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Langenbecks Arch Chir 361 (Kongregbericht 1983) Langenbecks Arc.,hiv ~r Chirurgie (~'~ Springer-Verlag 1983 113. Hyperparathyreoidismus mit ausgepr~igter Rezidivneigung als Konstante beim MEN I-Syndrom D. Branscheid, P. E. Goretzki, R. A. Wahl und H.-D. R6her Chirurgische Universit/its-Klinik, Zentrum ffir Operative Medizin I, Robert-Koch-StraBe 8, D-3550 Marburg/Lahn Recurrent Hyperparathyroidism as a Guideline to Detection of MEN l-Syndrome Summary. We report on 6 patients with MEN I-syndrome with following manifestations: 6 hpt, 5 pancreas, 1 hypophysis, 1 thymus (carcinoid). In 1 patient with familial MEN 1-syndrome: 19 out of 50 family members suffered from MEN I-syndrome (14 hpt). Gastric ulcers and recurrent hpt (14 hpt-operations in ff = 7.5 years) determined the MEN I-syndrome. The risk of recurrent hpt in MEN I-syndrome and the morbidity of operations support subtotal PTX and thymectomy as the first operation; total PTX with autotransplantation and cryopreservation is used in case of recurrent hpts. Key words: MEN I-syndrome - Primary hyperparathyroidism. Zusammenfassung. Wir behandelten 6 Patienten mit MEN I-Syndrom bei folgender Organ- manifestation: 6 HPT, 5 Pankreas, 1 Hypophyse, 1 Thymus (Carcinoid). Ein Patient zeigte ein familiares MEN I-Syndrom: 19 von 50 Familienmitgliedern erkrankten (14 HPT). Rezidiv- ulcera und schwere Symptome des HPT sowie hohe Rezidivneigung (14 HPT-OP in ~ = 7,5 J.) pr/igten das Krankheitsbild. Rezidivrisiken des HPT beim MEN I-Syndrom und Operations- morbidit/it veranlassen uns, beim Ersteingriffdie subtotale PTX + Thymektomie, beim Rezidiv die totale PTX mit Autotransplantation und Kryopr/iservation durchzuffihren. Schliisselwiirter: MEN I-Syndrom - Prim~irer Hyperparathyreoidismus. Die multiple endokrine Neoplasie Typ I, kurz MEN l-Syndrom genannt, ist eine seltene, aber wahrscheinlich immer noch unterdiagnostizierte Erkrankung. Wermer beschrieb 1954 die auto- somal dominante famili~ire Form. Uber 40 Sippen mit MEN I-Syndromen sind bis heute bekannt. Uberg~inge von MEN I zu MEN II sind zu diskutieren. Die typische klinische Manifestation rechtfertigt derzeitig jedoch eine Abgrenzung. Der fiberwiegende Tell der Patienten mit MEN I-Syndrom erkrankt an einem HPT und an Pankreastumoren im Mittel mit einer prozentualen Beteiligung yon 90 bzw 80 ~o (Tabelle 1). Die anderen endokrinen Organe sind deutlich seltener betroffen oder ffihren weniger oft zu einer sich klinisch auspr/igenden Erkrankung. Im Gesamtkrankeugut von Patienten mit einem prim/iren Hyperparathyreoidismus ffihrt die Erstoperation in fiber 90 ~ der F/ille zu dauerhafter Heilung mit Tabelle 1. Zusammenstellung einer Auswahl aus der aktuellen Literatur mit beschriebenen anteilm/iBigen Organmanifestationen Taylor Croisier Clark Teichmann 1975 1971 1981 1980 Nebenschilddrtise 89 88 92 82 Pankreas 67 84 84 93 Nebenniere 33 36 28 34 Hypophyse 33 51 55 25 Schilddrtise - 27 27 17

113. Hyperparathyreoidismus mit ausgeprägter Rezidivneigung als Konstante beim MEN I-Syndrom

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Page 1: 113. Hyperparathyreoidismus mit ausgeprägter Rezidivneigung als Konstante beim MEN I-Syndrom

Langenbecks Arch Chir 361 (Kongregbericht 1983) Langenbecks Arc.,hiv ~r Chirurgie (~'~ Springer-Verlag 1983

113. Hyperparathyreoidismus mit ausgepr~igter Rezidivneigung als Konstante beim MEN I-Syndrom D. Branscheid, P. E. Goretzki, R. A. Wahl und H.-D. R6her

Chirurgische Universit/its-Klinik, Zentrum ffir Operative Medizin I, Robert-Koch-StraBe 8, D-3550 Marburg/Lahn

Recurrent Hyperparathyroidism as a Guideline to Detection of MEN l-Syndrome

Summary. We report on 6 patients with MEN I-syndrome with following manifestations: 6 hpt, 5 pancreas, 1 hypophysis, 1 thymus (carcinoid). In 1 patient with familial MEN 1-syndrome: 19 out of 50 family members suffered from MEN I-syndrome (14 hpt). Gastric ulcers and recurrent hpt (14 hpt-operations in ff = 7.5 years) determined the MEN I-syndrome. The risk of recurrent hpt in MEN I-syndrome and the morbidity of operations support subtotal PTX and thymectomy as the first operation; total PTX with autotransplantation and cryopreservation is used in case of recurrent hpts.

Key words: MEN I-syndrome - Primary hyperparathyroidism.

Zusammenfassung. Wir behandelten 6 Patienten mit MEN I-Syndrom bei folgender Organ- manifestation: 6 HPT, 5 Pankreas, 1 Hypophyse, 1 Thymus (Carcinoid). Ein Patient zeigte ein familiares MEN I-Syndrom: 19 von 50 Familienmitgliedern erkrankten (14 HPT). Rezidiv- ulcera und schwere Symptome des HPT sowie hohe Rezidivneigung (14 HPT-OP in ~ = 7,5 J.) pr/igten das Krankheitsbild. Rezidivrisiken des HPT beim MEN I-Syndrom und Operations- morbidit/it veranlassen uns, beim Ersteingriffdie subtotale PTX + Thymektomie, beim Rezidiv die totale PTX mit Autotransplantation und Kryopr/iservation durchzuffihren.

Schliisselwiirter: MEN I-Syndrom - Prim~irer Hyperparathyreoidismus.

Die multiple endokrine Neoplasie Typ I, kurz MEN l-Syndrom genannt, ist eine seltene, aber wahrscheinlich immer noch unterdiagnostizierte Erkrankung. Wermer beschrieb 1954 die auto- somal dominante famili~ire Form. Uber 40 Sippen mit MEN I-Syndromen sind bis heute bekannt. Uberg~inge von MEN I zu MEN II sind zu diskutieren. Die typische klinische Manifestation rechtfertigt derzeitig jedoch eine Abgrenzung.

Der fiberwiegende Tell der Patienten mit MEN I-Syndrom erkrankt an einem HPT und an Pankreastumoren im Mittel mit einer prozentualen Beteiligung yon 90 bzw 80 ~o (Tabelle 1). Die anderen endokrinen Organe sind deutlich seltener betroffen oder ffihren weniger oft zu einer sich klinisch auspr/igenden Erkrankung. Im Gesamtkrankeugut von Patienten mit einem prim/iren Hyperparathyreoidismus ffihrt die Erstoperation in fiber 90 ~ der F/ille zu dauerhafter Heilung mit

Tabelle 1. Zusammenstellung einer Auswahl aus der aktuellen Literatur mit beschriebenen anteilm/iBigen Organmanifestationen

Taylor Croisier Clark Teichmann 1975 1971 1981 1980

Nebenschilddrtise 89 88 92 82 Pankreas 67 84 84 93 Nebenniere 33 36 28 34 Hypophyse 33 51 55 25 Schilddrtise - 27 27 17

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Tabelle 2 Organmanifestation yon 6 Patienten mit MEN I-Syndrom

= ;D HPT

I 3 b e i

HPT HPT HPT

4 0000

5

0 = MEN I-SYNDRON

Geschl. Alter HPT Pankreas Hypo- GLU/GAS/ physe INS

M 33J. + W 22J. + W 29 J. + W 45J. + M 26 J. + W 31J. + +

Y31J.

Thymus SD

? 9 I

i i i I 6 6 O HPT HPT

I I

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 HPT'HFTtIPT

+ + + + + + + + + + + +

Abb. 1 Famili~ires MEN I-Syndrom mit katamnestischem Befall von 19 von 50 Familienmitgliedern fiber 5 Generationen

Normalisierung der Funktion. Vergleicht man die Rezidivraten des sporadisch prim~iren Hyper- parathyreoidismus, der famili~iren Hyperplasie der Epithelk6rperchen und des prim~iren HPT bei MEN I-Syndrom, so gibt der HPT beim MEN I-Syndrom 6- bis 7mal hiiufiger zu Rezidiven AnlaB als beim prim~tren HPT, was die Frage nach einer adfiquaten Therapie aufwirft.

Wir fibersehen den Krankheitsverlauf yon 6 Patienten mit MEN I-Syndrom, nur bei einem nachgewiesenermal3en famili~ir (Tabelle 2). Alle 6 Patienten erkrankten an einem HPT, bei 5 davon als Erstmanifestation. 5 Patienten zeigten eine Pankreasbeteiligung, davon 3 Gastrinome und 1 Insulinom. 1 Patient zeigte einen Mischtumor mit vielf'~iltiger endokriner Aktivit~it (Glukagon, Gastrin, Insulin). Bei 1 Patienten war der primfire HPT mit einer seltenen Variante des MEN I- Syndroms vergesellschaftet: Thymuscarcinoid, mehrere Hypophysenadenome, multiple endokrine Pankreastumoren, zus~itzlich Nebennierenhyperplasie und eine Knotenstruma. Nach der Literatur bestimmt ein solches Thymuscarcinoid die Prognose - unser Patient verstarb nach der vierten Operation im Stadium der Tumorgeneralisation nach einer Gesamtbeobachtungszeit von 7,2 Jahren. Bei 1 Patienten lag ein famili~ires MEN I-Syndrom vor mit katanmestischem Befall von 19 von 50 Familienmitgliedern fiber ffinf Generationen, 14mal trat ein HPT auf (Abb. 1). Bei 3 der 6 Patienten wurde beim Ersteingriff eine Exstirpation von scheinbar solit~iren oder multiplen Adenomen durchgeffihrt (1969- 1972) (Tabelle 3). Bei den fibrigen Patienten erfolgte schon beim Ersteingriff(1975- 1980) die subtotale Parathyreoidektomie. Der HPT persistierte und rezidivierte bisher bei allen inad~iquat operierten und bei einem der subtotal resezierten Patienten (1975), n~imlich dem Patienten mit famili~irem MEN I-Syndrom. Insgesamt muBten in einem Beobach- tungszeitraum yon 1 - 1 3 Jahren (~= 7,5 Jahre) 14 Operationen wegen rezidivierendem HPT vorgenommen werden. Bei 3 Patienten wurde im Rahmen von Rezidiveingriffen letztlich die totale Parathyreoidektomie durchgeffihrt, zweimal mit Autotransplantation in den Unterarm, wobei inzwischen in einem Fall auch das Transplantat nachreseziert werden muSte.

Abbildung2 zeigt den Verlauf des Serumcalciums bei einer Patientin nach zweimaliger Exploration 1972. Der HPT persistierte, und nach erneuerter Reexploration mit subtotaler Resektion 1978 rezidivierte er. Nach totaler Parathyreoidektomie 1981 kam es zur Hypocalci~imie. Die Aufnahme der Funktion des zun~ichst kryoprfiservierten, verz6gert autotransplantierten Gewebes wurde durch cytostatische Therapie des metastasierenden Glucagonomes gestoppt. Die Patientin verstarb, ohne dab Normocalci~imie erreicht worden w~ire.

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CAVNAL/L

601

11g'/2

EK-RESEKTION

1 ~ (ZEIT IN J, )

SUBTOTALE PTX TOTALE PTX AUTOTRANSPLAt, ff,

Abb. 2. Verlauf des Serum-Calciums bei einer Patientin mit rezidivierendem Hyperparathyreoidismus mit MEN I-Syndrom

Tabelle3. Operationen und Schicksal yon 6 Patienten bei Hyperparathyreoidismus mit MEN I-Syndrom

Erst-Op Rezidiv Schicksal

A.H. 1972 (2 EK) 1977 Therapie abgelehnt 1981 path. Fraktur

H.D. 1969 (1 EK) 1973 (1 EK) 1981 totale PTX

K.A. 1972 (1 EK) 1978 (1 EK) 1981 totale PTX 1982 autotranspl.

I Thymuscarcinoid

t Metast. Glucagonom

S.M. 1980 subtotal

T.A. 1980 subtotal

K.M. 1975 subtotal 1976 (1/2 EK) 1980 totale PTX

Autotransplantat 1981 Transplantatreduktion

1983 Normocalci~imie

1983 Normocalci~imie

1983 Normocalci~mie

Tabeile 4 OP-Verfahren bei HPT mit MEN I-Syndrom A. Subtotal 31/2 EK Resektion mit Thymektomie

B. Totale Parathyreoidektomie 1. sofortige Autotransplantation 2. verz6gerte Autotransplantation

nach Kryopr/iservierung

Eigenes Vorgehen : beim Ersteingriff: A beim Rezidiveingriff: B

Immer: Kryoprfiservierung von EK-Gewebe

SchluBfoigerung lind therapeutische Konsequenz (Tabelle 4)

In Abwiigung des Rezidivrisikos des Hyperparathyreoidismus bei Patienten mit MEN I-Syndrom und der Operationsmorbidit~it fiihren wir bei der Erstoperation die subtotale Parathyreoidektomie mit Thymcktomie dutch und behalten uns die totale Parathyreoidcktomic mit Autotransplantation fiir den Rezidiveingriff vor. In jedem Fall wird yon vornherein Driisengewcbe kryopriiserviert.

Literatur beim Verfasser