonders an der Sehnedes M. extensor hallucis longus ist dabei deutlichzu erkennen, daß sie die Haut über dem Großze-henverlauf „firstartig“ von ihrer Unterlage abhebtund damit zusammen mit den übrigen Streckseh-nen die oberflächlichsten, d.h. die subkutanenVenen komprimiert. Gleichzeitig ergibt sich soeine lumenvergrößernde Zugwirkung auf tiefereVenen und Lymphgefäße.

2.3 Entstauende Wirkung der Muskel- und Gelenktätigkeit 199

2.3

V. saphena magna

V. tibialis posteriorV. plantaris

lateralis

Vv. perforantes dorsi pedis tibialis

V. marginalis medialis

Vv. digitales plantares

Rete venosum plantare

Aponeurosisplantaris

Abb. 2.143. Venensituation der Fußsohle. Links Ober-flächliche Venen, rechts Tiefe Venen und Vv. perforantesder Planta pedis. (Aus Rieger u. Schoop 1998)

Nicht übersehen werden darf dabei, daß dieMuskelkontraktion in der Streckerloge des Un-terschenkels zu einem Auspressen der ableiten-den Vv. tibiales anteriores und der sie begleiten-den Lymphgefäße führt (siehe Abb. 2.141). Be-reits mit dem Aufsetzen der Ferse addiert sichwie oben beschrieben die Funktion der anatomi-schen Gegebenheiten der Fußsohle hinzu.

Auf der ventralen Seite des Sprunggelenkeskommt es zusätzlich noch durch die gleichzeitigführende und fixierende Funktion der Retinacu-la mm. extensorum (superius et inferius) bei derDorsalextension zu vergleichbaren Effekten wiebei der Zehenstreckung (siehe oben). Durch diestarke Verspannung der Malleolengabel über dieverschiedenen Bänder und durch die Enge desRaumes aufgrund der Sehnenscheiden und an-derer Faktoren mehr kommt es hier zu einemnoch stärkeren Druck- und Saugeffekt als aufdem Zehen- und Mittelfußrücken.

An der Rückseite des Sprunggelenks entstehtder Druck- und Saugeffekt aufgrund der Wir-kung, die der relativ weit nach dorsal hinausra-gende „Hebelarm“ des Calcaneus während derSprunggelenkbewegung auf die umgebendenWeichteile ausübt. In Dorsalextension steht dergesamte Weichteilbereich einschließlich des Fett-körpers unter der Achillessehne unter Spannung,während bei Plantarflexion eine ähnlich starke,gleichzeitig komprimierende und lumenvergrö-ßernde Wirkung auf die Gefäße entsteht wievorne während der Dorsalextension.

Die Venen bilden hier also offenbar eine Art„Ringsystem“ (siehe Abb. 2.143, 2.144), welchesdas aus der Fußregion verdrängte Blut auf-nimmt. So erklärt sich die Effizienz der sichwechselseitig bedingenden Mechanismen wäh-rend des Gehens. Die besonders deutliche Strö-mungszunahme in der V. iliaca externa bei Be-wegung des gesamten Fußes unterstreicht diebesondere Bedeutung der Sprunggelenkpumpe.Welche schädlichen Auswirkungen das häufigeGehen in bewegungseinschränkenden hochhak-kigen Schuhen nicht zuletzt auf die Gefäße hat,erklärt sich damit von selbst.

�� Betrachtungen über die orthopädi-sche Sichtweise hinaus machen ausrückstromfördernder Sicht deutlich,wie wichtig es ist, daß z.B. nachSprunggelenkverletzungen frühfunk-tionell behandelt wird. Unter Ein-schränkung von Pro- und Supinationsollten dabei in jedem Fall Dorsalex-tension und Plantarflexion gefördertwerden.

Die Folgen einer eingeschränkten Beweglichkeitdes Sprunggelenks werden in Bd. 2, Kapitel 5 be-schrieben.

Kapitel 2 Entstauende Maßnahmen im Überblick200

Abfußvenen desPlexus venosus

dorsalis pedis

Plexus venosus dorsalis pedis

V. saphena magna

V. saphena parva

V. dorsalis pedis

Vv. communicantesmarginales mediales

Vv. communicantesmarginales laterales

Arcus venosusdorsalis pedis

Abb. 2.144. Venensituation des Fußrückens. Oberflächli-che Vene dunkelblau, tiefe Venen hellblau, Vv. perforan-tes mit Kreisen markiert. (Aus Rieger u. Schoop 1998)

Wadenmuskelpumpe

In der Mehrzahl der Studien wurde die Muskel-pumpwirkung auf die Venen bislang am Beispieldes sich verdickenden M. triceps surae erklärt,der die größte rückstromfördernde Wirkung ha-ben soll. Diese Annahme resultiert aus der auf-fälligen muskulären Asymmetrie des Unter-schenkels: Querschnitte zeigen, daß dadurch diedorsal gelegenen Plantarflexoren die ventral ge-legenen Dorsalextensoren um das 4fache über-treffen (Lang u. Wachsmuth, zitiert in Schneideru. Walker 1984), denn für den massigen M. tri-ceps surae existiert auf der Unterschenkelven-tralseite kein Gegenstück (siehe Abb. 2.141).

Neuere Untersuchungen von Gallenkemper etal. (1996) dagegen schreiben den Gelenkbewe-gungen und hier der Dorsalextension imSprunggelenk mit der damit verbundenen Deh-nung der Wadenmuskulatur die entscheidendeBedeutung zu. Die zweifellos hohe Bedeutungdes M. triceps surae für die Sprunggelenkpumpeüber die Hebelwirkung durch das Fersenbeinwurde bereits beschrieben (siehe oben). Dieweitere Abstromförderung des venösen Blutesdurch die Wadenmuskulatur läßt sich jedochnicht allein auf den M. triceps surae zurückfüh-ren.

Rückstromeffekte auf das tiefe Venensystem

Der rhythmische Wechsel zwischen Verdickungund nachfolgender Umfangminderung der ge-samten Wadenmuskulatur beim Gehen führt� zur Auspressung intramuskulärer Gefäße und

gleichzeitig� zur Druck- und Saugwirkung auf die tiefen

Leitvenen (Vv. peronaeae und Vv. tibiales po-steriores).

Die tiefen Leitvenen liegen zwischen dem M. so-leus und den langen Zehenflexoren, die vom M.soleus durch das tiefe Blatt der Fascia cruris ge-trennt sind (siehe Abb. 2.141).

Die Druck-/Saugwirkung entsteht folgender-maßen: Bei angespannter Wadenmuskulatur wer-den zwar die im direkten Muskelbauchbereichverlaufenden Venenabschnitte komprimiert,gleichzeitig jedoch werden die distal und proxi-mal befindlichen Venensegmente in ihrem Lu-men erweitert (siehe Abb. 2.140). Die Verdik-kung eines Muskels bedingt nämlich auch seineVerkürzung, so daß der distale und proximaleLängenverlust die jeweiligen Venensegmente er-weitert. Dadurch saugen diese Segmente Blutvon noch weiter distal gelegenen Venensegmen-ten an. Gleichzeitig sind die ebenfalls aufge-dehnten proximalen Venensegmente in der Lage,das Blut aus den komprimierten Abschnitten derMuskelbauchbereiche aufzunehmen. Bei Muskel-entspannung kehren sich die Verhältnisse dieser„Druck-/Saugpumpe“ um.

Rückstromeffekteauf das transfaziale Venensystem

Gleichzeitig mit dem Absaugen des venösen Blu-tes aus der distalen Unterschenkelregion kommtes zur Aufnahme des venösen Blutes aus denoberflächlichen Venen der Haut durch das Perfo-ransvenensystem (Abb. 2.145, 2.140).

Während der Dorsalextension läßt sich beob-achten, daß sich die Haut im distalen Bereichder Wadenmuskulatur und der Achillessehnenre-gion spannt. Dadurch wird das Blut aus denoberflächlichen Gefäßen durch die Perforansve-nen in die Tiefe gepreßt. Deren Klappen (in dieTiefe gerichtet) verhindern, daß während derdarauffolgenden Wadenmuskelkontraktion zurPlantarflexion das Blut wieder zurück an dieOberfläche gepreßt wird.

Sind die Gefäße allerdings pathologisch ver-ändert, entsteht an den typischen Stellen der

2.3 Entstauende Wirkung der Muskel- und Gelenktätigkeit 201

2.3

Cockett-Perforansvenen (siehe Abb. 2.146) durchdas sog. „Pendelblut“ eine Gefäßektasie, die alsDowsches Zeichen oder „Blow out“ bezeichnetwird (Abb. 2.147).

Da gleichzeitig mit der Perforansvene aucheine versorgende kleine Hautarterie durch dieFaszienlücke zieht, wird diskutiert (z.B. vonStaubesand 1984), daß die dilatierte Vene dieHautarterie einschnüren könne – mit allen dar-aus resultierenden Folgen für das Hautareal.Dies würde auch zur Erklärung der häufig ge-rade an diesen Stellen auftretenden Ulcera cru-ris venosum als Nekrosefolge beitragen (Abb.2.148).

Rückstromeffekteauf das Lymphgefäßsystem

Für das tiefe Lymphgefäßsystem des Unterschen-kels darf ein vergleichbarer Druck-/Saugpum-peneffekt angenommen werden. Ob das ober-flächliche ventromediale Bündel im Verlauf derV. saphena magna und das dorsolaterale Bündelin Begleitung der V. saphena parva während derMuskelkontraktion auch Lymphe aus den tiefenLymphgefäßen aufnehmen (in Umkehrung zuden venösen Verhältnissen), ist nicht eindeutiggeklärt (siehe hierzu Abschn. 1.1.10, „Die unte-ren Extremitäten“, S. 54 ff.).

Die Wadenmuskulatur hat jedoch auch Aus-wirkungen auf die Kniegelenkpumpe, da der M.gastrocnemius mit seinen beiden Köpfen an denFemurkondylen inseriert.

Kniegelenkpumpe

Effekte auf das tiefe Venensystem

Der größte Anteil an der Pumpwirkung findet inder Kniekehle statt. Die hier verlaufende tiefe V.poplitea ist distal und proximal der Kniekehlebindegewebig relativ fest verankert (Abb. 2.149,2.150).

Die proximale Verankerung entsteht durchbindegewebige Verbindungen im Hiatus tendi-neus (adductorius) des M. adductor magnus.Die distale Verankerung der V. poplitea ist imArcus tendineus m. solei (Soleusschlitz) zu fin-den. Dieser entsteht durch die bogenförmigeVerankerung des M. soleus an der Rückflächeder proximalen Tibia und am proximalen Drittelder Fibularückfläche. Hier hat die Membrana in-terossea cruris eine Lücke, durch die Gefäße zurventralen Unterschenkelseite treten können.

Aus diesen Verankerungen der V. poplitea er-gibt es sich, daß eine Kniestreckung bis zurmöglichen Endstellung die Vene dehnt und da-mit durch Lumeneinengung auspreßt. Hierzu

Kapitel 2 Entstauende Maßnahmen im Überblick202

Abb. 2.145. Schema der Verbindung zwischen oberflächli-chen Venen und dem tiefen Venensystem über die Perfo-ransvenen, auch transfasziales System genannt. 1 V. com-municans, 2 V. perforans (epifascialis), 3 V perforans(subfascialis), 4 V. profunda, 5 V. superfascialis

2.3 Entstauende Wirkung der Muskel- und Gelenktätigkeit 203

2.3

Dodd-Gruppe

Hunter-Perforens

Kniekehlenperforens

Boyd-Perforens

Linton-Linie

Sherman-Perforens(24 cm-Perforens)

Cockett III 18,5 cm

Cockett II 13,5 cm

Cockett I 6 – 7 cm

6 cm

Gastroknemiuspunk(May-Perforens)

laterale Perforens

Soleuspunkt(Gullo-Perforens)

12 cm-Perforens

Bassi-Perforens(5 cm-Perforens)

Abb. 2.146. Die wichtigsten Perforansvenen der V. saphena magna (links) und V. saphena parva (rechts) und deren phle-bologische Benennung. (Aus Rieger u. Schoop 1998)

Faszie

insuffizienteV. perforans

Blow out

Haut

tiefe Vene oberflächliche Vene

Abb. 2.147. Schema der Entstehung eines „Blow out“

Abb. 2.148a–c. V. perforans mit Begleitarterie und -nerv.a Räumliches Schema, b normale Verhältnisse einer Fas-zienlücke mit V. perforans, kleiner Hautarterie, dünnemBegleitnerven und Lymphgefäßen, c erweiterte und vari-kös veränderte V. perforans, die die Faszienlücke fastvollständig ausfüllt, so daß der arterielle Hautast zwi-schen Faszienrand und Venenrand eingezwängt wird

dürfte auch das Corpus adiposum der Popliteabeitragen, da sich leicht beobachten läßt, daß essich bei durchgestrecktem Knie deutlich sichtbarvorwölbt – ein Hinweis auf die Raumeinengungin der Fossa poplitea infolge der Streckung.

Andererseits wäre zu erwarten, daß eine Knie-beugung bis zur möglichen Endstellung die di-stal und proximal verankerten Gefäße abknickt.Bei passiver forcierter Flexion im Kniegelenk istdies wohl auch der Fall. So berichtete Braune(zitiert in Staubesand 1984) bereits 1871, die soerzeugte Kompression führe dazu, daß sichselbst der Arterienpuls am Unterschenkel verrin-gere bzw. ganz schwinde. Bei nur kurzfristigerpassiver Beugung zur Endstellung, intakten Ve-nenklappen und wenn keine sonstige funktio-nelle Einschränkung vorliegt, stellt dies sicher-lich kein ernstes Problem dar. Bei Immobilisati-on kann dieser Zusammenhang allerdingsdurchaus eine Rolle spielen.

Bei aktiver Beugung des Kniegelenkes dage-gen bewirken verschiedene Mechanismen eineregelrechte Druck-/Saugpumpenwirkung, wobeigleichzeitig verhindert wird, daß die Gefäße ab-knicken. Zur aktiven Flexion des Kniegelenkes

Kapitel 2 Entstauende Maßnahmen im Überblick204

Abb. 2.149. Querschnitt durch das linkeKniegelenk, Ansicht von distal. Deutlichzu erkennen ist die lagebedingte engeBeziehung der poplitealen Gefäße zummedialen und lateralen Kopf des M.gastrocnemius. (Mit freundlicher Geneh-migung entnommen aus: Putz, R. undPabst, R. (Hrsg.): Sobotta, Atlas der Ana-tomie des Menschen. 20. Auflage, Urban &Schwarzenberg 1998)

Abb. 2.150. Proximale Verankerung der V. poplitea imHiatus tendineus und distale Verankerung im Arcus ten-dineus m. solei

spannen sich nämlich sowohl die ischiokruralenMuskeln als auch der M. gastrocnemius an. Diezwischen den Gastroknemiusköpfen verlaufendeV. poplitea (siehe Abb. 2.149) wird – röntgenolo-gisch nachweisbar – dadurch regelrecht von bei-den Seiten komprimiert und damit zur Knie-kehle hin ausgepreßt.

Gleichzeitig wird der gesamte Gefäßverlaufproximal dieser Stelle im Lumen geweitet, undzwar infolge mehrerer Mechanismen: Die An-satzsehnen des M. semitendinosus und des M.semimembranosus sowie des M. biceps femorisspringen deutlich sichtbar hervor. Dies führt da-zu, daß die Fascia poplitea, die die Kniekehlenach außen hin überdeckt, abgehoben wird, sodaß sich eine Raumvergrößerung ergibt.

Daß sich bei aktiver Beugung selbst bis zurEndstellung kein Abknicken der Gefäße ergibt,wie dies bei passiver Beugung vorkommenkann, liegt an folgenden Mechanismen:� Der Vorgang des „Gefäßlüftens“ vermindert

die Gefahr des Abknickens.� Laut Tillmann (1987) besteht die Hauptfunkti-

on des M. plantaris, der unter dem Caput la-terale des M. gastrocnemius liegt und bei ak-tiver Beugung mitkontrahiert, darin, dem Ab-knicken der Gefäße entgegenzuwirken, da esFaserverbindungen zwischen Muskelfaszieund Gefäßadventitia gibt.

Effekte auf das oberflächliche Venensystem

Es darf nicht vergessen werden, daß die subku-tanen, also oberflächlichen Venen bei aktiverGelenkbewegung nicht nur von der Tiefe her(durch hervortretende Sehnen- und Muskel-bauchanteile), sondern auch von außen her(durch die Spannungszunahme der Haut) kom-primiert und damit in die Tiefe ausgepreßt wer-den, wie bereits für den Fußbereich und dieSprunggelenk- und distale Unterschenkelregionbeschrieben. Auch hier ist bisweilen von einerzusätzlichen „Hautpumpe“ die Rede.

Effekte auf das Lymphgefäßsystem

Für das Lymphgefäßsystem stellt gerade dieKnieregion eine wichtige Passagestelle im Ver-lauf der unteren Extremität dar (siehe auchAbschn. 1.1.10, S. 54ff.):� Hier mündet das dorsolaterale Gefäßbündel in

popliteale Lymphknoten ein – ähnlich wie dieV. saphena parva in die Tiefe der Fossa popli-tea zieht und in die V. poplitea einmündet –und vereinigt sich in der Tiefe mit den sub-faszialen Lymphgefäßen des Unterschenkels.Es ist anzunehmen, daß die Muskelkontrak-tionen mit all ihren Auswirkungen auf denvenösen Rückstrom auch die tiefen Lymphge-fäße betreffen.

� Das oberflächliche ventromediale Bündel ver-läuft etwa in Begleitung der V. saphena ma-gna durch den „Flaschenhals“ der medialenKnieregion und unterliegt hier sicherlich dengleichen Mechanismen der Gelenkbewegungdie auf die oberflächlichen Venen einwirken –nämlich dem „Hautpump-Effekt“.

Oberschenkelmuskelpumpe

Die Muskelpumpwirkung am Oberschenkel äh-nelt prinzipiell den Mechanismen an der Unter-schenkelmuskulatur; allerdings spielt hier natür-lich die bindegewebige Verankerung der V. fe-moralis im Hiatus tendineus des M. adductormagnus eine große Rolle. Diese Verankerung istnicht nur für die V. femoralis, die aus der V. po-plitea im Kniekehlenbereich hervorgeht, von Be-deutung; sie wirkt sich auch bei der Hüftextensi-on dehnend und damit abstromfördernd aus, ander der M. adductor magnus mit bindegewebi-ger Verankerung der tiefen Venen mitbeteiligtist. Inwieweit dies jedoch therapeutische Bedeu-tung hat, ist nicht bekannt.

2.3 Entstauende Wirkung der Muskel- und Gelenktätigkeit 205

2.3

Saugpumpe unter dem Leistenband

Die Art und Weise, wie die V. femoralis im Be-reich der Lacuna vasorum unter dem Lig. ingui-nale hindurchtritt (Abb. 2.151, 2.152) und damitin die V. iliaca externa übergeht, legt die Vermu-tung nahe, daß sich alle Bewegungen, die imHüftgelenk stattfinden, auf den venösen Rück-strom auswirken. Dies wird umso plausibler,wenn man betrachtet, wie die gesamte Regionverbunden ist:� Das straffe Lig. inguinale ist etwa auf halberStrecke vom Tuberculum pubicum nach late-ral in Richtung Spina iliaca anterior superiorbindegewebig unterbrochen, und zwar durchden Arcus iliopectineus. Diese bindegewebigeVerbindung zur Sehne des M. psoas minor ei-nerseits und dem Lig. pectineale andererseitstrennt den Raum unter dem Leistenband indie mediale Lacuna vasorum und die lateraleLacuna musculorum, durch die der Haupt-hüftbeuger M. iliopsoas tritt.

� Die Fascia lata schließt sich an das Lig. ingui-nale von distal kommend an und ist lediglichdurch den Hiatus saphenus unterbrochen,durch den die V. saphena magna hindurch-tritt, um in die V. femoralis zu münden.

� Die schrägen Bauchmuskeln Mm. obliquus ex-ternus et internus haben ebenso Verbindungmit dem Lig. inguinale wie der M. transversusabdominis, und zwar über ihre Aponeurosen,die ihrerseits wiederum den geraden Bauch-muskel „einhüllen“ und dadurch die Rektus-scheide bilden.

Folgenden Mechanismen tragen also dazu bei,daß die Lacuna vasorum offengehalten wird unddamit der Tendenz zum Abknicken der Gefäßeentgegenwirkt:� Bei der aktiven Hüftbeugung wird infolge derKontraktion des M. iliopsoas das Leistenbandin der lateralen Hälfte angehoben.

� Auch Bewegungen von der Bauchdecke her,wie z.B. die Bauchpresse, spannen das Lei-stenband.

� Die Hüftstreckung spannt das Leistenband al-leine schon durch die Anspannung der Ober-schenkelfaszie.

Bedenkt man zusätzlich, daß die passierendenGefäße auch in der Lacuna vasorum bindegewe-big verankert sind, wird verständlich, daß dieserÜbergang der Beingefäße unter dem Leistenbandin das Becken hinein gelegentlich als „Gefäß-trichter“ beschrieben wird (Staubesand 1984).

Kapitel 2 Entstauende Maßnahmen im Überblick206

Abb. 2.151. Schnitt auf Höhe des Lei-stenbandes der rechten Seite. Deut-lich erkennbar die Lacuna musculo-rum mit dem M. iliopsoas und dieLacuna vasorum mit A. und V. femo-ralis und einem Lymphknoten. (Mitfreundlicher Genehmigung entnom-men aus: Putz, R. und Pabst, R.(Hrsg.): Sobotta, Atlas der Anatomiedes Menschen. 20. Auflage, Urban &Schwarzenberg 1998)