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1 Mündlicher Sprachgebrauch – Unterrichtskommunikation Seminar: Mündlicher Sprachgebrauch Gesprächsführung - Unterrichtskommunikation Ruth Hoffmann-Erz Institut für Psycholinguistik und Didaktik der deutschen Sprache

1Mündlicher Sprachgebrauch – Unterrichtskommunikation Seminar: Mündlicher Sprachgebrauch Gesprächsführung - Unterrichtskommunikation Ruth Hoffmann-Erz

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Folie 1*
Lernende sollen zu verantwortungsbewusstem Denken und Handeln in der Gesellschaft und für sich selbst befähigt werden.
Kognitive Prozesse stehen im Zusammenhang mit individuellen Erfahrungs- und Wissenshintergründen, mit eigenen Interpretationen und sozialen Prozessen, was nur in Verbindung mit Kommunikations-kompetenz vermittelt werden kann.
Gesprächserziehung soll die Sprache, Artikulations- und Dialog-fähigkeit, soziales und demokratische Verhalten fördern.
In der Gesprächserziehung sollen Emanzipation, Kreativität und Selbstbestimmung integriert werden.
Ziele der Gesprächserziehung 2
für den Kompetenzbereich „mit anderen sprechen“
sich konstruktiv an einem Gespräch beteiligen
durch gezieltes Fragen notwendige Informationen beschaffen
Gesprächsregeln einhalten
auf Gegenpositionen sachlich und argumentierend eingehen
kriterienorientiert das eigene Gesprächsverhalten und das anderer beobachten, reflektieren und bewerten
*
sich an Gesprächen beteiligen
andere zu Ende sprechen lassen, auf Gesprächsbeiträge
anderer eingehen, beim Thema bleiben
Anliegen und Konflikte gemeinsam mit anderen diskutieren
und klären
„Nur derjenige, der aktiv ist, ist auch derjenige. der lernt“
(N. Grenn 2003 zit. nach Bochmann/ Kirchmann 2006. S. 20)
Schüler speichern
10% dessen, was sie lesen oder sehen,
20% dessen, was sie hören und sehen,
30% dessen, was sie beobachten, demonstriert bekommen,
50% dessen, was sie miteinander besprechen können,
75% dessen, was sie selbst anwenden, wenn sie aktiv sind,
90% dessen, was sie anderen beibringen oder erklären
(vgl. Bochmann/Kirchmann 2006)
*
Probleme beim Führen von schulischen Unterrichtsgesprächen4
Das gelenkte Unterrichtsgespräch macht die Hälfte des gesamten und zwei Drittel des Frontalunterrichts aus. (Meyer 1987, S. 283).
Es wird häufig eingesetzt, da sich Lehrende von dieser Methode versprechen, schnell im Unterricht voranzukommen.
Sacher hat in einer empirischen Untersuchung ca. 10 Klassen der Klassenstufen 2-10 in 28 Stunden hinsichtlich ihres Meldeverhaltens beobachtet.
Dabei meldeten sich mehr als ein Drittel der Schüler im Unterricht gar nicht, die meisten der übrigen meldeten sich im Allgemeinen nur ein oder zweimal. Einzelne Schüler meldeten sich bis zu 40mal in einer Stunde.
In 96,56% der Fälle kamen Schüler nicht zu Wort, in 93,48% der Fälle ohne Meldung, in 3,08% trotz ihres Meldeangebotes.
*
Analyse eines Gesprächstrainings in einer 7. Klasse mit Hilfe von Kleingruppengesprächen 5
Ablauf
eines Gruppenpuzzles
Phase: Erneute Durchführung der drei Kleingruppengesprächsformen in „Aquariumsform“
Peter Hartung (2004): Wie lässt sich Gesprächskompetenz wirkungsvoll und nachhaltig vermitteln? In: Becker-Mrotzek; Brünner: Analyse und Vermittlung von Gesprächskompetenz. Frankfurt/ M.: Lang
Zu wenige empirische Befunde für wichtige Fragen:
Wirksamkeit einzelner Übungsformen
Auswirkung von Vermittlungsstilen
*
Erarbeitungs- und Übungsphase zur Förderung einer positiven Gesprächsführung
Lehrer stellt das Ziel vor „Gespräche sinnvoll führen/ Gesprächsregeln erarbeiten“
Gesprächsregeln sammeln
Spiel: Freies Partnerinterview - Partnerarbeit
Rollenspiel „Auf einen Standpunkt beharren“
Lösungsmöglichkeiten: Unterrichtsgespräch – danach Rollenspiel
Text zur Übung des Gruppenbeobachtungsverhaltens
verschiedene Texte und Fragen zur Gesprächsführung, die in Kleingruppenformen bearbeitet werden
*
%
Bezüglich der Unterbrechung des Redepartners waren hier im argumentierenden und im text- und fragenorientierten Gespräch viele Unterbrechungen nachweisebar, während beim Gruppenpuzzle schon hier nur wenige Unterbrechungen auftraten (64/ 51/19).
Beim text- und fragenorientierten Gruppengespräch gingen die Schüler – im Gegensatz zu den beiden anderen Gesprächsformen - schon vor der Gesprächserziehung gut aufeinander ein.
Äußerungen insgesamt
Nach der Gesprächserziehung verbessert sich das Gesprächsverhalten der Schüler eindeutig; die Schüler berücksichtigen die Regeln und das Niveau der Gespräche verbessert sich. Auch der soziale Umgang der Schüler untereinander verbessert sich.
Bezüglich der Kleingruppenformen stellt Traub folgende Unterschiede fest:
Gruppenpuzzle
starke Strukturierung aktiviert alle Schüler und fördert
die Einhaltung der Regeln
wenig Spontanität und Individualität
Individualität und Spontanität möglich
Alle drei Formen zusammen ermöglichen eine sinnvolle Gesprächserziehung.
*
Das Lehrgespräch
Gelenktes Unterrichtsgespräch
Freies Unterrichtsgespräch
Verbesserung der Kommunikation durch TZI 7
Die meisten Gesprächsregeln, die man in der Literatur findet, sind auf der Grundlage der TZI (Themenzentrierte Interaktion) entwickelt worden. Es handelt sich dabei um Gesprächsgrundsätze, die von anderen Autoren erweitert wurden.
TZI wurde von der Psychoanalytikerin Ruth C. Cohn (1912-2010) von 1955 an in den USA entwickelt.
TZI findet Anwendung in Schule und Hochschule, in der Lehrerfortbildung, Erwachsenenbildung, Unternehmensführung, Therapie und Supervision sowie in kirchlicher und politischer Arbeit.
TZI ist sowohl akademisch anerkannt als auch populärwissenschaftlich angesehen und verbreitet.
TZI heißt: Themenzentrierte Interaktion.
Der Mensch ist eine psycho-biologische Einheit. Er ist Teil des Universums. Er ist darum autonom und interpedent. Autonomie (Eigenständigkeit) wächst mit dem Bewusstsein der Interpedenz (Allverbundenheit). Primärbedürfnisse müssen beachtet werden!
Wertschätzung – Das ethisch-soziale Axiom
Ehrfurcht gebührt allem Lebendigem und seinem Wachstum. Respekt vor dem Wachstum bedingt bewertende Entscheidungen. Das Humane ist wertvoll, Inhumanes ist wertbedrohend.
Grenzen erweitern – Das pragmatisch-politisch Axiom
Freie Entscheidung geschieht innerhalb bedingender innerer und äußerer Grenzen. Erweiterung dieser Grenzen ist möglich.
Autonomie
Ein Mensch der Magenschmerzen hat, wird von diesem Gefühl beherrscht. Dieses banale Beispiel zeigt, die Ganzheitlichkeit des Menschen. Das Lernen muss immer emotional gestützt sein und es ist wichtig, dass es uns dabei gut geht. Primärbedürfnisse müssen beachtet werden.
Wertschätzung
Ein Fortbestand unserer Existenz ist nur möglich, wenn politische und wirtschaftliche Aktivitäten auf ethischen Überlegungen basieren. Das Humane ist wertvoll; Inhumanes ist wertbedrohend.
Grenzen erweitern
*
Das Ich, die Persönlichkeit
Das Wir, die Gruppe
Das Es, das Thema
Die Grundkonstituenten Ich – Wir – Es müssen eine dynamische Balance aufweisen.
Unter „Globe“ versteht man die Umgebung und alles, was an unmittelbar Aktuellem das lebendige Lernen beeinflusst.
Cohn geht davon aus, dass bei sachorientierten Gesprächen neben dem Thema auch die Bedürfnisse des Einzelnen und die Beziehungsebene untereinander von entscheidender Bedeutung sind.
Diese Ebenen werden in Gesprächen zu oft wenig oder gar nicht beachtet.
Die TZI ist die einzige gruppendynamische Methode, die neben der Gruppe= Wir und der Einzelperson = Ich, auch das ES= das Thema berücksichtigt. Es ist hier nicht mit dem Über-Ich nach Freud zu verwechseln, sondern meint eben das Thema bzw. den Lerngegenstand.
Das Thema bzw. der Lerngegenstand können aber nur bewältigt werden, wenn ein dynamisches Gleichgewicht hergestellt wird. Je nach Situation wird es notwendig sein, sich mit der Gruppe oder der Einzelperson zu befassen, damit lebendiges Lernen am Thema möglich ist. So kann sich nach Cohn die Gruppe nicht ständig mit einem neurotischen Gruppenmitglied befassen.
Dann benötigt dieser Teilnehmer eine therapeutische Behandlung.
*
Eine grundsätzliche Veränderung der Persönlichkeitswirkung ist kaum möglich.
Dem Lehrer kommt als Vorbild eine entscheidende Rolle zu!
Oftmals begegnet man der Meinung, zum Lehrer sei man berufen oder sogar geboren. Es gehöre eben eine gewisse Persönlichkeit dazu, um die Schüler zu begeistern und „im Griff zu haben“ und dies sei letztendlich nicht erlernbar.
Wichtig für die Lehrerausbildung ist festzustellen, dass die Mentoren, Kollegen, Dozenten und Ausbilder hier ebenfalls als Modell wirken.
Darüber hinaus gibt es eine Art Handwerkszeug, welches die Kommunikation in der Klasse verbessern kann. Lehrertrainings zeigen, dass wenn bestimmte Faktoren eingehalten werden, dadurch die Lehrersprache und damit die Wirkung des Lehrers verbessert werden kann.
Die alles entscheidende Personenwirkung des Lehrers ist dadurch aber nur geringfügig zu beeinflussen.
Im Rahmen einer Seminarsitzung kann natürlich kein gezieltes Lehrertraining stattfinden. Vielmehr sollen einige Trainingspunkte der Gesprächsführung vorgestellt werden.
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Schweigen – Einsammeln mit Blicken
Schweigen nach gestellten Fragen
Schweigen:
Schweigen stellt für den Lehrer uns ganz besonders für den Anfänger eine der größten Herausforderungen dar. Sekunden des Wartens können zu einer halben Ewigkeit werden. Sprache hat auch eine Art Puffer-Funktion, denn sie kann Unsicherheiten verdecken.
In Verbindung mit Blickkontakt stellt das Schweigen vor Gruppen eine Form von außerordentlich intensiver Kommunikation dar. Körpersignale werden unmittelbar und intensiv wahrgenommen. Insofern ist das Schweigen geeignet, die Spannung zu erhöhen, die Aufmerksamkeit herzustellen oder auf kleinere Disziplinverstöße einzuwirken.
Dennoch muss das Schweigen als rhetorisches Mittel einfühlsam praktiziert werden, damit nicht ein unbeabsichtigter Spannungsabfall auftritt.
Aus dem vorher gesagten, erschließt sich dass nach einer Frage den SuS oft viel zu wenig Zeit gelassen, um zu überlegen.
In dem Trainingsprogramm von Heidemann, wird das Warten - von mindestens 3 Sekunden – nach einer gestellten Frage gezielt geübt. Vorteil der Sprechpausen ist, dass sie die Wichtigkeit der Aussage unterstreicht, die Schüler können das Gesagte besser aufnehmen und erhöht die Konzentration.
Um Pausen zu verhindern, stellt der Lehrer immer wieder erneut Fragen. Oder wiederholt die Frage in anderer Formulierung. Dies führt bei den Schülern eher zur Irritation. Durch zu vieles und zu hektisches Sprechen verbreitet sich eine hektische Atmosphäre. Die Schüler können nicht in Ruhe nachdenken. Besser ist es eben nach einer Frage zu warten. Eventuell anzukündigen: Ich wiederhole die Frage noch einmal: ….
Lehrer- bzw. Schülerecho bedeutet, dass die Beiträge der Schüler durch den Lehrer wiederholt werden.
Dies geschieht aus wahrscheinlich wieder in der Absicht Sprechpausen zu vermeiden. Das Gespräch läuft wie ein Pingpong-Spiel immer wieder über den Lehrer.
Um ein Gespräch in Gang zu halten, können auch aufmunternde oder bestätigende Körpersignale eingesetzt werden.
(Viele Lehrer benutzen das Aufrufen der Schüler, um zu testen, ob die Schüler den Stoff verstanden haben und sprechen ansonsten lieber selbst.)
Wir-Floskeln sind im Unterricht zur einer typischen Eigenart der Lehrersprache geworden, die im alltäglichen Sprachgebrauch so nicht vorzufinden sind. Beispiel: „Wir wollen am Freitag eine Klassenarbeit schreiben.“In versteckter Form können so Aufforderungen und Anweisungen ausgesprochen werden, ohne ihnen zugleich die schärfe eines direkten Befehls zu geben. Dadurch wird aber eine Harmonie vorgetäuscht, die der wahren Beziehungsstruktur zwischen Lehrer- und Schülern nur selten entscheidet.
Ehrliche und besser erscheint es, die Sprache der wahren Interaktionsstruktur anzupassen. Das heißt, dass der Lehrer öfter „ich“ sagt. Wer „ich2sagt, der wird als individuelle Person erkennbar und nicht nur als Funktionsträger.
Negatives positiv ausdrücken:
Statt: nicht streiten – sich vertragen
Statt: sei still – bitte höre zu
Aktives Zuhören – reflektierendes Sprechen
Viele Lehrer sind bei Schüleräußerungen mit ihren Gedanken woanders oder nehmen nur noch selektiv wahr, was gerade in die eigenen Gedankengänge hineinpasst, Zusätzlich zu dem aktiven Zuhören, wird beim reflektierenden Sprechen, das Gesagte in einer neuen Formulierung wiederholt (Gordon: Lehrer-Schüler-Konferenz, Hamburg 1977). Ziel dieser Methode ist es, mehr über den Schüler zu erfahren.
Beispiel: Schüler: Hoffentlich ist bald wieder Sommer.
Lehrer: Du freust dich auf den Sommer?
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Fragetechniken 12
Echte Fragen
Der Fragende möchte die Antwort wirklich wissen, weil er sie nicht kennt.
Begründete Fragen
Es wird dem Befragten zusätzlich mitgeteilt, warum die Frage gestellt wird.
Geschlossene Fragen
Ja-Nein-Fragen: Möchtest du etwas Trinken?
Offene Fragen
Sie ermöglichen viele verschiedene Antworten. Sie bringen häufig mehr Information und fördern echte Gespräche.
Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Lehrer im Durchschnitt 2-4 Fragen pro Minute. Das sind 150 Fragen in einer Unterrichtsstunde. Dabei sind 80% Wissens- und Erinnerungsfragen und 20% Fragen höherer Ordnung.
Echte Fragen:
Sind Fragen, bei denen der fragende wirklich wissen möchte, was er fragt.
In der Schule wird oft gefragt, um herauszufinden, ob der Schüler es weiß.
Trotz aller kritischer Äußerungen, hat sich das fragend-entwickelnde Unterrichtsgespräch bis heute als Grundmuster des Unterrichts gehalten. Obwohl fiktive Fragen keine echten Fragen sind, wird man im kaum ohne sie auskommen.
Ziel kann es also nur sein, Lehrerfragen im Unterricht gezielter und begründeter einzusetzen.
Begründete Fragen:
Es wird dem befragten dabei zusätzlich mitgeteilt, warum die Frage gestellt wird.
Geschlossene Fragen
Offene Fragen
6 Schuster, S. 82 ff. S. 109
7 ebd.
9 Schuster, S. 117
11 http://www.grundschulmarkt.de/Joke/schule2.JPG (9.3.10), Allhoff, S. 228
12 Wagner, S. 221 f.
Literatur
Heidemann, Rudolf (92009): Körpersprache im Unterricht, Wiebelsheim: Quelle& Co
Langmaack, Barbara (2001): Einführung in die Themenzentrierte Interaktion TZI, Weinheim, Basel: Beltz
Potthoff, Ulrike; Steck-Lüschow, Angelika; Zithke, Elke (2008): Gespräche mit Kindern. Berlin: Cornelsen.
Schuster, Karl (1998): Mündlicher Sprachgebrauch im Deutschunterricht, Hohengehren: Schneider-Verl.
Traub, Silke (2006): Gespräche führen – leicht gemacht. Gesprächserziehung in der Schule. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren
Wagner, Roland (2006): Mündliche Kommunikation in der Schule, Paderborn: Schöningh, UTB