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Redaktion E. Märker-Hermann, Wiesbaden R.E. Schmidt, Hannover Z Rheumatol 2010 · 69:871–878 DOI 10.1007/s00393-010-0701-6 © Springer-Verlag 2010 E. Märker-Hermann · N. Schütz · H. Bauer Klinik Innere Medizin IV (Rheumatologie, klinische Immunologie und Nephrologie), HSK Dr. Horst Schmidt Klinik GmbH, Wiesbaden Virale Arthritiden Leitthema Viren sind weltweit häufige Auslöser aku- ter oder protrahierter Arthritiden, häufig in Assoziation mit Fieber, Hautausschlä- gen und Allgemeinsymptomen. Zu den arthritogenen Viren gehören das Parvo- virus B19, das Rötelnvirus, das Hepatitis- B- (HBV) und -C-Virus (HCV), das hu- mane Immundefizienzvirus (HIV), das humane „T-cell lymphotropic“ Virus I (HTLV-I) und die Alphaviren. Einige die- ser viralen Arthritiden, so Z. B. die durch Parvovirus B19, das Rötelnvirus und HBV induzierten, können eine frühe rheuma- toide Arthritis (RA) imitieren, heilen aber im Verlauf ohne spezifische Therapie nach wenigen Wochen folgenlos aus. Andere, wie die tropischen Alphaviren, führen zu eher protrahierten bzw. chronischen Ar- thritiden, die gerade in unseren Breiten bei erkrankten Reiseheimkehrern größe- re diagnostische Herausforderungen dar- stellen. Sind Arthritiden oder Arthralgien das erste oder klinisch führende Symptom einer schwerwiegenden oder epidemisch/ gesundheitspolitisch relevanten Infekti- on (Z. B. Alphaviren-induzierte Arthri- tiden, HIV-assoziierte Arthritiden), so hat der Rheumatologe die Chance, diese frühzeitig mit den entsprechenden Kon- sequenzen zu diagnostizieren. > Chronischen Arthritiden durch Alphaviren können eine diagnostische Herausforderung darstellen In den meisten Fällen Virus-assoziier- ter Arthritiden ist der Pathomechanis- mus noch unzureichend verstanden. Die direkte Virusinfektion synovialer Zel- len kann zu entzündlichen Reaktionen über lytische Effekte, Immunkomplex- bildung oder Induktion proinflammato- rischer Zytokine führen. Ein alternativer, die vorgenannten direkten Viruseffekte aber nicht ausschließender Mechanismus könnte in der Induktion von Autoimmun- reaktionen über molekulares Mimikry, „Bystander-Aktivierung“ oder „Epitope Spreading“ liegen [27]. Parvovirus B19 Parvovirus B19 (Tab. 1) gehört zur Fa- milie Parvoviridae, kleiner Einzelstrang- DNA-Viren ohne Virushülle. Das Spek- trum klinischer Symptome einer akuten Parvovirus-B19-Infektion umfasst die im Kindesalter häufige Erkrankung des Ery- thema infectiosum (Ringelröteln), in des- sen Rahmen bei infizierten Kindern nur in knapp 3% Arthralgien oder Arthriti- den auftreten. Bei intrauterinen Infek- tionen kann es zu einem Hydrops feta- lis kommen, zudem (vor allem bei Pati- enten mit hämatologischen Grunderkran- kungen) zu transienten aplastischen Kri- sen, einer „Pur-redcell-Aplasie“ oder auch chronischen Anämien als Ausdruck einer chronischen Infektion [9]. Im Jahr 1985 wurde erstmals eine As- soziation zwischen einer Arthritis und ei- ner Parvovirus-B19-Infektion festgestellt [18, 28]. Gelenkschmerzen und Arthriti- den stellen das häufigste klinische Symp- tom der primären Parvovirus-B19-Infek- tion im Erwachsenenalter dar (bei 60% der infizierten Frauen und 30% der in- fizierten Männer). Hautveränderungen sind bei Erwachsenen deutlich seltener und uncharakteristisch. Es wird vermu- tet, dass die Arthritis eine immunver- mittelte Genese hat, da sie mit dem Auf- treten zirkulierender Antikörper im Se- rum zusammenfällt. Die Gelenksymp- tome manifestieren sich als akute mo- derate bis schwere, nichterosive Poly- arthritis mit Beteiligung der Metakarpo- phalangealgelenke (75%), Kniegelenke (65%), Hand- (55%) und Sprunggelenke (40%) sowie einer signifikanten Morgen- steifigkeit. Bei mehrwöchigem Verlauf einer Par- vovirus-B19-Arthritis erfüllen etwa 50% der Patienten formal die ACR- („Ame- rican College of Rheumatology“-) Krite- rien zur Klassifikation einer RA [15]. Dia- gnostisch erschwerend in der Abgrenzung gegenüber einer RA oder auch gegenüber einem systemischen Lupus erythematodes (SLE) kommt hinzu, dass bei Parvovirus- B19-Erkrankungen nicht selten Autoan- tikörper induziert werden einschließlich niedrigtitriger Rheumafaktoren, antinuk- leärer und Anti-DNA-Antikörper. Par- vovirus-B19-DNS wurde bei nachgewie- senen akuten Infektionen mit Polyarthri- tis, aber auch bei verschiedenen anderen rheumatischen Erkrankungen wie der RA [21], Arthrosen und sogar bei posttrauma- tischen Gelenkschwellungen in der Syn- ovialis nachgewiesen. Es wurde die The- se aufgestellt, dass Parvovirus B19 ursäch- lich bei der Initiierung und Chronifizie- rung der RA beteiligt sei; dies konnte je- doch durch weitergehende epidemiolo- gische und experimentelle Studien nicht untermauert werden. Die Parvovirus-B19-Arthritis hat einen selbstlimitierten Verlauf von wenigen Wochen, gelegentlich auch länger, wird aber nicht chronisch. In einer klinischen Langzeit-Follow- up-Untersuchung berichtete keiner von 54 Patienten mit Parvovirus-B19-assozi- ierter Arthralgie oder Arthritis über per- sistierende Gelenkschwellungen oder Be- wegungseinschränkungen über mehr als ein Jahr, und auch klinisch-rheumatolo- gisch konnte kein Fall von persistierender 871 Zeitschrift für Rheumatologie 10 · 2010 |  

Virale Arthritiden

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Page 1: Virale Arthritiden

RedaktionE. Märker-Hermann, Wiesbaden R.E. Schmidt, Hannover

Z Rheumatol 2010 · 69:871–878DOI 10.1007/s00393-010-0701-6© Springer-Verlag 2010

E. Märker-Hermann · N. Schütz · H. BauerKlinik Innere Medizin IV (Rheumatologie, klinische Immunologie und Nephrologie), HSK Dr. Horst Schmidt Klinik GmbH, Wiesbaden

Virale Arthritiden

Leitthema

Viren sind weltweit häufige Auslöser aku-ter oder protrahierter Arthritiden, häufig in Assoziation mit Fieber, Hautausschlä-gen und Allgemeinsymptomen. Zu den arthritogenen Viren gehören das Parvo-virus B19, das Rötelnvirus, das Hepatitis-B- (HBV) und -C-Virus (HCV), das hu-mane Immundefizienzvirus (HIV), das humane „T-cell lymphotropic“ Virus I (HTLV-I) und die Alphaviren. Einige die-ser viralen Arthritiden, so Z. B. die durch Parvovirus B19, das Rötelnvirus und HBV induzierten, können eine frühe rheuma-toide Arthritis (RA) imitieren, heilen aber im Verlauf ohne spezifische Therapie nach wenigen Wochen folgenlos aus. Andere, wie die tropischen Alphaviren, führen zu eher protrahierten bzw. chronischen Ar-thritiden, die gerade in unseren Breiten bei erkrankten Reiseheimkehrern größe-re diagnostische Herausforderungen dar-stellen. Sind Arthritiden oder Arthralgien das erste oder klinisch führende Symptom einer schwerwiegenden oder epidemisch/gesundheitspolitisch relevanten Infekti-on (Z. B. Alphaviren-induzierte Arthri-tiden, HIV-assoziierte Arthritiden), so hat der Rheumatologe die Chance, diese frühzeitig mit den entsprechenden Kon-sequenzen zu diagnostizieren.

> Chronischen Arthritiden durch Alphaviren können eine diagnostische Herausforderung darstellen

In den meisten Fällen Virus-assoziier-ter Arthritiden ist der Pathomechanis-mus noch unzureichend verstanden. Die direkte Virusinfektion synovialer Zel-len kann zu entzündlichen Reaktionen über lytische Effekte, Immunkomplex-bildung oder Induktion proinflammato-rischer Zytokine führen. Ein alternativer,

die vorgenannten direkten Viruseffekte aber nicht ausschließender Mechanismus könnte in der Induktion von Autoimmun-reaktionen über molekulares Mimikry, „Bystander-Aktivierung“ oder „Epitope Spreading“ liegen [27].

Parvovirus B19

Parvovirus B19 (. Tab. 1) gehört zur Fa-milie Parvoviridae, kleiner Einzelstrang-DNA-Viren ohne Virushülle. Das Spek-trum klinischer Symptome einer akuten Parvovirus-B19-Infektion umfasst die im Kindesalter häufige Erkrankung des Ery-thema infectiosum (Ringelröteln), in des-sen Rahmen bei infizierten Kindern nur in knapp 3% Arthralgien oder Arthriti-den auftreten. Bei intrauterinen Infek-tionen kann es zu einem Hydrops feta-lis kommen, zudem (vor allem bei Pati-enten mit hämatologischen Grunderkran-kungen) zu transienten aplastischen Kri-sen, einer „Pur-redcell-Aplasie“ oder auch chronischen Anämien als Ausdruck einer chronischen Infektion [9].

Im Jahr 1985 wurde erstmals eine As-soziation zwischen einer Arthritis und ei-ner Parvovirus-B19-Infektion festgestellt [18, 28]. Gelenkschmerzen und Arthriti-den stellen das häufigste klinische Symp-tom der primären Parvovirus-B19-Infek-tion im Erwachsenenalter dar (bei 60% der infizierten Frauen und 30% der in-fizierten Männer). Hautveränderungen sind bei Erwachsenen deutlich seltener und uncharakteristisch. Es wird vermu-tet, dass die Arthritis eine immunver-mittelte Genese hat, da sie mit dem Auf-treten zirkulierender Antikörper im Se-rum zusammenfällt. Die Gelenksymp-tome manifestieren sich als akute mo-derate bis schwere, nichterosive Poly-arthritis mit Beteiligung der Metakarpo-

phalangealgelenke (75%), Kniegelenke (65%), Hand- (55%) und Sprunggelenke (40%) sowie einer signifikanten Morgen-steifigkeit.

Bei mehrwöchigem Verlauf einer Par-vovirus-B19-Arthritis erfüllen etwa 50% der Patienten formal die ACR- („Ame-rican College of Rheumatology“-) Krite-rien zur Klassifikation einer RA [15]. Dia-gnostisch erschwerend in der Abgrenzung gegenüber einer RA oder auch gegenüber einem systemischen Lupus erythematodes (SLE) kommt hinzu, dass bei Parvovirus-B19-Erkrankungen nicht selten Autoan-tikörper induziert werden einschließlich niedrigtitriger Rheumafaktoren, antinuk-leärer und Anti-DNA-Antikörper. Par-vovirus-B19-DNS wurde bei nachgewie-senen akuten Infektionen mit Polyarthri-tis, aber auch bei verschiedenen anderen rheumatischen Erkrankungen wie der RA [21], Arthrosen und sogar bei posttrauma-tischen Gelenkschwellungen in der Syn-ovialis nachgewiesen. Es wurde die The-se aufgestellt, dass Parvovirus B19 ursäch-lich bei der Initiierung und Chronifizie-rung der RA beteiligt sei; dies konnte je-doch durch weitergehende epidemiolo-gische und experimentelle Studien nicht untermauert werden.

E Die Parvovirus-B19-Arthritis hat einen selbstlimitierten Verlauf von wenigen Wochen, gelegentlich auch länger, wird aber nicht chronisch.

In einer klinischen Langzeit-Follow-up-Untersuchung berichtete keiner von 54 Patienten mit Parvovirus-B19-assozi-ierter Arthralgie oder Arthritis über per-sistierende Gelenkschwellungen oder Be-wegungseinschränkungen über mehr als ein Jahr, und auch klinisch-rheumatolo-gisch konnte kein Fall von persistierender

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entzündlicher Gelenkerkrankung nachge-wiesen werden [26].

Die Diagnostik der akuten Parvovirus-B19-assoziierten Arthritis und anderer Symptome (z. B. Erythema infectiosum, Karditis) beim immunkompetenten Pati-enten erfolgt durch die Bestimmung Par-vovirus-B19-spezifischer Serumantikör-per der Klasse IgM und IgG. Ein alleiniger IgG-Antikörpernachweis spricht für eine länger zurückliegende Infektion, wobei der Durchseuchungsgrad in der erwach-senen Bevölkerung bei etwa 50% liegt. Ein Parvovirus-B19-DNS-Nachweis mit-tels Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR) ist notwendig bei Verdacht auf eine chro-nische aktive Infektion bei immunsuppri-mierten Patienten, die keine adäquate An-tikörperantwort entwickeln können [10]. Therapeutisch werden nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) eingesetzt.

Rötelnvirus

Das Rötelnvirus (. Tab. 1) ist der ein-zige Vertreter des Genus Rubivirus in der Togaviridae-Familie, ein Virus mit ein-zelsträngiger RNA mit positiver Polari-tät, das von einem ikosaedrischen Kapsid umgeben ist. Die Röteln sind hoch anste-ckend, werden über nasopharyngeales Se-kret übertragen, sind aber Dank der Imp-fungen in der Inzidenz deutlich zurück-gegangen. Das typische Rötelnexanthem entwickelt sich 14 bis 21 Tage nach der In-fektion und ist klassischerweise mit er-höhten Temperaturen, Krankheitsgefühl und einer zervikookzipitalen, retroau-rikulären Lymphknotenschwellung ver-bunden. Infektionen können aber auch asymptomatisch verlaufen.

Arthralgien und Arthritiden treten ty-pischerweise bei infizierten erwachsenen

Frauen auf und beginnen eine Woche vor Ausbruch des Exanthems. Die symmet-rische oder migratorische Arthropathie (häufig Metakarpophalangealgelenke, proximale Interphalangealgelenke, Hand-, Knie- und Sprunggelenke) mit deutlicher Morgensteifigkeit dauert einige Tage bis 2 Wochen an. Selten klagen die Patienten auch nach Monaten noch über Gelenkbe-schwerden.

Die Diagnose wird gestellt durch den Nachweis Röteln-spezifischer IgM-An-tikörper oder eine IgG-Rötelnantikör-per-Serokonversion (. Tab. 1). IgM- und IgG-Antikörper sind typischerwei-se schon zu Beginn der Gelenksympto-matik im Serum nachweisbar [16]. Rö-telnimpfungen können mit Postvakzina-tionssymptomen – typischerweise 2 Wo-chen nach Impfung beginnend und knapp eine Woche anhaltend – wie Arthralgien,

Tab. 1  Virusinduzierte Arthritiden: Zusammenfassung von Risikopopulation, klinischen Charakteristika, Diagnostik, Labor- und  Röntgenbefunden

Virus Röteln Parvovirus B19 HBV HCV HIV HTLV-I Alphaviren

Risiko-population

Kontakt zu Kindern,Arbeit in Schulen oder Kindertages-stätten

Kontakt zu Kindern,Arbeit in Schu-len oder Kinder-tagesstätten

Intravenöser Drogenabusus,wechselnde Ge-schlechtspartner,Medizinberuf

Intravenöser Drogenabusus,Bluttransfusi-onen vor 1992,wechselnde Ge-schlechtspartner,Medizinberuf

Intravenöser Drogenabusus,wechselnde Ge-schlechtspartner

Übertragung sexuell und perinatal in ende-mischen Regionen (Japan, Karibik)

Reisende und Bewohner endemischer Regionen(Afrika, Süd- und Südostasien)Europa: Sindbis-Virus (Finnland, Schweden, Karelisches Meer)

Typ der Gelenk-manifestation

Polyarthritis Polyarthritis Polyarthritis 80% Polyarthritis20% Mono-/ Oligoarthritis

Oligoarthritis Polyarthritis Polyarthritis

Dauer der Arthritis

2–3 Wochen 2–3 Wochen 2–3 Wochen Akut oder chronisch

Subakut- chronisch

Chronisch Wochen bis Monate

Charakteris-tische extra-artikuläre Ma-nifestationen

Röteln-exanthem,zervikale Lymphade-nopathie

Grippale Symptome,Exanthem beim Erwachsenen nur selten

Exanthem,Myalgien,grippale Symp-tome, vor der Entwicklung des Ikterus

Chronische He-patitis oft symp-tomarm,Fatigue

Lymphadeno-pathie,grippale Symptome

Sjögren-Syndrom,Uveitis

Fieber,Kopfschmerz,Myalgien,Exanthem

Diagnose der Virusinfektion

Anti-Parvovirus-B19-IgM+

HBsAg+,Anti-HBc-IgM+,HBV-DNA+(PCR)

Anti-HCV+ (EIA),HCV-RNA+ (PCR)

Anti-HIV+ (ELISA),HIV-RNA+ (PCR)

Anti-HTLA-/+(ELISA, Western-blot),HTLV-I-DNA+ (PCR)

Spezifische IgM-Antikörper,virale RNA+ (PCR)

Laborbefunde

- Rheuma-faktor (RF)

RF selten positiv RF 25% positiv RF 38% positiv RF selten positiv RF häufig positiv

- Andere ANA selten positiv

Kryoglobuline 40% positiv,ANA 19% positiv

ANA und Kardio-lipin-Antikörper selten positiv

Röntgen: Erosionen

Nein Nein Nein Nein Selten Ja Nein

IgM Immunglobulin M, IgG Immunglobulin G, HBsAg Hepatitis-B-Surface-Antigen, Anti-HBc „hepatitis B core antibody“, EIA „enzyme immunoassay“, ELISA „enzyme- linked immunosorbent assay“, ANA antinukleäre Antikörper.

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Leitthema

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Myalgien, Arthritiden und Parästhesien einhergehen.

Hepatitisviren

Hepatitis-B-Virus

Das HBV (. Tab. 1), ein Mitglied der Familie der Hepadnaviridae, ist ein etwa 42 nm großes doppelsträngiges DNS-Vi-rus, dessen Genom in ein ikosaedrisches Kapsid, dem Hepatitis-B-Core-Protein (HBV-Core-Antigen, HBcAg), verpackt ist. Das Kapsid wiederum ist von einer Virushülle umgeben. Eine Übertragung des Virus erfolgt parenteral und sexuell, die Inkubationszeit beträgt 34 bis 120 Ta-ge.

In der präikterischen Prodromalphase (einige Tage bis zu einem Monat) leiden die Patienten an Fieber, Myalgien, Abge-schlagenheit, Übelkeit und Erbrechen; in dieser Phase besteht bereits eine maxima-le Virämie. Auch die HBV-Arthritis tritt in der Prodromalphase akut und häufig in Assoziation mit einem urtikariellen bzw. makulopapulösen Hautexanthem auf. Das Gelenkbefallsmuster ist polyartiku-lär symmetrisch, auch migratorisch, wo-bei die Hände und Kniegelenke mit tei-gigen Schwellungen am häufigsten betrof-fen sind [1]. Mit Einsetzen der Gelbsucht bildet sich die Arthritis zurück.

Die HBV-Arthritis gilt als Beispiel ei-ner Immunkomplex-vermittelten Ar-thritis, obwohl die pathogenetische Rol-le der Immunkomplexe bei der Synoviali-tis nicht so sicher ist, wie bei der ebenfalls mit HBV assoziierten Panarteriitis nodo-sa. Die Immunkomplexe enthalten HB-sAg (Hepatitis-B-Surface-Antigen), Anti-körper und Komplement.

E An eine akute Hepatitis B sollte der Rheumatologe bei einem Patienten mit akuter Polyarthritis und Urtikaria sowie erhöhten Transaminasen denken.

Die weitere Sicherung der Diagnose er-folgt durch serologische Testungen auf das HBsAg (und ggf. Hepatitis-B-Envelo-pe-Antigen/HBeAg) und die Antikörper gegen das Core-Antigen (Anti-HBc und Anti-HBc-IgM). Der Nachweis von HBV-DNS mittels PCR zeigt die Virusreplikati-

Zusammenfassung · Abstract

Z Rheumatol 2010 · 69:871–878 DOI 10.1007/s00393-010-0701-6© Springer-Verlag 2010

E. Märker-Hermann · N. Schütz · H. Bauer

Virale Arthritiden

ZusammenfassungViren sind weltweit verbreitete Erreger aku-ter Polyarthritiden. Häufig sind die Gelenk-beschwerden von anderen virustypischen Symptomen wie Fieber, Exanthemen, Myal-gien oder Übelkeit begleitet. Es manifestieren sich aber nicht selten isolierte Polyarthritiden, die eine frühe rheumatoide Arthritis imitieren können. In Europa und Nordamerika gehören Parvovirus B19, Rubella, Hepatitis B und C zu den häufigsten arthritogenen Viren, während in Afrika, Australien, den westpazifischen Staaten und Südamerika die durch Stechmü-cken übertragenen Alphaviren endemisch sind und epidemische Polyarthritiden aus-lösen. Im Zuge des Fernreisetourismus ha-

ben diese Alphavirus-induzierten Arthritiden auch in Europa an Bedeutung zugenommen. Die Pathogenese viraler Arthritiden beinhal-tet direkte Folgen der synovialen Virusinfek-tion (Zell-Lyse, lokale Immunkomplexforma-tion, Induktion proinflammatorischer Zytoki-ne) und auch indirekte Effekte durch Autoim-munreaktionen („Bystander-Aktivierung“ oder „Epitope Spreading“).

SchlüsselwörterArthritis · Parvovirus B · Rubella-Virus · Hepatitis-Virus · Alphavirus · Humaner Immundefizienzvirus

Viral arthritides

AbstractViruses are common etiologic agents of acute polyarthritis worldwide. Rheumatic symp-toms are often accompanied by other viral symptoms such as fever, rash, myalgia or nau-sea, but isolated arthritis may occur resem-bling or imitating early rheumatoid arthritis. In Europe and North America, the most com-mon arthritogenic viruses include parvovirus B19, rubella, hepatitis B and C, whereas mos-quito-borne alpha-viruses are endemic in Af-rica, Australia, the western Pacific and South America. The latter have attracted the inter-est of European rheumatologists due to the

increasing number of tourists travelling to these regions. Viruses may cause arthritis via various mechanisms, including direct synovi-al infection leading to cell lysis, immune com-plex formation or pro-inflammatory cytokine induction. Indirect viral pathogenic effects may induce autoimmune reactions via by-stander activation or epitope spreading.

KeywordsArthritis · Parvovirus B19 · Rubella virus · Hepatitis virus · Alpha-virus · Immunodeficiency virus, human

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on/Viruslast an. Positive Rheumafaktoren lassen sich häufig nachweisen.

Therapeutisch kommen symptoma-tisch lediglich niedrig dosierte NSAR in Betracht unter engmaschiger Kontrolle der Transaminasen und der Gerinnung, Steroide müssen bei akuter Hepatitis B vermieden werden. Die typische Arthri-tis bei akuter HBV-Infektion ist auf die präikterische Phase beschränkt. Bei Pa-tienten mit chronisch aktiver Hepatitis B kann es jedoch zu rekurrierenden Ar-thralgien und Arthritiden kommen [16], sodass man bei rekurrierenden rheuma-tischen Beschwerden – und namentlich bei gleichzeitiger Transaminasenerhö-hung – eine chronische HBV-Infektion in die differenzialdiagnostischen Erwä-gungen einbeziehen muss.

Hepatitis-C-Virus

HCV (. Tab. 1) ist ein hepatotropes RNA-Virus, welches parenteral übertra-gen wird, vor allem durch i.v.-Drogen- abusus und – bis in die frühen 1990er Jahre – durch Bluttransfusionen. Personen mit häufig wechselnden Geschlechtspartnern weisen ebenfalls ein erhöhtes Risiko einer HCV-Infektion auf. Die meisten erwach-senen HCV-infizierten Patienten (55–85%) entwickeln eine chronische Hepati-tis [13]. Gelenksymptome im Zusammen-hang mit einer HCV-Infektion können in verschiedenen Formen auftreten:1. eine Arthritis in direktem

Zusammenhang mit dem HCV („HCV-assoziierte Arthritis“),

2. eine Arthritis in Assoziation zu einer HCV-induzierten gemischten Kryo- globulinämie mit leukozytoklasti-scher kutaner Vaskulitis, Glomerulo-nephritis, Polyneuropathie und ande-ren vaskulitischen Manifestationen,

3. eine koexistente Arthritis ohne ur-sächlichen Zusammenhang mit HCV,

4. eine autoimmune Arthritis, die durch die antivirale Therapie mit Inter-feron-alpha (IFN-α) induziert wurde. [27].

Zudem leiden viele HCV-Patienten an einem sekundären Fibromyalgiesyndrom mit Fatigue sowie einem Sicca-Syndrom. Die HCV-assoziierte Arthritis im enge-ren Sinne kann im Rahmen einer akuten

HCV-Infektion als akute Oligo- oder Po-lyarthritis mit rheumatoidem Verteilungs-muster mit Befall der kleinen Fingerge-lenke, Handgelenke, der Schulter-, Knie- und Hüftgelenke auftreten [23]. Etwa 50% der Patienten mit HCV-assoziierter Ar-thritis erfüllen die ACR-Kriterien für ei-ne RA wegen des klinischen Befallsmus-ters und dem häufig (etwa 38%) positiven Rheumafaktor, wohingegen Antikör-per gegen zyklische citrullinierte Peptide (CCP-Antikörper) bei diesen Patienten nicht nachweisbar sind [3] und auch die RA-typischen Symptome wie Morgenstei-figkeit von mehr als einer Stunde, Rheu-maknoten und radiologische Erosionen fehlen.

Die Labordiagnostik der akuten HCV-Infektion kann durch die Bestimmung von HCV-Antikörper mittels Immunoas-say der 3. Generation erfolgen. Zu beden-ken ist allerdings die Tatsache, dass HCV-Antikörper häufig erst Wochen nach der Infektion positiv werden, so dass bei kli-nischem Verdacht auf eine Arthritis bei akuter HCV-Infektion auch bei negativem Antikörpertest eine HCV-RNA-Bestim-mung sinnvoll ist.

Bei chronischen Verläufen der HCV-Infektion dominiert das vaskulitische Syndrom der gemischten Kryoglobulin- ämie, in dessen Rahmen Arthralgien und Arthritiden ebenfalls häufiger und wech-selnd auftreten.

E Kryoglobuline lassen sich bei etwa der Hälfte aller chronisch HCV-infizierten Patienten nachweisen.

Das klinische Syndrom der gemischten Kryoglobulinämie entwickeln hingegen nur etwa 5% der Patienten mit den Ma-nifestationen der palpablen Purpura, ei-ner Neuropathie und einer membrano-proliferativen Glomerulonephritis [7]. Es wird postuliert, dass durch die Ablage-rung von monoklonalem Rheumafaktor oder von Immunkomplexen bestehend aus Rheumafaktoren, polyklonalem IgG mit oder ohne HCV-Antigen in kleinen Blutgefäßen der Haut, der Nerven, der Glomeruli und des Synoviums ein im-munpathologischer Prozess in Gang ge-setzt wird [22]. Die rheumatische Symp-tomatik dieser Patienten mit HCV-asso-ziierter Kryoglobulinämie äußert sich in

intermittierenden Polyarthralgien der Hände und Kniegelenke und in weniger als 10% der Betroffenen in nichterosiven Arthritiden.

Humanes Immundefizienzvirus Typ 1

Die akute Infektion mit dem HIV Typ 1 (. Tab. 1), einem Retrovirus, führt zu einem klinischen Bild, das einer infekti-ösen Mononukleose ähnelt und mit grip-palen Beschwerden, Myalgien und Ar-thralgien einhergeht. Bei chronischer HIV-Erkrankung unterscheidet man zwi-schen Arthralgien und Arthritiden, die in einen direkten Zusammenhang mit dem HIV gebracht werden und als „idiopa-thische oder HIV-assoziierte Arthritiden“ bezeichnet werden, von solchen rheuma-tischen Syndromen, die bei HIV-Erkran-kung deutlich gehäuft gefunden werden oder sich erstmals manifestieren.

Bei der „idiopathischen“ HIV-asso-ziierten Arthritis handelt es sich um ei-ne asymmetrische, nichterosive Oligo-arthritis mit Bevorzugung der unteren Extremitäten, die in der Regel nach 2 bis 6 Wochen spontan ausheilt [2]. Im Unter-schied zur reaktiven Arthritis treten En-thesitiden und mukokutane Manifestati-onen bei dieser Form der Arthritis nicht auf. Sehr selten wurden auch symmet-rische Polyarthritiden beschrieben. Eine Sonderform der HIV-assoziierten Arthri-tis stellt das „Painful Articular Syndrome“ dar mit ausschließlicher Manifestation hoch schmerzhafter Gelenkbeschwerden im Bereich der Knie- und Sprunggelenke und einer Dauer von Stunden bis zu we-nigen Tagen [20].

Neben unspezifischen Arthralgien und direkt HIV-assoziierten Arthritiden stehen rheumatologisch vor allem Erst-manifestationen rheumatischer Erkran-kungen aus dem Formenkreis der serone-gativen Spondyloarthritiden im Vorder-grund. Dies sind reaktive Arthritiden, die vornehmlich bei HIV-positiven homose-xuellen Männern auftreten und gehäuft mit Urethritiden, Augenentzündungen und mukokutanen Veränderungen asso-ziiert sind [25]. Häufig werden zudem ei-ne Arthritis bzw. Enthesitis psoriatica ge-funden sowie undifferenzierte Spondylo- arthritiden.

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Leitthema

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Das ungewöhnlich häufige Auftreten der zuvor in der afrikanischen Bevölke-rung nahezu unbekannten Psoriasisarth-ritis in Sambia unter HIV-Infizierten – zudem in schweren Verlaufsformen [17] – lässt einen Zusammenhang zwischen der Psoriasisarthritismanifestation und dem CD4-Immundefekt vermuten. In diesem Kontext ist im Gegensatz zu den Spon-dyloarthritiden interessant, dass bei Pa-tienten mit vorbekannter RA nach HIV-Infektion und zunehmender CD4-Deple-tion spontane Remissionen der Arthritis beobachtet wurden.

> Nach HAART kann es zu stark inflammatorisch verlaufenden opportunistischen Infektionen kommen

Ein weiteres interessantes immunolo-gisches Phänomen wurde nach Einfüh-rung der hoch-aktiven antiretroviralen Therapie (HAART) erstmals um die Jahr-tausendwende beschrieben und als „IRIS“ („Immune Reconstitution Inflammatory Syndrome“) bezeichnet [6]. Es beschreibt ungewöhnlich stark inflammatorisch ver-laufende opportunistische Infektionen oder das Neuauftreten von Autoimmu-nerkrankungen (z. B. „Lupus-like-Di-sease“, M. Basedow, Guillain-Barré-Syn-drom) nach positivem Ansprechen auf eine HAART und rascher Rekonstituti-on des Immunsystems mit einer über-schießenden Immunreaktion gegenüber mikrobiellen Antigenen oder Autoanti-genen.

Septische Arthritiden und Bursitiden bei HIV-Infizierten werden durch Staphy-lococcus aureus, Streptokokken, Salmo-nellen oder opportunistische Keime (z. B. atypische Mykobakterien) verursacht. Als weitere rheumatische Syndrome werden M.-Sjögren-artige und „Lupus-like-Syn-drome“, inflammatorische Myopathien und auch Vaskulitiden beobachtet.

Die Labordiagnostik der HIV-Infek-tion erfolgt mittels Screening-Enzyme-Immunoassay (EIA) der 4. Generation und dem nachfolgenden Bestätigungstest (Western- und Immunoblots; [8]).

Humanes T-Zell-lymphotropes Virus Typ I

Das humane T-Zell-lymphotrope Virus Typ I (HTLV-I; . Tab. 1) ist als Erreger von Polyarthritiden in endemischen Re-gionen Südjapans und der karibischen In-seln bekannt. Es gehört zu den Retrovi-ren und wird perinatal, sexuell und durch kontaminierte Blutkonserven übertragen (zur Übersicht s. [14]). Frauen erkran-ken häufiger als Männer und zeigen das klinische Bild einer symmetrischen Po-lyarthritis mit protrahiertem oder chro-nischem Verlauf. Die Symptomatik weist viele Gemeinsamkeiten mit der RA auf, einschließlich häufigem Nachweis von Rheumafaktoren und milden erosiven Veränderungen der Fingergelenke auf dem Röntgenbild. Antikörper gegen zy-klische citrullinierte Peptide (CCP-Ak) werden allerdings nicht gehäuft gefun-den, und die Prognose ist besser als die-jenige der RA. Das transaktivierende Gen (Tax) des HTLV-I-Virus ist pathogene-tisch für die Arthritis verantwortlich [9]. Zur Therapie der Arthritis werden NSAR, niedrig dosiertes Prednisolon und sogar DMARDs („disease modifying antirheu-matic drugs“) eingesetzt [14].

Arthritogene Alphaviren

In der Folge zunehmender Fernreisen kommen Infektionen mit von Stechmü-cken übertragenen Alphaviren (. Tab. 1), die im Wesentlichen in tropischen Regi-onen endemisch sind, zunehmend in das Bewusstsein europäischer Tropenmedizi-ner und auch Rheumatologen. Am besten wurde das Ross-River-Virus (RRV, s. un-ten) untersucht, das allein in Australien, Ostindonesien und den benachbarten pa-zifischen Inseln pro Jahr etwa 9000 Indi-viduen infiziert. Die klinische Symptoma-tik der Alphavirus-Erkrankungen wird ty-pischerweise bestimmt durch Fieber, grip-pale Symptome, ein Exanthem und eine Polyarthritis, die Symptome können aber auch milde oder flüchtig auftreten.

Die Diagnose einer Alphavirus-Infek-tion erfordert den Nachweis spezifischer IgM-Antikörper mittels ELISA und/oder die Virusisolation mittels Virusneutralisa-tionstests oder PCR (Nachweis der Virus-RNA), die allerdings in Deutschland nur

in wenigen, auf Tropenkrankheiten spe-zialisierten Instituten durchgeführt wer-den können.

Ross-River-Virus

Das RRV ist in Australien, Papua Neugui-nea, Neuseeland, Ostindonesien und ei-nigen pazifischen Inseln endemisch und wird durch Mückenstiche übertragen. Der wichtigste Vektor ist Aedes (A.) vigilax in Australien. Die Erkrankungen treten spo-radisch oder in kleineren lokalen Epide-mien auf. Eng verwandt mit dem RRV und in den gleichen Regionen endemisch ist das Barmah-Forest-Virus. 70–90% al-ler Infizierten haben sehr milde oder kei-ne Symptome, während 10–30% eine aku-te Erkrankung mit Exanthem (einschließ-lich Befall der Hände und Füße), Allge-meinsymptomen (Fieber, Kopfschmerzen, Lichtscheu, protrahierte Abgeschlagen-heit) und rheumatischen Symptomen ent-wickeln. Letztere weisen ein breites Spek-trum auf mit Schmerzen und Steifigkeit in den Gelenken und paraartikulär, Schwel-lungen der Gelenke und Sehnenscheiden. Am häufigsten sind die Gelenke der un-teren Extremität befallen. Die Beschwer-den können von einer Woche bis zu 8 Wo-chen bestehen, eine allgemeine Steifigkeit und rezidivierende Arthralgien persistie-ren gelegentlich noch länger [16]. Thera-peutisch kommen NSAR zum Einsatz.

Chikungunya-Virus (CHIKV)

Ein weiteres Alphavirus, das Chikungu-nya-Virus (CHIKV), ist ein einsträngiges RNA-Virus, welches von Moskitos über-tragen wird und in Afrika und Asien re-gelmäßig zu relevanten Epidemien führt. Hier hat sich in den letzten 4 Jahren ein interessanter und gesundheitspolitisch global bedeutsamer epidemiologischer Wandel vollzogen. Im Jahre 2006 kam es zu einem Ausbruch einer CHIKV-Epide-mie im Indischen Ozean und auf dem in-dischen Festland und während derselben Periode zu Krankheitsfällen von Reise-heimkehrern nach Europa und den USA [5, 24]. Zugleich war zu beobachten, dass der Vektor für CHIKV zunehmend von A. aegypti nach A. albopictus wechselte, ei-ner Stechmücke, die auch im Westen weit verbreitet ist. Besonders bemerkenswert

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Leitthema

Page 7: Virale Arthritiden

war dann im Jahr 2007 eine lokale Epide-mie in Norditalien in der Region von Ra-venna mit nahezu 200 möglichen Fällen, die auf einen infizierten Reiseheimkehrer zurückverfolgt werden konnte mit nach-folgender Verbreitung des Virus über die A.-albopictus-Mücke [19].

E Nahezu alle infizierten Patienten entwickeln eine Polyarthritis, die in zwei Krankheitsphasen verläuft und häufig schwerwiegend ist.

In den ersten 10 Tagen kommt es neben Fieber, vorübergehendem Ausschlag, Konjunktivitis und Myalgien zu sym-metrischen Polyarthralgien/Polyarthriti-den der Hände und Füße verbunden mir periartikulären Ödemen und Rücken-schmerzen. Häufig findet man laborche-misch Transaminasen- und Kreatinki-naseerhöhungen sowie Leukozyto- und Thrombozytopenien. Währen der zwei-ten Krankheitsphase von mehr als 10 Ta-gen leiden die Patienten unter persistie-renden Tenosynovitiden der Hände und Finger und Arthritiden der Fingermit-telgelenke. Gelenkbeschwerden können bis zu 6 Monate bestehen, während sich keine Laborauffälligkeiten mehr nach-weisen lassen [24]. Es existieren zur-zeit nur symptomatische Therapien mit NSAR und in Einzelfällen mit Kortiko- steroiden.

O’nyond-nyong- und Igbo-ora-Virus

Die klinische Symptomatik der durch O’nyond-nyong- („Knochenbrecher“) und Igbo-ora- („die Erkrankung, die un-sere Flügel bricht“) Virus induzierten Er-krankungen ähnelt der CHIKV-Erkran-kung mit plötzlich auftretenden hoch schmerzhaften Polyarthralgien/Poly-arthritiden, Fieber und Exanthem. Epi-demien wurden in Uganda und Kenia (O’nyond-nyong-Virus; [12]) und an der Elfenbeinküste (Igbo-ora-Virus) be-schrieben.

Sindbis-Virus

Eine Bedeutung für Nordeuropa und neuerdings möglicherweise auch für Deutschland haben virale Arthritiden durch Sindbis-Viren. Das Alphavirus

Sindbis wird durch Stechmücken über-tragen. In Finnland, wo 2% der Bevöl-kerung Serumantikörper gegen Sindbis-Viren aufweisen, kommt es alle 7 Jah-re zur epidemischen Ausbreitung einer rheumatischen Erkrankung, die in Finn-land unter dem Namen Pogosta und in Schweden als Ockelbo bekannt ist. Ers-tes Symptom ist ein etwa 4 Tage anhal-tendes makulopapulöses Exanthem, wel-ches fast immer das Gesicht ausspart. Die Betroffenen sind meist abgeschlagen und haben erhöhte Temperaturen, nur selten hohes Fieber. Die für Pogosta charakte-ristische Polyarthritis mit schmerzhaften Gelenkschwellungen kann mehrere Wo-chen oder Monate anhalten, heilt aber schließlich folgenlos ab. Kürzlich wurden Sindbis-Viren erstmals in Deutschland entdeckt [11], und zwar in Baden-Wür-temberg in den drei Mückenarten Ano-pheles maculipennis sowie in den Stech-mücken Culex torrentium und Culex pi-piens, die auch in Schweden als Überträ-ger von Sindbis-Viren gelten. Ob auch in Deutschland Erkrankungen durch das Sindbis-Virus auftreten, ist zurzeit noch unbekannt.

Andere Viren

Neben den oben aufgeführten Viren, die pathognomonische oder zumindest häufig rheumatische Symptome auslö-sen, gibt es eine Reihe weiterer Viren, die seltener mit Arthritiden assoziiert sind. Zu nennen sind Adenoviren und Cox-sackie-Viren A9, B2, B3, B4 und B6, die neben Pleuritis, Myokarditis, Exanthem und Myalgien auch akute oder rekurrie-rende Episoden einer Polyarthritis aus-lösen können. Selten entwickeln Kinder mit Windpocken eine Mono- oder Oli-goarthritis. Mumps kann bei Erwachse-nen mit einer Arthritis einhergehen. Eine infektiöse Mononukleose (Epstein-Barr-Virus) ist häufig von Polyarthralgien und Muskelschmerzen begleitet, selten wur-den auch Kniegelenksarthritiden beob-achtet. Selten kommt es im Rahmen ei-ner Zytomegalievirus- (CMV-)Infekti-on zu Arthritiden beim immunkompe-tenten Patienten; bei Knochenmarks-transplantierten wurden jedoch in Ein-zelfällen schwere Polyarthritiden beob-achtet [4].

KorrespondenzadresseProf. Dr. E. Märker-HermannKlinik Innere Medizin IV (Rheumatologie, klinische Immunologie und Nephrologie), HSK Dr. Horst Schmidt Klinik GmbHLudwig Erhard Str. 100, 65199 WiesbadenElisabeth.Maerker-Hermann@ HSK-Wiesbaden.de

Interessenkonflikt. Die korrespondierende Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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878 |  Zeitschrift für Rheumatologie 10 · 2010

M. Wehling, H. BurkhardtArzneitherapie für ÄltereHeidelberg: Springer 2010, 284 S., 68 Abb., (ISBN 978-3-642-10214-1), Geb., 49.95 EUR

„Die schwierige Entscheidung

ist häufig nicht, welche Thera-

pie gewählt, sondern worauf

verzichtet werden kann.“

(G. Ertl)

Der Anteil älterer Menschen in Deutschland

wird in den nächsten Jahren deutlich anstei-

gen.

Mit zunehmendem Alter führt die Multimor-

bidität häufig zu einer Verordnung vielfäl-

tiger auch unterschiedlicher Arzneimittel.

Eine möglicherweise inadäquate Medikation

- z. B. bei geänderten biologischen Eckdaten -

kann zu gravierenden Nebenwirkungen oder

unerwünschten Interaktionen führen.

Das Buch spricht die spezifischen Probleme

der Pharmakotherapie im Alter an und gibt

darüber hinaus entsprechend begründete

Empfehlungen.

Neben den prinzipiellen Erwägungen im ers-

ten Teil des Buches werden im zweiten aus-

führlichen Abschnitt spezielle Erkrankungen

nach geriatrischer klinischer Bedeutung

dargestellt.

Die pharmakologischen Daten wichtiger Me-

dikamentengruppen und therapeutisch rele-

vante Besonderheiten beim älteren Patienten

werden herausgearbeitet, eine Klassifizierung

der Arzneimittel nach Alterstauglichkeit

sowie Evidenz orientiert durchgeführt und

insbesondere die möglichen Interaktionen

aufgezeigt.

Im Einzelnen werden die arterielle Hyperto-

nie, die Herzinsuffizienz, koronare Herzkrank-

heiten, Vorhofflimmern sowie der Schlagan-

fall besprochen.

Osteoporose, Diabetes mellitus, Demenz,

Morbus Parkinson, Depressionen, Schlafstö-

rungen sowie die Therapie des chronischen

Schmerzes sind weitere Kapitel.

Ein besonders wichtiger Beitrag sind The-

rapieentscheidungen und medikamentöse

Therapie bei Tumorerkrankungen älterer

Patienten.

Weiterführende Literatur findet sich am Ende

jedes Kapitels.

Das gut ausgestattete Buch wendet sich an

alle praktisch tätigen Mediziner, die täglich

mit den Fragen der Arzneimitteltherapie äl-

terer Patienten konfrontiert werden.

Sie müssen sich auch insbesondere mit Fra-

gen der Polypragmasie bei multimorbiden

Patienten, mit Verschreibungskaskaden,

den Interaktionen und nicht zuletzt mit der

oft mangelnden Compliance auseinander

setzen.

Unter diesen Gesichtspunkten wird als wich-

tigste Regel angegeben:

Häufig den Patienten wieder aufzusuchen,

die bestehende Medikation zu hinterfragen

und darüber zu sprechen und gemeinsam

den besten Wege für eine individuelle Thera-

pie zu suchen.

Das Buch ist uneingeschränkt zu empfehlen

und ergänzt wirkungsvoll entsprechende

Fachbücher.

J. Sökeland (Berlin)

Buchbesprechungen